Dresden. Krankenhäuser, Handwerk und Gastronomie - alle suchen händeringend Mitarbeiter. Bessere Ausbildung und mehr Zuwanderung könnten dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Einige Start-Ups arbeiten an weiteren Lösungen.

Das Fließband klappert: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Onlineversandhändlern auf der ganzen Welt verbringen täglich mehrere Stunden damit, Kisten einzupacken, sie zu bekleben und auf Förderbänder zu hieven. Eine äußerst eintönige und vor allem anstrengende Aufgabe.

Um Fachkräfte bei derartigen Arbeiten zu entlasten, kommen immer häufiger kollaborative Roboter - auch Cobots genannt - zum Einsatz. Sie sollen ihre menschlichen Kolleginnen und Kollegen bei schweren, monotonen und vor allem körperlich anstrengenden Aufgaben unterstützen.

Die Entwicklung dieser kollaborierenden Roboter treibt das dänische Unternehmen Universal Robots seit fast zwei Jahrzehnten voran. Mittlerweile ist der Sitz des Unternehmens - die Stadt Odense - so etwas wie die „Cobot-Hauptstadt“ der Welt geworden.

Ein Titel, mit dem auch der Freistaat in Zukunft in Verbindung gebracht werden möchte. Anfang des Monats sprach Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) von „der größten Modernisierung unseres Industrie- und Wirtschaftsstandortes“, die der Freistaat gerne politisch mitgestalten möchte.

Sachsen unter den besten Technologie-Standorten Europas

Der Mitgründer des sächsischen Robotik-Vorreiters „Wandelbots“, Christian Piechnick, zeigt sich optimistisch. „Wir haben viel Potenzial - und das zieht Fachkräfte an. Dresden und Sachsen insgesamt gehören zu den besten Technologie-Standorten der Bundesrepublik. Wir haben das größte Mikroelektronikcluster Europas und mit der TU Dresden eine der besten technischen Universitäten Deutschlands.“

Dort - an der Technischen Universität Dresden (TUD) - leitet Markus Henke eine Nachwuchsforschungsgruppe. Henke verbrachte zwei Jahre an der Universität Auckland in Neuseeland, wo er nach seiner Promotion mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Themen wie künstliche Muskeln, Neuronen, Soft-Robotik und Bionik forschte.

Mit der Wissenschaftlerin Katherine Wilson, seinem damaligen Mentor Iain Anderson und dem Wirtschaftsexperten Ross Green gründete er 2019 das Start-up Power-On. Ein Teil der Firma sitzt in Neuseeland, der andere in Dresden.

Bioinspirierte Robotik orientiert sich an der Natur

Das Unternehmen ist in der sogenannten bioinspirierten Robotik aktiv und will Robotern unter anderem das taktile Fühlen beibringen - also den Tast- und Empfindungssinn. „Die meisten Robotergreifer heutzutage sind einfach nur Maschinen, die auf- und zugehen und auf irgendein Objekt programmiert werden. Das können sie ziemlich gut“, sagt Henke. Gegenstände mit komplett anderen Maßen hingegen seien problematisch.

Im Vergleich zu industriellen Greifern, orientieren sich bioinspirierte Systeme an der Natur. „In diesem Fall ist es die menschliche Hand“, erklärt der 36-Jährige. Es gebe gefühlt unendlich viele manuelle Tätigkeiten, die momentan noch nicht wirklich automatisiert seien. Power-On wolle mit dieser Technik Robotern das Fühlen beibringen und dadurch Prozesse automatisieren.

Denn egal für welchen Anwendungsbereich, ob in der Automobil- oder in der Logistikbranche, der Elektronik- oder der Medizinbranche - durch die Automatisierung von Prozessen lässt sich für Unternehmen die Effizienz deutlich steigern. Sie haben weniger Ausfälle und geringere Kosten. Während traditionelle Industrieroboter oft schwer zu bedienen und teuer in der Anschaffung sind, lassen sich die Cobots schnell einrichten, intuitiv steuern und flexibel einsetzen.

„Power-On“ will Roboter zum Helfer des Menschen machen

„Wir entwickeln im Endeffekt flexible, dehnbare und weiche Elektronikkomponenten, die als Sensoren, Aktoren und dann später auch für die Signalverarbeitung eingesetzt werden können“, sagt Henke. Momentan stünden die meisten Roboter in der Industrie noch im Käfig. „Power-On“ wolle sie aus dem Käfig rausholen und zum Helfer des Menschen machen.

In Zukunft wolle das Unternehmen nicht nur Greifer bionischer gestalten, sondern komplette Roboter. Über deren taktile Haut sollen Menschen künftig dann auch über Berührungen mit Robotern kommunizieren können.

Ein Projekt, das auch Piechnick von „Wandelbots“ mit großem Interesse verfolgt. Dessen Unternehmen hat ein System und eine Software entwickelt, mit deren Hilfe Maschinen angelernt werden können, selbst Arbeitsschritte und Abläufe zu erledigen - die Maschinen könnten beispielsweise einem Bäcker beim Brötchenbacken helfen.

Power-On steht noch ganz am Anfang, bietet aber eine spannende Technologie, die für uns in unterschiedlichsten Bereichen auch strategische Relevanz hat“, so der 37-Jährige. Derzeit evaluiere man die Technologie und arbeite gemeinsam daran, eine Lösung zu finden, die zu den Anforderungen passt. „Wir wünschen uns, in Zukunft noch stärker zusammenzuarbeiten“, so Piechnick.

Digitalisierung und Automatisierung steht vor dem großen Boom

Den Geschäftsführer des Branchenclusters Robot Valley Saxony, Thomas Schulz, freuen derartige Kollaborationen. Robot Valley zufolge arbeiten in Sachsen mehr als 300 Unternehmen, 41 Forschungsinstitute und 27 Start-Ups an Robotik-Projekten. „In den letzten Jahren ist im Bereich Digitalisierung und Automatisierung so viel passiert, dass wir kurz vor dem großen Boom sind“, sagt Schulz. Er glaube, dass in den kommenden fünf Jahren sich der Markt der industriellen Robotik verdoppeln werde. Grund hierfür seien Cobots.

In zehn Jahren wolle Robot Valley einen Robotik-Campus von Weltruf in Sachsen, in dem Forscher auf Vertreter aus Industrie und Handwerk treffen, Start-Ups gut gedeihen und ihre Unternehmen internationalen Investoren vorstellen.