Berlin. Im neuen ARD-„Tatort“ ist die Täterin das eigentliche Opfer. Flashbacks und verschiedene Erzählebenen stiften noch mehr Verwirrung.

Der „Tatort“ aus Kiel ist immer etwas in Gedanken versunken. Kommissar Borowski (Axel Milberg) zieht meistens ununterbrochen die Stirn bei seinen Ermittlungen kraus und auch seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) wirkt immer, als schössen ihr tausend Gedanken auf einmal durch den Kopf.

In der neuen „Tatort“-Folge aus dem Norden wurden das stille Nachdenken und die Alleingänge der Ermittler aber um eine weitere verwirrende Komponente ergänzt: eine Täterin, die sich nicht wirklich an den von ihr impulsiv begangenen Mord erinnern kann. Die Polizeischülerin Nasrin Erkmen, gespielt von Soma Pysall, scheint psychisch völlig unzurechnungsfähig zu sein.

„Tatort“ aus Kiel: Mord in einer Polizeischule

Ausgerechnet während eines Workshops, den Kommissar Borowski und Mila Sahin an einer Polizeischule abhalten, kommt es zum Mord: Völlig unvorhersehbar sticht Nasrin während einer praktischen Übung vor der gesamten Seminargruppe mit einem Schraubenzieher auf ihren Mitschüler Sandro ein. Der stirbt wenig später an seinen Verletzungen.

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Doch nicht nur das völlig abgedrehte Setting der Tat wirkte für Zuschauer nicht gerade einladend. Auch der Rest des „Tatorts“ zielte wohl eher auf Irritation und Verwirrung ab. Mit nahezu jeder Szene wirkte „Borowski und der Fluch der weißen Möwe“ ein Stück konfuser – hier sind drei Beispiele.

Wenn die Täterin das eigentliche Opfer ist

Fragen nach den Gründen für ihre brutale Tat prallen an Nasrin ab. Die eigentlich vorbildliche Polizeianwärterin kann sich an nichts erinnern. Stattdessen hört sie im Verhörraum Stimmen, wird von Erinnerungen heimgesucht, halluziniert. Dass die Täterin unter einem schweren Trauma aus ihrer Jugendzeit leidet, wird leider erst gegen Ende des „Tatorts“ klar.

Sie wurde gezwungen, der Vergewaltigung ihrer Freundin Jule zuzusehen, macht sich verantwortlich dafür, Jule in die Situation gebracht zu haben. Als Nasrin beim Verhör mit Borowski und Sahin zusammengekauert dasitzt, auf jede Ansprache ängstlich reagiert und scheinbar grundlos zu schreien beginnt, liegt das also nicht an den Fragen der Ermittler.

Stimmen aus dem Off und verschwommene Kamerabilder

Nasrin bildet sich zu dem Zeitpunkt ein, die jungen Männer, die ihr und ihrer Freundin damals Gewalt antaten, stünden hinter ihr. Dass die Verhöre mit einem schizophrenen Trauma-Patienten alles andere als stringent sind, dürfte klar sein. Leider gibt sich der „Tatort“ viel zu sehr Mühe, dies immer und immer wieder dem Zuschauer durch Stimmen aus dem Off und verschwommene Kamerabilder deutlich zu machen.

Die zu kurz angerissenen Flashbacks lassen erst viel zu spät Schlüsse darüber zu, woran sich die Polizeischülerin erinnert. Das lenkt teilweise so sehr vom roten Faden ab, dass man bis zum letzten Drittel des Krimis Schwierigkeiten hat, die einzelnen Fäden der Erzählung zusammenzuführen.

„Tatort“-Duo Borowski und Sahin: Teamwork sieht anders aus

Kommissar Borowski ist für seine Alleingänge bekannt – seine Kollegin, die er nie ganz für voll zu nehmen scheint, ist da nicht anders. Einmal übernachtet Mila Sahin sogar in dem Krankenzimmer, wo Nasrin Erkmen an einem Tropf mit Beruhigungsmitteln hängt. Und während Sahin das Vertrauen der Täterin und so Informationen gewinnen will, ermittelt Borowski in eine ganz andere Richtung, konzentriert sich auf Nasrins Freund Tobias Engel und dessen Freunde.

Am Ende sind beide Ermittlungsstränge für die Aufklärung des Falls vonnöten. Dass das Ermittler-Duo aber selten gemeinsam arbeitet oder gar Ergebnisse zusammenträgt, lässt den Zuschauer viel zu lange im Dunkeln darüber, wie alles zusammenpassen soll. Bei diesem „Tatort“ wünschte man sich mal so richtig eine Konferenzszene, in der Erkenntnisse vorgetragen und Fotos an eine Stellwand gepinnt werden. Das hätte für mehr Ordnung im Kopf und im Film gesorgt.

Borowski-„Tatort“: Auflösung bleibt hinter der Geschichte zurück

Für Tobias Engel bricht binnen kürzester Zeit eine Welt zusammen. Erst erzählt seine Freundin ihm und seinen Freunden von der Vergewaltigung, am nächsten Tag ersticht sie einen mit ihm befreundeten Polizeischüler. Er beschließt, das seelische Leiden seiner Partnerin zu rächen und beginnt, die damaligen Täter zu verfolgen und umzubringen.

Das sollte es also gewesen sein – ein Racheakt. Dass Nasrin austickte und ihren Mitschüler ermordete – ein Triggermoment. Bei der anstrengend erzählten Geschichte hätte man mehr erwartet und auch erwarten können. Die Auflösung des Kriminalfalls enttäuschte eher, als dass sie endlich die einzelnen Ermittlungs- und Erzählstränge sinnvoll zusammenführte.

Schon der letzte „Tatort“ mit Axel Milberg, „Borowski und das Haus am Meer“ enthielt reichlich Zeitsprünge, spielte mit dem Vor und Zurück im Erzählen. Heraus kam, damals wie heute, ein verworrener Sonntagskrimi, der auch mit dem beliebten Ermittler nicht wettmachen konnte, dass die Geschichte schlichtweg zu konfus war.