Berlin. Wie sehen sich Väter heute? Soziologin Kim Bräuer hat das untersucht. Ein Gespräch über Verunsicherung und das Streben nach Perfektion.

Nur jeder zehnte Vater in Deutschland leistet in der Familie die Hauptarbeit bei Erziehung und Betreuung der Kinder. Gleichberechtigung ist hier noch nicht erreicht. Doch der Trend zur aktiven Vaterschaft ist klar erkennbar. Das sind Ergebnisse einer Studie von Soziologen der Technischen Universitäten Braunschweig und Kiel. Im Gespräch erklärt Projektleiterin Kim Bräuer, ob Corona die Situation verändert hat und warum Arbeitgeber Väter oft verunsichern.

Frau Bräuer, erklären Sie bitte kurz, wie Sie das aktuelle Vaterbild untersucht haben?

Kim Bräuer: Der erste Teil unserer Studie besteht aus 55 qualitativen Interviews mit Vätern. Erwerbstätige aus unterschiedlichen Branchen, nicht Erwerbstätige und Väter, die bewusst als Hausmänner zu Hause sind. Teil zwei ist eine Online-Umfrage, an der über 3000 Väter teilgenommen haben. Aufgrund wissenschaftlicher Gütekriterien konnten wir 2200 Ergebnisse verwerten. Der dritte Teil besteht aus der Analyse von sieben der reichweitenstärksten deutschen Väter-Blogs im Internet.

Was ist das wichtigste Ergebnis Ihrer Untersuchung?

Bräuer: Die Idee der aktiven Vaterschaft ist in allen Milieus angekommen, auch wenn sie dort nicht überall gleich bewertet wird. Nicht alle Väter finden diese Idee toll, aber alle Väter setzen sich mit dem Bild des aktiven Vaters auseinander und allen Vätern, die an unserer Studie teilgenommen haben, ist es wichtig, eine emotionale und vertrauensvolle Beziehung zu den Kindern aufzubauen. Das Bild des Vaters als Ernährer der Familie dominiert nicht mehr. Nur noch etwa 1,4 Prozent von ihnen halten es für ihre wichtigste Aufgabe, der Familie finanzielle Sicherheit zu bieten.

Über 80 Prozent der Väter in Ihrer Studie haben 40 Wochenstunden oder mehr gearbeitet. Fast jeder Zweite aber glaubte, genauso viel Haus- und Familienarbeit zu leisten wie die Partnerin. Das haut doch nicht hin.

Bräuer: Dass es Unterschiede darin gibt, was Menschen wahrnehmen und was sie tun, ist für mich als Soziologin nicht sonderlich überraschend. Das ist mein tägliches Brot. Dass unsere Studie hier einen Widerspruch aufdeckt, ist wichtig. Und es könnte auch eine Debatte auslösen. Viel interessanter finde ich aber eine andere Erkenntnis.

Welche denn?

Bräuer: Fast alle von uns befragten Väter glauben, dass sie den eigenen Vorstellungen des Vaterseins nicht gerecht werden. Ich habe schon 2015 Väter für eine Studie interviewt, da hat dieser Aspekt noch gar keine Rolle gespielt. Väter denken jetzt offenbar sehr kritisch über sich nach und haben hohe Ansprüche an sich.

Hat die neue Väterstudie geleitet: Soziologin Kim Bräuer von der TU Braunschweig.
Hat die neue Väterstudie geleitet: Soziologin Kim Bräuer von der TU Braunschweig. © TU Braunschweig | ANNETTE DOELGER

Sie wollen Superpapa sein?

Bräuer: Der Wunsch nach Perfektion ist ein Thema, sicherlich. Aber die gefühlte Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit bedeutet noch etwas anderes: Auch Väter sind mit Vereinbarkeitsproblemen konfrontiert. Bisher wurde das vor allem Frauen zugeschrieben.

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Welche Konsequenzen hat das?

Bräuer: Jene Väter, die Familie und Erwerbsarbeit gern aufteilen wollen, bei denen dies aber schlecht gelingt, haben am unglücklichsten über ihr Familienleben berichtet. Sie beschreiben viele Konflikte.

Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Bräuer: In der Vergangenheit gab es viele Programme von der Politik, aber auch in Betrieben, die auf einen Wertewandel gezielt haben. Dieser Punkt scheint erfüllt. Ich glaube, dass Väter jetzt mehr Unterstützung darin brauchen, in der Praxis auch wirklich in der Familien- und Erziehungsarbeit tätig werden zu können. Dazu sollten sie auch öfter als gleichberechtigtes Elternteil angesprochen werden, sei es in der Kita, in der Schule oder bei ehrenamtlichem Engagement. Es braucht mehr Väterangebote.

Was könnte die Politik aus Ihrer Sicht tun, um die Situation für Väter noch zu verbessern?

Bräuer: Die Elterngeldreform muss weitergehen. Das wäre zentral. Väter, die kein hohes Einkommen haben, brauchen 100 Prozent Lohnausgleich. Denn für sie sind die Vätermonate bisher eine Hürde, weil sie sich diese oft nicht leisten können. Da ist die Politik auch mit Blick auf die soziale Gerechtigkeit gefragt.

Was können Unternehmen tun?

Bräuer: Ich denke, dass sie in der Pflicht sind zu signalisieren, dass es gewünscht ist, dass Väter sich aktiv an der Familienarbeit beteiligen. Dass sie etwa zu Hause bleiben können, wenn Kinder krank sind. Die interviewten Väter waren da sehr verunsichert, ob das in den Unternehmen auch wirklich akzeptiert wird.

Es heißt, dass Corona zu einer Retraditionalisierung von Vater- und Mutterrolle beigetragen haben könnte. Ihre Studie umfasst auch die Zeit der Pandemie. Was sagen Sie?

Bräuer: Wir sehen das in unseren Daten nicht. Das Rollenbild bewegt sich nicht wieder in Richtung Tradition. Die Väter haben sich in der Pandemie vielleicht nicht so viel gekümmert wie die Mütter, sie haben aber mehr gemacht als vor der Pandemie, allein weil sie es mussten. Und sie haben während dieser Zeit ein größeres Bewusstsein bekommen für das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Was hat Sie an den Studienergebnissen am meisten überrascht?

Bräuer: Dass sich die Väter große Sorgen über den Klimawandel machen und über die Konsequenzen, die dieser für ihre Kinder hat. Gleichzeitig ist umweltverträgliches Verhalten einer der unbeliebtesten Werte, die Väter ihren Kindern vermitteln wollen. Da frage ich mich wirklich, warum das so ist.