Berlin. Die Behandlung von Erektionsstörungen kann den Sex verbessern und Leben retten. Warum das so ist, erklärt Urologe Frank Sommer.

Erektionsstörungen – Millionen Männer haben Probleme beim Sex. Wie sehr eine sogenannte erektile Dysfunktion die Psyche beeinflussen und warum eine Behandlung sogar Leben retten kann, erklärt Frank Sommer (55). Er ist Urologe, Sportmediziner und Professor für Männergesundheit.

Herr Sommer, wie viele Männer sind von Erektionsstörungen betroffen?

Frank Sommer: Es gibt dazu eine umfangreiche Studie mit etwa 20.000 Teilnehmern im Alter von 20 bis 80 Jahren. Demnach leiden 19,7 Prozent der Befragten, also etwa jeder fünfte Mann, unter Erektionsstörungen. Das ist aber stark altersabhängig. Bei den 20- bis 30-Jährigen waren es nur 2,4 Prozent der Befragten, bei den über 60-Jährigen fast 50 Prozent.

Wie viele Männer wenden sich mit diesen Problemen an einen Arzt oder eine Ärztin?

Es sind mehr als in der Vergangenheit. Die Bereitschaft dazu ist deutlich gestiegen, was auch damit zu tun hat, dass es mittlerweile sehr viele Therapiemöglichkeiten gibt. Viele Männer gehen mit dem Thema offen um, für andere bleibt es schambehaftet. Interessant finde ich, dass Ärzte selbst etwas dazu beitragen könnten, um die Zahl der Behandlungen zu erhöhen. Denn jeder zweite Mann wünscht sich, vom Arzt auf seine Erektionsfähigkeit angesprochen zu werden. Das ist den Männern offenbar lieber, als es von sich aus anzusprechen. Laut Studie werden aber nur etwa zehn Prozent der Männer tatsächlich von Arzt oder Ärztin befragt.

Frank Sommer, Urologe und Professor für Männergesundheit. Er arbeitet in Hamburg.
Frank Sommer, Urologe und Professor für Männergesundheit. Er arbeitet in Hamburg. © Privat | Privat

Was ist die größte Belastung, die mit einer Erektionsstörung einhergeht?

Auch das ist gut untersucht. Langfristige, nicht behandelte Erektionsstörungen führen bei bis zu 50 Prozent der Männer zu einer depressiven Verstimmung. Die Psyche wird dadurch wirklich stark negativ beeinflusst. Und das führt oft dazu, dass diese Männer Alltag und Beruf nicht mehr gut meistern können.

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Sie sagen, dass Erektionsstörungen auch lebensgefährlich sein können.

Es gibt verschiedene Ursachen für Erektionsstörungen: die Nerven, die Hormone, die Potenzmuskulatur. Oft sind aber Durchblutungsstörungen die Ursache. Und dann ist das Gefäßsystem des Penis ein Frühwarnsystem.

Können Sie das genauer erklären?

Bei sexueller Erregung fließt 40- bis 100-mal mehr Blut in den Penis. Dessen Blutgefäße sind sehr klein, sie messen nur ein bis zwei Millimeter im Durchmesser. Das ist ein hochleistungsfähiges Gefäßsystem. Und man kann sich vorstellen, dass sich eine generalisierte Gefäßerkrankung zuerst dort zeigt. Studien zufolge sind ohne Behandlung vier bis acht Jahre später auch die größeren Arterien betroffen, was wiederum bei jedem zweiten Betroffenen zu einem Herzinfarkt führt. Bei unseren Patienten mit Erektionsstörung liegt tatsächlich in 40 Prozent der Fälle eine Gefäßerkrankung vor, die dafür allein oder mitverantwortlich ist.

Wie gehen Sie bei der Diagnose vor?

Wir messen die penilen Gefäße, die Hormone oder auch die Potenzmuskulatur. Es bleibt nichts, wir müssen alles messen. Erst wenn ich weiß, welches System für die Störungen verantwortlich ist, kann ich es heilen. Denn was passiert, wenn Männer einfach nur ein orales Medikament wie etwa Viagra einnehmen? Sie erhöhen irgendwann die Dosis, da die Krankheit weiter voranschreitet. Die Ursache ist nicht behoben. Sind die Gefäße dann erst weitgehend zerstört, ist Heilung schwierig. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich dagegen bin, Potenzmittel aus der Verschreibungspflicht zu nehmen. Wir hätten dann anfangs vielleicht weniger Männer, die mit einer Erektionsstörung zum Arzt gehen. Irgendwann hätten wir aber vielleicht sehr viel mehr Männer, die erst mit schweren Erektionsstörungen zum Arzt kommen.

Sie sagen, dass Männer ihre Potenz trainieren können.

Ja, wir können etwas dagegen tun, dass es bergab geht. In Zeiten des Lockdowns haben wir dafür ein kostenloses Programm entwickelt, das 32 Erklärvideos umfasst. Dabei gilt: Alles, was für den Körper gut ist, ist auch für die Potenz gut.

Können Sie das etwas konkreter beschreiben?

Wir brauchen moderate Bewegung, ein bisschen Stimulation von Muskulatur und Herz-Kreislauf-System. Ich sage ein bisschen, weil man keinen Marathon laufen muss. Es reicht, regelmäßig im Park spazieren zu gehen, wir brauchen Bewegung im Alltag. Darüber hinaus müssen wir auf eine gesunde Ernährung achten. Der dritte Punkt ist etwas schlechter zu beeinflussen: der Kopf. Stressfaktoren in Familie oder Beruf sind schlecht für die Potenz. Unser Programm spricht all das an. Das Wichtigste ist dabei eine stabile Körpermitte. Damit meine ich Übungen für Beckenboden, Bauch- und die mittlere Rückenmuskulatur. Diese Übungen zu machen, ist wirklich brillant.

Wie vielen Männern mit Erektionsproblemen können Ärztinnen und Ärzte helfen?

98 Prozent der Männer, die den Schritt gewagt haben, zum Arzt zu gehen, haben eine Verbesserung ihrer Sexualität erlebt. Vielleicht nicht sofort, aber langfristig. Das ist eine sehr hohe Zahl. Die gute Nachricht ist: Es gibt mittlerweile viele Therapieoptionen, von medikamentös bis operativ. In Deutschland muss kein Mann, der zu allem bereit ist, an Erektionsstörungen leiden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.