Berlin. Experten sind alarmiert: Es gibt erste Fälle von West-Nil-Infektionen in Deutschland. Auch Zika ist mittlerweile in Europa angekommen.

Erst ein Mann in Sachsen, der sich in Deutschland nach einem Mückenstich mit dem West-Nil-Virus infiziert und erkrankt, nun zwei weitere Fälle von Frauen aus Berlin und Sachsen, die im Spätsommer erkrankt waren. Auch im Umkreis des ersten Infizierten gibt es laut dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) weitere Verdachtsfälle. Im August infizierten sich außerdem in Frankreich zwei Menschen mit dem Zika-Virus – es sind die ersten in Europa übertragenen Zika-Fälle.

Zwei exotische Krankheitserreger haben sich ihren Weg nach Norden gebahnt. Einzelfälle oder muss sich Deutschland vorbereiten?

Die Vielzahl schwerer Krankheitsverläufe sei erschreckend, sagt der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom BNITM zu den West-Nil-Infektionen. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Denn nur etwa ein Prozent der Infektionen führten zu solchen schweren neuroinvasiven Erkrankungen. Demnach sei von Hunderten weiteren Infektionen mit leichtem Verlauf auszugehen, die nicht diagnostiziert wurden. „Das West-Nil-Virus betrifft offenbar schon weit mehr Menschen in Deutschland als bisher angenommen.“

West-Nil-Infektionen besonders für ältere Menschen bedrohlich

Es sei damit zu rechnen, dass sich das Virus in Deutschland weiter etabliere und es in den kommenden Jahren vor allem in überdurchschnittlich warmen und längeren Sommern zu weiteren Erkrankungsfällen bei Menschen kommen werde, hieß es vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin.

In etwa 80 Prozent der Fälle verläuft eine West-Nil-Virus-Infektion ohne Symptome und wird daher nicht erkannt. Bei knapp 20 Prozent gibt es dem RKI zufolge milde, unspezifische Symptome. Auch diese bleiben häufig unbeachtet. Dabei beginnt die Krankheit laut RKI abrupt mit Fieber, Schüttelfrost, Kopf- und Rückenschmerzen und Abgeschlagenheit. Auch Hautausschlag ist möglich. Schwerere und tödliche Verläufe betreffen meist ältere Menschen mit Vorerkrankungen.

Der Erreger gelangt durch Zugvögel in nördliche Gefilde

Ende September hatten das BNITM und weitere Institute bekannt gegeben, dass erstmals eine durch Mücken in Deutschland übertragene West-Nil-Virus-Infektion beim Menschen nachgewiesen wurde. Mitte August war demnach ein 70-Jähriger aus dem Leipziger Umland an einer Gehirnentzündung erkrankt, der inzwischen wieder genesen ist.

Zuvor war der Erreger bis auf den Fall eines Tierarztes in Bayern, der sich bei der Untersuchung eines Vogels ansteckte, nur in seltenen Fällen bei Reiserückkehrern nachgewiesen worden.

Erste Nachweise des West-Nil-Virus in Europa gab es schon vor Jahrzehnten, größere Erkrankungswellen werden erst seit einigen Jahren registriert. 2018 erfasste die europäische Gesundheitsbehörde ECDC vor allem in Ländern wie Italien, Griechenland, Rumänien, Ungarn und Kroatien rund 2000 Infektionen, rund 180 Menschen starben.

In mehreren deutschen Regionen wurde der aus Afrika stammende Erreger seit 2018 bei Vögeln und Pferden nachgewiesen. In nördlichere Gefilde gelangte er durch Zugvögel und Stechmücken.

Zika: Tigermücke mittlerweile in Deutschland angekommen

Anders als das West-Nil-Virus kann Zika nicht von heimischen, sondern nur von exotischen Aedes-Mücken übertragen werden, zu denen die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) und als Hauptüberträger die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) gehören. Gelbfiebermücken gibt es bisher europaweit nur auf Madeira und östlich des Schwarzen Meeres. Tigermücken hingegen haben einen sehr erfolgreichen Zug gen Norden angetreten.

„In Italien gibt es inzwischen überall Tigermücken“, erklärt Schmidt-Chanasit. Auch in anderen Ländern wie Frankreich, Griechenland und Teilen Deutschlands breiten sich die weiß gestreiften Tiere aus. Anders als heimische Mücken nutzen sie häufig kleine Wasserreservoirs etwa in Untersetzern von Blumentöpfen und sind vor allem im urbanen Umfeld verbreitet.

Die ersten erfassten, durch Tigermücken in Europa übertragenen Zika-Virus-Infektionen gab es in Hyères im südfranzösischen Département Var. Beide Fälle seien im August in kurzem zeitlichen Abstand aufgetreten, hieß es gerade erst von der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC. Mit den fallenden Temperaturen des beginnenden Herbstes verschlechtern sich jedoch die Bedingungen für die Mücken und weitere Übertragungen würden vorerst unwahrscheinlicher, hieß es.

Schwere Folgen für Ungeborene

Dennoch: Die wirklich ersten Fälle sind es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, sagt Schmidt-Chanasit. „Meist gibt es keine Symptome und die Infektion bleibt unerkannt.“ Schwere Folgen können auftreten, wenn sich Frauen früh in der Schwangerschaft mit Zika infizieren. Bei den Säuglingen kann es dann zu Hirn- und Schädelfehlbildungen kommen.

Von 2015 an traten Tausende solcher Fälle bei einer Zika-Epidemie in Brasilien auf. „Eigentlich hätten wir Nachweise in Europa eher damals schon erwartet“, erklärt Schmidt-Chanasit. Woher das in Frankreich übertragene Virus stamme, sei noch nicht bekannt.

Alle Fälle von Zika-Fieber in Deutschland betrafen nach RKI-Angaben Reisende, abgesehen von einem einzigen bekannten Fall einer sexuellen Übertragung im Jahr 2016. Das Vorkommen von Tigermücken bedeute nicht automatisch erhöhte Gefahr, erläutert Schmidt-Chanasit. Ein entscheidender Faktor sei die Temperatur, da sich die Viren nur bei Hitze gut in den Mücken vermehren können.

Es gehe um Temperaturen, die bei uns selbst im Sommer eher selten erreicht würden, sagte Klaus Stark, RKI-Experte für tropische Infektionen.

Chikungunya-Virus für Deutschland gefährlich

Sticht eine Tigermücke einen Infizierten, kann sich das aufgenommene Virus in der Mücke vermehren und auf weitere Menschen übertragen werden, wenn das Insekt erneut zusticht. Anders als die Gelbfiebermücke sei die Tigermücke nach derzeitigem Wissensstand aber nicht in der Lage, große Zika-Ausbrüche zu verursachen, so Schmidt-Chanasit.

Übertragen wird von Tigermücken allerdings nicht nur das Zika-, sondern auch das Dengue- und das Chikungunya-Virus. Als Hotspots für mögliche Ausbrüche gelten dem Hamburger Virologen zufolge Italien, Südfrankreich und Griechenland. Dengue-Fälle gebe es vor allem in Südfrankreich und Griechenland vereinzelt immer wieder mal. „Bei Chikungunya hatten wir in Italien schon zwei große Ausbrüche.“

Dieses Virus sei wahrscheinlich auch das gefährlichste für Deutschland, erklärt Schmidt-Chanasit. „Es kann sich auch bei gemäßigten Temperaturen gut in den Mücken vermehren.“ Der Erreger verursacht lang anhaltende Gelenkbeschwerden etwa in der Hand, die oft als rheumatische Erkrankung verkannt werden. (dpa)