Berlin. Wie gefährlich sind die Reichsbürger? Ein Gast berichtet bei Lanz von seinen Recherchen - und ist damit der heimliche Star der Sendung.

Den Reichsbürger gebe es gar nicht, stellte Tobias Ginsburg bei „Markus Lanz“ als Erstes klar. Er möge den Begriff schon deshalb nicht, weil er von dem „Neo-Nazi Horst Mahler erfunden“ worden sei. „Es ist eine immens heterogene Szene“, erklärte er außerdem, in der „alle an eine zentrale rechtsextreme Verschwörungstheorie glauben“.

„Manche argumentieren völkerrechtlich, manche mit Außerirdischen, mit der ,hohlen Erde‘ oder vollkommen esoterisch-spirituell“, sagte er. Alles laufe darauf hinaus, dass die unterschiedlichen Gruppen „die BRD als illegitimen Staat“ verteufeln.

"Markus Lanz" – Das waren die Gäste:

  • Lars Klingbeil, SPD-Chef
  • Helene Bubrowski, Journalistin
  • Tobias Ginsburg, Autor
  • Wolfgang Merkel, Politologe

Vor allem aber warnte er davor, sich lustig zu machen über einzelne kuriose Figuren wie den selbsternannten "König von Deutschland": „Skurrilität darf kein Faktor sein“, sagte er. „Die Bewegung ist sehr, sehr groß“ und in Teilen gewaltbereit – wie die Ermordung eines Tankstellenkassierers in Idar-Oberstein vor einem Jahr gezeigt habe.

"Markus Lanz": Gast hatte in Reichsbürger-Szene recherchiert

Schon 2017 war Tobias Ginsburg für ein Buchprojekt ein Dreivierteljahr lang inkognito in die Reichsbürger-Szene abgetaucht. Nun saß er wieder bei „Markus Lanz“, um über deren Motive zu berichten. So wurde er so etwas wie der heimliche Hauptgast des „Lanz“-Talks an diesem Dienstag, der die Hintergründe der Groß-Razzia von letzter Woche ausleuchten wollte, bei der 25 Reichsbürger festgenommen worden waren. Mehr zum Thema: Reichsbürger-Razzia nach Umsturzplänen: Weitere Festnahmen

Zunächst aber wollte Markus Lanz noch kurz eine andere aufsehenerregende Festnahme abhandeln: Den Korruptionsverdacht gegen die mittlerweile abgesetzte sozialdemokratische Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili, in deren Haus „Plastiktüten voller Geld“ gefunden worden waren, mutmaßlich aus Katar. Ist dieser Skandal erneut „Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker?“ Lesen Sie auch: Korruptionsskandal im EU-Parlament: Wie im schlechten Film

Alle Gäste waren sich einig, dass die Korruptionsvorwürfe ohnehin großen Schaden für die Glaubwürdigkeit der EU anrichteten. Für Verschwörungstheoretiker seien sie gar „ein gefundenes Fressen“, sagte Tobias Ginsburg, weil diese jeden gesellschaftlichen Widerspruch nutzten, um „kulturell, politisch und finanziell Kapital zu schlagen“. Und „junge Menschen, naive, verzweifelte auch“ auf ihre Seite zu ziehen.

„Wenn der Verfassungsschutz von 23.000 Reichsbürgern spricht, dann sind das die, die sich zu erkennen geben“, sagte er. Solche also, die offen ihren Pass verbrannten, den Bürgermeister bedrohten oder Andersdenkende anpöbelten.

"Markus Lanz": Adlige unter den Reichsbürgern - Wunsch nach alten Privilegien

„Wer einen Job hat und etwas zu verlieren, wird den Teufel tun, in der Öffentlichkeit als Verschwörungsideologe dazustehen.“ Das können nach Ginsburgs Erfahrung bei Hinterzimmer-Treffen in Restaurants ganz bürgerliche Leute sein, Steuerberater zum Beispiel, oder Zahnärztinnen. Auch viele Adlige gehörten dazu, die ihre Privilegien wiederhaben wollten. Lesen Sie hier: "Lanz": Wer eingeladen wird, wer nicht – und wer nicht kommt

Dazu wirkte die Pandemie wie ein Katalysator. Während Tobias Ginsburg 2020 für eine Neuauflage seines Buches erneut recherchierte, erkannte er unter den Organisatoren der ersten Anti-Corona-Demos „alles alte Bekannte“, die plötzlich als Querdenker firmierten: „Demagogen, Menschenfresser, Leute, die ohnehin Antisemiten sind und jetzt einfach nur dankbar, eine schöne Theorie zu ihrem Hass zu lernen“, zählte er auf. „Gleichzeitig waren in diesem Nebel aus Verwirrung und Existenzängsten auch viele Leute, die da reingestolpert waren und nicht ahnten, wo sie sind.“

Helene Bubrowski hörte interessiert zu. Ginsburgs Beschreibung zeige die Schwierigkeiten, mit denen der Verfassungsschutz zu tun habe, wenn er wegen „Delegitimierung des Staates“ vorgeht. Außerdem seien nicht alle gleich gefährlich, sagte sie: „Manche sind nur Maulhelden, die sich im Internet Leichensäcke bestellen für den Tag X“, berichtete die „FAZ“-Redakteurin aus eigener Recherche, „und dafür Applaus in ihren Foren bekommen“. Dann wieder gebe es welche, die „vielleicht ganz leise sind, aber wahnsinnig gut vernetzt Strippen ziehen und richtig, richtig gefährlich“. Mehr zum Thema: Reichsbürger: Neue Details zu den Terrorplänen bekannt

Lanz: Politikwissenschaftler hält Reichsbürger-Bedrohung für Demokratie für überschaubar

Wie sollen die Staatsorgane da auf Anhieb erkennen, ob diese Leute „nach landläufigen Vorstellungen einfach nur verrückt“ waren, was nicht verboten sei. Oder eine „echte Bedrohung für unsere verfassungsmäßige Ordnung?“

Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel hält die Gefahr eines Staatsstreichs ohnehin für absurd. Damit wollte er zwar nicht behaupten, dass die Reichsbürger-Szene ungefährlich sei: „Aber sie sind keine Bedrohung für unsere Demokratie“, sagte er, höchstens für einzelne Politiker. Auch interessant: Warum Markus Lanz die Antworten seiner Gäste nicht gefallen

Auch Lars Klingbeil glaubte nicht, dass „unser System kurz davorsteht, umgestürzt zu werden“. Aber man müsse aufpassen, wo sich bestimmte Muster, Narrative, Verteidigungslinien in die Gesellschaft einschlichen, weshalb man von Anfang an ein Stoppschild setzen müsse, sagte der SPD-Chef. Mit der Groß-Razzia habe der Staat gezeigt, dass er wachsam und wehrhaft sei – viel eher und besser als bei den Morden des NSU, die der Staat zu lange nicht ernst genommen habe.

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