Berlin. Stephanie zu Guttenberg, Start-up-Chefin und Frau von Ex-Minister zu Guttenberg, über Digitalisierung und negative Erfahrungen im Netz.

Stephanie zu Guttenberg (45) ist Mutter von zwei Töchtern und Teilhaberin am Bildungs-Start-up BG3000, das digitale Lern- und Trainingskonzepte vermittelt. Nachdem 2011 herauskam, dass ihr Ehemann, Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, große Teile seiner Doktorarbeit abgeschrieben hatte, ist Stephanie zu Guttenberg mit ihrer Familie in die USA gezogen. Jetzt ist sie zurück und in ihrem neuen Buch „Wir können das besser! Erziehung, Bildung und Leben in der digitalen Realität“, ein Appell für mehr Digitalisierung, erzählt sie auch, wie schmerzlich dieser Skandal für sie war und wie die abgeschriebene Doktorarbeit ihres Mannes sie selbst zum Cyberbullying-Opfer gemacht hat.

Frau zu Guttenberg, Sie sind Teilhaberin beim Start-up BG3000. Habe ich es richtig verstanden, dass Ihr Geschäftsmodell die Vermittlung von Digitalisierung ist?

Stephanie zu Guttenberg: Der Schwerpunkt unserer Arbeit sind digitale Lern- und Trainingskonzepte. BG3000 versteht sich als IT-Labor der Digitalisierung, das digitale Bildung voranbringen will. Inzwischen haben wir mehr als 35.000 Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Lehrende geschult. Wir bieten dreitägige Lern-Camps an, die teilweise gesponsert werden. Die Themen reichen von Cybersafety und -security über Shaming, Bulling, das Internet als Wirtschaftsraum bis hin zur Startup-Gründung, alles, was Jugendliche heute beschäftigt,– und was im Schulunterricht kaum behandelt wird. Leider – muss man dazu sagen. In allen diese Bereiche arbeiten wir mit Experten zusammen – mit Influencern, Youtubern, Online-Journalisten, Hackern, Start-up-Unternehmern und Unternehmerinnen. Das ist schon sehr lustig, wie die Kinder ausflippen, wenn sie plötzlich ihre Youtube-Stars auf dem Schulhof treffen. Die sind ähnlich aufgeregt wie ich früher auf einem Michael-Jackson-Konzert.

Frau zu Guttenberg, wie kommen Sie zu der optimistischen Einschätzung, dass Deutschland Digitalisierung besser kann?

Ich bin Optimistin. Zweitens habe ich großes Vertrauen in die Köpfe dieses Landes, Deutschland ist nicht umsonst eine der größten Volkswirtschaften dieser Welt. Rückblickend hat uns unsere „Brain-Capacity“, das, was wir im Kopf haben, so erfolgreich gemacht, gepaart mit einem exzellenten Ausbildungssystem und einer hohen Chancengleichheit. Aber seit den ersten PISA-Studien vor 25 Jahren haben wir die Zeit verschlafen und unsere Bildung nicht dem Internetzeitalter angepasst. Wir hinken im internationalen Vergleich sehr weit hinterher. Und das ist es, was mir große Sorgen macht.

Wie ist Ihr Eindruck von deutschen Schulen?

Wo fange ich an? Manchmal – wenn ich eine Schule betrete – habe ich das Gefühl, ich gehe in ein Museum. Die Klassenräume sehen oft noch so aus wie zu meiner Schulzeit, kaum eine Schule hat Wlan, digitaler Unterricht findet so gut wie gar nicht statt. Was schade ist, weil unsere Kinder wissensdurstig und experimentierfreudig sind und den Umgang mit neuen Technologien begierig aufnehmen.

