Berlin. Künstliche Intelligenz könnte künftig Schüler einer Klasse unterschiedlich fördern. Was sich Forscher und Berufsvertreter erhoffen.

Der derzeitige Aufschwung rund um künstliche Intelligenz (KI) fußt auf dem Konzept des maschinellen Lernens. Die Maschinen, die sich ihre Fähigkeiten gewissermaßen selbst beibringen, überflügeln uns mittlerweile nicht nur in Strategiespielen wie Schach und Co. Sie übersetzen auch Texte, können beim Erstellen medizinischer Dia­gnosen helfen und unsere Autos steuern.

Ihrem Erfolgskonzept folgend sollen die Maschinen nun von Lernenden zu Lehrenden werden – und als intelligente Werkzeuge auch im Schulunterricht eingesetzt werden.

"Im Klassenzimmer der Zukunft arbeiten menschliche und digitale Lehrkraft Hand in Hand", sagt Maria Wirzberger, Professorin für Lehren und Lernen mit intelligenten Systemen an der Universität Stuttgart. "Eine förderlich gestaltete Software kann die Phasen auffangen, in denen die Lehrkraft nicht permanent präsent sein kann", sagt Wirzberger.

Digitale Systeme können dabei immer nur Ergänzungen zum normalen Unterrichtsgeschehen sein und sollen die menschlichen Lehrkräfte keineswegs an die Seite drängen, so die Expertin. Schließlich können nur die Lehrerinnen und Lehrer wirklich in Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern treten und intuitiv Dinge leisten, zu denen eine Software nicht in der Lage ist.

Ein Kind erledigt Schulaufgaben auf einem Tablet.
Ein Kind erledigt Schulaufgaben auf einem Tablet. © Uli Deck/dpa/dpa-tmn/Symbolbild

Künstliche Intelligenz im Unterricht: Wo die Lehrkraft an Grenzen kommt

In der Zukunft aber könnte der digitale Assistent etwa in Selbstlernphasen übernehmen und passgenau Aufgaben an die Lernenden verteilen. Eine einzelne Lehrkraft wird es kaum schaffen, für 20 Schüler und Schülerinnen 20 unterschiedliche Arbeitsblätter vorzubereiten. "Basierend auf Fähigkeitsprofilen der Kinder kann ein KI-gestütztes System das aber sehr wohl", sagt Wirzberger.

Der Mensch soll dabei aber die Leitung behalten und eingreifen, wenn besondere Probleme auftauchen. So blieben auch mehr Ressourcen für Einzelförderung und gleichzeitig können die besonders starken Schülerinnen und Schüler mithilfe der Software extra gefördert werden.

KI in der Schule: Zu hohe Erwartungen an neue Lehrmethoden?

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. "Auf die Lehrkraft kommt es an", betont er. Von ihr gehe die stärkste Motivation für die Schülerinnen und Schüler aus.

Gleichzeitig sei es in einer Gesellschaft, die immer stärker von Digitalisierung geprägt sei und von KI geprägt sein werde, enorm wichtig, dass diese Themen auch in der Schule Eingang fänden. "Und zwar sowohl im Sinne eines Unterrichtsgegenstandes, in dem man sich mit den Auswirkungen beschäftigt, als auch als Unterrichtsmedium", sagt Meidinger.

Als den großen Heilsbringer, der alle aktuellen Probleme des Schulsystems wie Lehrkräftemangel, Bildungsungerechtigkeit, Inklusion und Integration lösen wird, sieht er die künstliche Intelligenz trotzdem nicht: "Meiner Erfahrung nach führt das Überfrachten solcher neuer Entwicklungen mit zu hohen Erwartungen letztendlich immer zu Enttäuschung."

Lernsoftware könnte Unterschiede in Klassen vergrößern

Potenzial für KI im Unterricht sieht auch Meidinger vor allem in ihrer Fähigkeit, den Schwierigkeitsgrad der Aufgaben an die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler anzupassen. Allerdings müsse man sich auch darüber im Klaren sein, dass Schülerinnen und Schüler so zu völlig unterschiedlichen Niveaus gelangen würden.

"Ich habe zwar sehr große Sympathie für individuelle Begabungsförderung und KI könnte da eine Chance sein, besonders begabte Schüler weit tiefer in Fachgebiete hineinzuführen, als das bisher möglich ist", sagt Meidinger. "Umgekehrt wird es aber auch diejenigen geben, die trotz KI deutlich weniger weit kommen."

Schließlich sei es ein Grundsatz in der Pädagogik, dass individuelles Fördern am Ende auch immer zu einer größeren Leistungsspreizung führe. "Letztendlich haben wir aber immer noch ein Schulsystem, das mit Noten, Qualifikationen und Abschlusszeugnissen arbeitet", gibt Meidinger zu bedenken. "Da muss das dann auch entsprechend eingepasst werden."

Heute Software, in Zukunft Roboter? Lehrkräfte an Schulen sollen bald digitale Unterstützung erhalten.
Heute Software, in Zukunft Roboter? Lehrkräfte an Schulen sollen bald digitale Unterstützung erhalten. © iStock | istock

KI kann Schülern unterschiedlich stark auf die Sprünge helfen

Forscher des Max-Planck-Instituts für Softwaresysteme wollen die Lernerfahrungen von Kindern durch den Einsatz künstlicher Intelligenz verbessern. Ihre Algorithmen können den Lernenden einerseits auf die Sprünge helfen, wenn sie bei einer Aufgabe nicht mehr weiterwissen. Andererseits sind sie auch in der Lage, automatisch neue Übungsbeispiele zu kreieren, anhand derer das Erlernte weiter vertieft werden kann.

"Unsere Software hilft dem Schüler mit personalisierten Ratespielen, wenn er nicht mehr weiterweiß", erklärt Adish Singla, der an der Entwicklung der neuen Software beteiligt ist.

Der Algorithmus erkennt also nicht nur das Problem und präsentiert die Lösung. Er entwickelt vielmehr eine eigene kleine Unteraufgabe und bietet mehrere Lösungsvorschläge dazu an, um den Lernenden auf die Sprünge zu helfen. Indem die künstliche Intelligenz gewissermaßen sagt: "Denk doch noch mal über diesen Teil hier nach!", wird das Kind selbst zum Handeln aufgefordert und behält die Kontrolle.

"Das ist viel motivierender als das einfache Ausbessern eines Fehlers", sagt Singla. Die Herausforderung für die Software besteht allerdings darin, die einfachste Aufgabe zu finden, anhand der der Schüler oder die Schülerin das Konzept verstehen kann, das ihm gerade Schwierigkeiten bereitet.

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    Spielerische Elemente steigern die Lernmotivation

    "Wichtig ist aber auch, dass eine Software die Lernenden motiviert und bei der Stange hält", sagt Professorin Wirzberger. Dabei können unter anderem sogenannte Anthropomorphisierungseffekte helfen: also wenn kleine, menschenähnliche Figuren in die Software eingebaut werden, die Hinweise geben oder wichtige Rückmeldung liefern.

    "Auch spielerische Elemente können motivierend wirken, etwa wenn mathematische Rätsel gelöst werden müssen, um einen Schatz zu finden", sagt Wirzberger. Nur wenn all diese Aspekte zusammenkämen, könne eine Lernsoftware erfolgreich sein.

    Der Deutsche Lehrerverband wiederum wünscht sich, dass der Einsatz KI-gestützter Lernsoftware in Deutschland Hand in Hand mit langfristiger empirischer Forschung geht. Das funktioniere, wenn die neuen Methoden zunächst an Modellschulen eingesetzt werden und ihr Erfolg evaluiert wird.

    "Im Endeffekt zählt nur, was Bildung und den Lernerfolg von Kindern besser macht", sagt Präsident Meidinger. "Da möchten wir als Pädagogen schon auch die entsprechenden Nachweise sehen." Wenn es gut funktioniert, könne und solle man die neue Technologie natürlich auch flächendeckend einsetzen. Solch eine bedachte Vorgehensweise ist auch im Sinne der Forschenden selbst.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.