Berlin. Immer mehr Menschen tragen nachts eine Smartwatch, um erholter aufzustehen. Schlafmediziner sehen bei vielen Geräten aber Gefahren.

Ein sanftes Vibrieren am Handgelenk genügt. Anders als ein lärmender Wecker, der auch den Bettpartner aus den Träumen reißt, teilt die smarte Uhr angenehm dezent mit, dass es nun Zeit ist aufzustehen. Der erste verschlafene Blick am Morgen geht entweder auf den Bildschirm des Handys oder den der summenden Smartwatch am Handgelenk. Die bange Frage: Habe ich ruhig und ausreichend lange geschlafen – oder gibt es einen messbaren Grund, warum ich mich so gerädert fühle? Die Schlafauswertung der App soll Aufschluss geben.

So oder ähnlich sieht das morgendliche Aufwachen bei zunehmend mehr Menschen aus. Sie wollen mit Unterstützung technischer Gadgets ihren nächtlichen Schlaf durchleuchten – und so entweder anhaltende Schlafprobleme loswerden oder besonders fit und ausgeruht in den Tag starten. Stichwort Selbstoptimierung.

Schlafüberwachung: Das können Schlaftracker und Handy-Apps

Zum Einstieg in die Welt der Schlafvermessung genügt bereits das Smartphone, das dafür auf der Bettmatratze liegen muss. Die Schlafüberwachungs-Apps von Android, Apple oder von Drittanbietern wollen mithilfe der Bewegungssensoren oder des Mikrofons im Handy erkennen können, wie lange man schläft, wie oft man sich im Laufe der Nacht bewegt, wie regelmäßig man atmet – und ob Schnarchgeräusche und gefährliche Atemaussetzer (Schlafapnoe) die Schlafqualität mindern.

Genauer gelingt das mit einer Smartwatch am Handgelenk. Die Uhr erkennt Bewegungen noch exakter und kann zusätzlich etwa den Puls oder Blutsauerstoffgehalt messen. Je nach Uhrenmodell und App können Nutzer oder Nutzerin am Morgen einen ermittelten Gesamtwert für die Qualität ihres Schlafs ablesen, den Anteil der einzelnen Schlafphasen sehen und auf mögliche Auffälligkeiten hingewiesen werden. Traumhafte Technik oder technischer Alptraum?

Mehrheit der Modelle kann Schlaf nicht eindeutig erkennen

Skeptisch betrachten den Trend jene, die mit der wissenschaftlichen Brille auf die Neuerungen schauen: Schlafmediziner wie Prof. Christoph Schöbel. „Die wenigsten dieser Schlaftracker wurden wirklich gegen die Messung in Schlaflaboren verglichen“, sagt er unserer Redaktion.

Schöbel ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) und zudem Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums und Professor für Schlaf- und Telemedizin am Universitätsklinikum Essen. Dort haben er und sein Team die nach eigenen Angaben erste schlafmedizinische „Smartwatch-Sprechstunde“ in Deutschland eingerichtet.

Schlafüberwachung mit einem Fitness-Tracker oder einer Smartwatch ist genauer als nur mit dem Smartphone auf der Bettmatratze.
Schlafüberwachung mit einem Fitness-Tracker oder einer Smartwatch ist genauer als nur mit dem Smartphone auf der Bettmatratze. © Getty Images/iStockphoto | AndreyPopov

Prinzipiell freue sich Schöbel, dass sich immer mehr Leute mithilfe digitaler Methoden mit ihrem Schlaf beschäftigen. Ein Problem sieht er aber in der Frage, wie und was genau gemessen wird. Zwar könnten Aktivitätssensoren feststellen, dass sich die Person im Bett nicht bewegt. „Aber ob das wirklich Schlaf ist oder sie nur liest oder wach liegt, darauf kann man allein davon nicht schließen.“

Schöbels DGSM-Vorstandskollege Hans-Günter Weeß bestätigt: „Bei vielen Schlaftrackern und Apps handelt es sich im eigentlichen Sinne um Steinzeitmethoden der Schlafforschung,“ so der Schlafexperte vom Pfalzklinikum Klingenmünster.

Schlaftracker: Medizinprodukt oder nur grobe Schätzung?

Die Mehrheit der verfügbaren Schlaftracker ist demnach medizinisch nur wenig verlässlich: „Bei diesen Geräten wissen wir, dass sie häufig die Gesamtschlafzeit überschätzen“, sagt Schöbel. Die erholsamen Schlafphasen, also Tief- und Traumschlaf, würden dagegen häufig unterschätzt.

