Berlin. Sind die Maßnahmen gegen das Coronavirus in Deutschland zu lasch? Bei „Anne Will“ rechnete ein Mikrobiologe groß mit der Politik ab.

China geht mit drastischen Maßnahmen gegen das Coronavirus vor. Dagegen fällt die Reaktion in Europa und Deutschland noch moderat aus. Bei „Anne Will“ wurde vor diesem Hintergrund diskutiert, was das richtige Maß ist: „Wie drastisch müssen die Maßnahmen werden?“, lautete die Leitfrage.

Diskutiert wurde sie von:

  • Intensivmedizinerin Claudia Spies
  • Mikrobiologe Alexander Kekulé
  • Journalistin Cerstin Gammeling
  • Hotelbetreiberin Angela Inselkammer
  • Finanzminister Olaf Scholz (SPD)
  • NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU.

Hat die Politik zu spät auf die Coronavirus-Pandemie reagiert?

Alexander Kekulé nutzte den Moment, um mit der Politik und mit Teilen seiner Zunft abzurechnen. Dazu muss man wissen, dass der Mikrobiologe von der Universität Halle-Wittenberg im Unterschied etwa zu Christian Drosten von der Berliner Charité früh Schulschließungen und strenge Kontrollen gefordert hat – und dafür kritisiert wurde. „Wir haben wahnsinnig viel Zeit verschlafen“, sagte Kekulé. Obwohl schon seit Mitte Januar klar gewesen sein, worum es gehe, habe die Politik in Europa lange nicht reagiert.

Dazu rechnete Kekulé mit einem fiktiven Kind, dass das Virus acht Wochen unentdeckt in sich trägt. In dieser Zeit habe dieses Kind statistisch 3.000 Menschen infiziert, sagte Kekulé. Davon kämen 300 bis 400 auf die Intensivstation, 15 würden sterben. „Wir sind jetzt in der letzten Phase, wo wir nur noch die Krankenhäuser vorbereiten können“, lautete das düstere Fazit des Mikrobiologen.

Das klang plausibel, doch Armin Laschet hatte stellvertretend für die Politik eine ebenso plausible Erklärung parat. Bis zum vergangenen Donnerstag hätten die Experten, die die Politik beraten, sich gegen Schulschließungen ausgesprochen, führte der CDU-Ministerpräsident von NRW aus. Die Bundesländer hätten sie dann trotzdem angeordnet.

Mikrobiologe Alexander Kekulé fand am Sonntagabend bei „Anne Will“ deutliche Worte für das Vorgehen der Bundesregierung im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie.
Mikrobiologe Alexander Kekulé fand am Sonntagabend bei „Anne Will“ deutliche Worte für das Vorgehen der Bundesregierung im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie. © NDR/Wolfgang Borrs | NDR/Wolfgang Borrs

Sind die Grenzschließungen sinnvoll?

Und so wurde wieder einmal die Krux mit dem Coronavirus deutlich: Genau kann es man vorher nicht sagen. Kein Wunder also, dass in der Runde prompt die nächsten Maßnahmen kontrovers diskutiert wurden. Sind die nun verkündeten Grenzschließungen sinnvoll? „Ja“, sagte Finanzminister Olaf Scholz, weil dann zum Beispiel niemand aus dem unter Quarantäne stehenden Frankreich nach Deutschland zum Shoppen kommen könne.

Armin Laschet sah das für NRW anders. Schließlich würden in Holland dieselben Maßnahmen gelten, wie hierzulande. Und in Belgien? Nun ja, da sei man noch im Gespräch. „Ich finde es erschütternd, zu sagen, die Belgier dürfen nicht mehr kommen, um einzukaufen“, half Cerstin Gammelin aus. Schließlich befinde man sich in Europa. Besser sei es, überall gleiche Standards zu haben, sodass Grenzübertritte gar nicht sinnvoll erscheine.

Würden Ausgangssperren helfen?

Eine weitere Option, die in manchen Ländern verhängten Ausgangssperren, wurde wiederum von Kekulé kritisiert. Es gebe kein Argument dafür, drin zu bleiben. Natürlich sei ein Spielplatzbesuch kontraproduktiv, aber gegen einen Spaziergang mit Abstand zu anderen Menschen sei nichts einzuwenden, erklärte der Mikrobiologe. Echte Quarantäne sei psychologisch schwer auszuhalten, warnte er vor den Folgen.

Wie geht es weiter?

Schwer zu sagen. Wieder war es Kekulé, der eine Prognose wagte, die aber dieses Mal wohl von allen Experten geteilt wird: Im besten Fall werden die zwei bis drei Wochen der sozialen Isolation die Kurve der Infektionsfälle abflachen. Wenn das nicht gelinge, sei die Frage, wie es weitergeht. „Eigentlich muss man die Leute dann rauslassen, obwohl die Welle weitergeht“, sagte Kekulé. Die Frage sei dann, wie die Politik das vermitteln will.

Das Fazit

„Die Lage ist ernst“, hat Horst Seehofer am Sonntag gesagt. Das wurde auch bei „Anne Will“ deutlich. In den kommenden Tagen und Wochen sollten wir alle gebannt auf die Kurve der Infektionsfälle schauen.

Doch wie erkennt man überhaupt eine mögliche Infektion bei sich oder seinen Mitmenschen? Fieber, Husten, allgemeines Unwohlgefühl, Gliederschmerzen – das sind laut Kekulé und der Intensivmedizinerin Spies die typischen Symptome. Eine klassische Rotznase deute dagegen auf eine andere Ursache hin.

• Hier kommen Sie zur aktuellen Ausgabe von „Anne Will“ in der ARD-Mediathek

Coronavirus-Pandemie – mehr zum Thema: