Berlin. Für Säuglinge ist es das gefährlichste Atemwegsvirus – das Respiratorische Synzytial-Virus. Jetzt könnte es einen wirksamen Schutz geben.

Das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RSV, ist weit verbreitet. Es kann saisonale Epidemien verursachen und ist eine der Hauptursachen für Klinikaufenthalte bei Kleinkindern. Für junge Säuglinge ist es das gefährlichste Atemwegsvirus. Der US-Pharmakonzern Pfizer hat nun einen Durchbruch bei der Entwicklung eines Impfstoffs vermeldet.

Eine Studie mit rund 7400 Schwangeren in 18 Ländern hat den Angaben zufolge gezeigt, dass die Impfung von werdenden Müttern schwere RSV-Infektionen der unteren Atemwege bei Säuglingen in den ersten 90 Lebenstagen zu etwa 82 Prozent verhindern konnte. Im Alter von sechs Monaten habe sich der Impfstoff zu 69 Prozent gegen schwere Verläufe wirksam gezeigt. Daten zur Wirksamkeit von Impfstoffen bedeuten, dass das Risiko zu erkranken mit einer Impfung um den entsprechenden Prozentsatz niedriger ist als ohne Immunisierung. Lesen Sie auch: Grippe: Wer sich impfen lassen sollte

Aufgrund der guten Ergebnisse wurde die klinische Studie nach dem Erreichen eines zuvor definierten Erfolgskriteriums sogar vorzeitig abgebrochen. Die Daten, so Pfizer, seien der US-Gesundheitsbehörde FDA bereits für die Zulassungsprüfung des Vakzins übermittelt worden. Anträge bei weiteren Zulassungsbehörden sollen in den kommenden Monaten folgen.

RSV: Eine Impfdosis im späten zweiten bis dritten Drittel der Schwangerschaft

Bei der nun entwickelten RSV-Impfung erhielten Frauen während des späten zweiten bis dritten Drittels ihrer Schwangerschaft eine Einzeldosis. Bei einer während der Schwangerschaft verabreichten Impfung handelt es sich um eine maternale Immunisierung: Die durch den Impfstoff erzeugten Antikörper werden im Mutterleib und später über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben. Auch interessant:Booster-Impfung gegen Corona: Ist sie auch für Schwangere sinnvoll?

„Infektionen durch RSV sind eine große bevölkerungsmedizinische Herausforderung“, sagt Prof. Markus Rose, Ärztlicher Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie am Olgahospital, dem Kinderkrankenhaus des Klinikums Stuttgart. Auch chronisch Kranke und Abwehrschwache aller Altersklassen seien bedroht. „RSV ist weltweit nach Malaria die zweithäufigste Todesursache bei jungen Kindern“, so Rose. Bei ihnen kann RSV zu Bronchitis und Lungenentzündung führen.

Die Übertragung des Virus erfolgt durch Tröpfchen. „90 Prozent der Kinder durchlaufen normalerweise in den ersten zwei Lebensjahren RSV-Infektionen, 50 Prozent zweimal“, so Rose. Die Saisonalität und Symptomatik ähnele der einer echten Virusgrippe. Die RSV-Saison startet also normalerweise im Oktober und läuft bis etwa Mitte Mai.

RSV-Impfstoff: Tragödie in den 1960er-Jahren

RSV-Aktivimpfungen bei jungen Säuglingen waren bisher nur schwach wirksam und wurden teilweise auch schlecht vertragen.
RSV-Aktivimpfungen bei jungen Säuglingen waren bisher nur schwach wirksam und wurden teilweise auch schlecht vertragen. © dpa | Swen Pförtner

Seit der Entdeckung des RS-Virus 1957 ist jahrzehntelang vergeblich an einem Impfstoff geforscht worden. Eine Tragödie in den 1960er-Jahren warf das gesamte Forschungsfeld zurück: Nach dem Vorbild des ersten Polio-Impfstoffs stellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen experimentellen RSV-Impfstoff her, indem sie das Virus in einem Labor züchteten und es abtöteten.

Tests an Kindern ergaben jedoch nicht nur, dass der Impfstoff nicht schützte, sondern dass es Kindern, die sich nach der Impfung mit RSV infizierten, noch schlechter ging, zwei starben. Seitdem werden RSV-Impfstoffe zuerst an älteren Erwachsenen und nicht an Kindern getestet.

Seit 1998 gibt es Rose zufolge für Hochrisiko-Kinder, bei denen RSV-Infektionen tödlich verlaufen können, eine Immunprophylaxe mit monoklonalen Antikörpern. „Diese ist gut wirksam, muss aber alle vier Wochen verabreicht werden und steht nur für einem kleinen Teil der gefährdeten Säuglinge zur Verfügung“, sagt Rose. RSV-Aktivimpfungen bei jungen Säuglingen waren bisher nur schwach wirksam und wurden teilweise auch schlecht vertragen.

Pfizer: Impfstoff soll auch für ältere Menschen geeignet sein

Pfizer gab an, dass sein Vakzin nicht nur für Schwangere, sondern auch für Ältere geeignet sei. „Wir haben in den letzten Jahren zunehmend RSV auch als Problem der immer älter werdenden Bevölkerung wie auch der chronisch Kranken und Abwehrschwachen realisiert“ erklärt Rose.

Hier biete der Impfstoffkandidat von Pfizer erstmalig eine Option, solche oftmals sehr schwer verlaufenden Lungenentzündungen zu verhindern. Er zeige eine hohe Gesamtwirksamkeit gegen RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege bei Erwachsenen ab 60 Jahren (82,6 Prozent) mit einem günstigen Sicherheitsprofil. Lesen Sie auch:Omikron-Infektion: Studie belegt Nutzen von Paxlovid

Auch Thomas Mertens, ehemaliger Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Ulm und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (Stiko) findet, die Daten durchaus interessant. Eine endgültige Bewertung sei aufgrund der Mitteilung von Pfizer aber nicht möglich. Mertens: „Dazu braucht man die Originaldaten. In der Mitteilung wird ja eine ordentliche Publikation der Studienergebnisse angekündigt.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de