Ernster nimmt Schöbel allerdings Ergebnisse erster Geräte auf dem Markt, die als sogenanntes Medizinprodukt vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zertifiziert wurden. Neben den Kriterien Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datensicherheit und Datenschutz ist hierfür ein Vergleich gegen die etablierten medizinischen Messmethoden Voraussetzung.

Käufer erkennen das an der CE-Kennzeichnung für Medizingeräte und erfahren es auf der Herstellerseite. Ein Vorreiter ist Withings aus Frankreich mit der Scanwatch und einer Schlafmatte samt Sensoren, mit der sich durch Messung der Atemfrequenz Schlafapnoe medizinisch genau erkennen lässt.

Nur wenige smarte Uhren mit Schlafmessung sind auch als Medizinprodukt gekennzeichnet, so wie die Scanwatch von Hersteller Withings.
Nur wenige smarte Uhren mit Schlafmessung sind auch als Medizinprodukt gekennzeichnet, so wie die Scanwatch von Hersteller Withings. © scanwatch | scanwatch

Blind auf Messwerte verlassen kann in einem Teufelskreis enden

Neben der Messung zählt für Schlafmediziner die ebenso wichtige Frage: Was leitet man aus so einer Messung ab? „Wenn ich es übertreibe und meinen Alltag nur noch nach gemessenen Werten richte, dann kann das leider auch ins Gegenteil kippen. Das sehen wir leider gerade auch bei Patienten mit Schlafstörungen, die nicht körperlich begründet sind“, sagt Schöbel.

Patienten mit leichten Schlafproblemen würden vielfach ihre Gedanken jeden Abend so sehr ums Einschlafen kreisen lassen, dass sie am nächsten Tag erneut gerädert sind. So kann ein Teufelskreis entstehen. Solche Menschen, sagt Schöbel, könne es eher weiter verunsichern, wenn die Uhr ihnen schlechten Schlaf attestiert, obwohl die Messwerte unzuverlässig sind.

Insomie: So viele Deutsche leiden unter der Schlafstörung

Betroffen sind viele. Laut DGSM ist die Ein- und Durchschlafstörung (Insomnie) eine der häufigsten Erkrankungen im deutschen Gesundheitssystem. Studien zufolge leiden zwischen 6 und 10 Prozent der Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen Insomnie. Nach internationalen Studien kämpft fast jeder zweite Patient länger als drei Jahre mit dieser Erkrankung.

Schlafmittel entlasten nur kurzfristig und können auf Dauer abhängig machen. Bei Insomnie ist sich die Wissenschaft einig, dass eine Verhaltenstherapie am besten hilft, so Schöbel. Diese gibt es unter anderem ebenfalls digital – und zwar als sogenannte App auf Rezept.

App auf Rezept gegen Schlafprobleme

„Somnio“ heißt die erste zugelassene App auf Rezept für Patientinnen und Patienten mit chronischer Ein- und Durchschlafstörungen (Insomnie). Die App für Android und iOS wurde vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte geprüft und als Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) zugelassen. Die Schlaftrainings-App kann von allen Ärztinnen und Psychotherapeuten mit einem Kassenrezept verschrieben werden.

Bei bereits diagnostizierter Insomnie kann sie auch direkt bei der Krankenkasse angefragt werden. Nutzer können in der App etwa ein Schlaftagebuch führen, ihre Schlafzeiten optimieren oder Entspannungstechniken erlernen. Die App „Sleep Score“ wurde erst kürzlich als digitales Tool im Bereich Prävention zugelassen, eine Studie wird hier zudem geplant.

Hilfe bei Schlafstörung: Wann sollte ich einen Arzt aufsuchen?

Ärztliche Hilfe sollte man sich laut Schlafmedizinern holen, wenn drei Kriterien erfüllt sind:

  • Sobald die Einschlaf- und Durchschlafstörungen in der Mehrzahl der Nächte pro Woche bestehen,
  • Die Schlafprobleme über längere Zeit andauern (etwa ein bis drei Monate) und
  • Sich das Ganze auf das Tagesbefinden auswirkt, sprich: man ständig müde ist, Gedächtnisstörungen auftreten, man gereizt ist und die Leistungsfähigkeit schnell in den Keller geht.