Stephanie zu Guttenberg: „Wir können das besser! Erziehung, Bildung und Leben in der digitalen Realität“ erscheint am 6. Oktober, Plassen Verlag, 19,90 Euro.
Stephanie zu Guttenberg: „Wir können das besser! Erziehung, Bildung und Leben in der digitalen Realität“ erscheint am 6. Oktober, Plassen Verlag, 19,90 Euro. © Frank Bauer | Frank Bauer

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass durch das Chaos der Corona-Pandemie, den Kindern das Grundrecht auf Bildung genommen wurde. Es gab ja Gründe, warum Schulen geschlossen wurden…

Die Gründe sind offensichtlich. Aber Länder, die vor der Pandemie besser aufgestellt waren, haben sehr viel weniger Lern- und Lehrverluste erlitten als die Schüler in Deutschland. Natürlich gab es auch hierzulande einige Leuchtturmschulen, die sich selbständig auf den digitalen Weg gemacht haben. Was Deutschland aber in der Fläche zu verantworten hat, ist während der Pandemie ein Totalausfall in puncto Bildung. Und wenn man Kinder nicht lernen lässt, weil man die Bedingungen dafür nicht geschaffen hat, kann man das – überspitzt formuliert – als einen Entzug des Grundrechts auf Bildung bezeichnen.

Der nächste Winter naht, die Corona-Zahlen steigen wieder, dazu gibt es eine Energiekrise: Wie empfinden Sie es, wenn heute wieder Schulschließungen als Option für den Winter diskutiert werden?

Das ist für mich schwer nachzuvollziehen. Das, was wir den Kindern mit den Schulschließungen angetan haben, wird uns noch Jahre beschäftigen. Neben dem beschriebenen Bildungsausfall werden auch die mentalen Folgen erheblich sein.

Sie haben lange in den USA gelebt, was kann das deutsche Schulsystem vom amerikanischen lernen?

Die Amerikaner haben ihre eigenen Pro­bleme in der Bildung. Aber wenn wir uns dort die guten Schulen anschauen, privat wie öffentlich, können wir viel lernen. Dort ist es normal, dass Schüler im Unterricht Excel-Tabellen oder Power-Point-Präsentationen erstellen und Programmiersprachen lernen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Nicht alle müssen Programmierer werden, aber dieses Wissen erhöht das digitale Grundverständnis. Das haben die Amerikaner längst verstanden, weil sie zukunftsgewandt und sehr wettbewerbsorientiert sind, während wir noch über die Kosten fürs Schul-Wlan diskutieren.

Haben Sie mal eine Programmiersprache gelernt?

Ich habe vor Jahren einen einfachen Basic-Coding-Kurs und eine MS-DOS-Schulung gemacht. Ist nicht der Rede wert, hat mir aber trotzdem geholfen. Zuhause bin ich jedenfalls diejenige, die die elektrischen Geräte repariert – und Probleme am Computer löst.

Sie sagen, dass wir in puncto digitale Bildung sogar von der Ukraine lernen können…

Das ukrainische Bildungssystem ist viel digitalisierter als unseres. Die Menschen erleben einen Krieg, die ultimative Krise, die Kinder einer Klasse sind in unterschiedlichen Regionen und Ländern verteilt – und lernen doch zusammen, nehmen digital am Unterricht und am Klassengeschehen teil. Für 18 Schulfächer haben die Lehrer Arbeitsmaterial digital zur Verfügung zu stellen, 1200 Bücher wurden digitalisiert. Das ist doch, so schlimm die Ursache dafür ist, absolut bemerkenswert.

Was muss in den Schulen passieren?

Als Erstes brauchen unsere Schulen eine flächendeckende Ausstattung. Dazu gehört ein problemloser Internetzugang, ein stabiles Netz und Computer oder Tablets mit aktuellen Betriebssystemen und Programmen. Wenn wir mit unseren BG3000-Camps an die Schulen kommen, gibt es selten Wlan, man könnte auch sagen: Wir bringen das Internet mit. Die Ausstattung der Schulen in Deutschland ist ein Desaster im internationalen Vergleich. Zudem bringt es nichts, wenn wir die Technik haben, aber niemanden, der damit umgehen kann. Jede Schule braucht einen Digitalbeauftragten. Und bei der Lehrerausbildung müssen digitale Komponenten integriert werden.

Muss der Bildungsetat in Deutschland erhöht werden?

Wir geben 4,2 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Bildung aus, Dänemark 6,4 Prozent. Wir müssen uns fragen: Was ist uns Bildung wert? Die nächste Frage muss sich nach dem Wie richten: Ist das Geld bisher richtig investiert worden, wenn wir international hinterherhängen? Die Antwort lautet ganz klar: Nein. Zudem müssen wir diesen famosen Digitalpakt prüfen. Der ist so kompliziert gestaltet, dass die Schulen das Geld kaum abrufen können.

Sie haben zwei Töchter, die sind mit 19 und 21 Jahren nun erwachsen, aber wie haben Sie es mit der Internetzeit gehalten?

Meine Kinder sind vor der Einführung des Smartphones durch Steve Jobs im Jahr 2007 geboren. Das erste Handy meiner Tochter war ein rotes Klapphandy mit einem Spiel: „Snake“. Ansonsten konnte sie nur telefonieren und SMS schreiben, also viel konnte sie nicht anstellen. Erst als meine Töchter die fünfte Klasse in der Middle School besuchten, haben sie Laptops bekommen. Ich habe mit ihnen Medienverträge gemacht, in denen wir ihre tägliche Medienzeit vereinbart haben. Und ich habe versucht, ihnen zu erklären, was alles im Netz passiert. So wie wir den Kindern auf dem Spielplatz beibringen: „Geh nicht mit dem fremden Mann mit“, gilt diese Regel auch fürs Digitale.

Viele Eltern sind zu besorgt darüber, wer und was den Kindern alles im Netz begegnen kann. Wie soll man dieser Überforderung begegnen?

Mobbing, Missbrauch, Fake News, Desinformation oder psychische Probleme sind nicht erst mit dem Internet aufgekommen. Die digitalen Medien wirken wie ein Brennglas auf Probleme, die es immer schon gab: Oft schimpfen Eltern auf das Smartphone oder Social Media, setzen sich aber gar nicht mit den Programmen und Kanälen auseinander, die das eigene Kind benutzt. Sie sehen nur den Kopf vor dem Bildschirm, haben sich aber nie mit Tiktok oder „Counter-Strike“ auseinandergesetzt. Eltern sollten sich mehr mit der Lebenswelt ihrer Kinder beschäftigen, dann fühlen sich ihre Kinder auch ernst genommen.

Stephanie zu Guttenberg mit ihrem Mann Karl-Theodor, dem früheren Ex-Verteidigungsminister, in der „Wetten dass..?“-Show von Thomas Gottschalk im Jahr 2009.
Stephanie zu Guttenberg mit ihrem Mann Karl-Theodor, dem früheren Ex-Verteidigungsminister, in der „Wetten dass..?“-Show von Thomas Gottschalk im Jahr 2009. © imago images/Eventpress | Eventpress Walter via www.imago-images.de

Sie haben 2011 selbst erlebt, wie sich ein Shitstorm anfühlt. Ihr Mann, Karl-Theodor zu Guttenberg, hat seine Doktorarbeit abgeschrieben. Auch Sie haben die gesellschaftliche Ächtung gespürt. Wie war das?

Ich bin in Sippenhaft genommen worden. In den Augen vieler war ich mitschuldig, nur weil wir verheiratet sind. Das war eine sehr heftige und intensive Erfahrung. Nur: Mir ist all das als erwachsener Frau passiert. Ich konnte das einordnen und mich schützen. Aber Opfer eines Shitstorms oder digital gemobbt zu werden, das kann jedem passieren. Jeder kann zum Opfer werden. Dafür braucht es nicht viel, manchmal reichen wenige Worte. Wenn allerdings Kinder gemobbt werden oder einen Shitstorm erleben, ist der Druck enorm und nur schwer zu verkraften. Das kann eine traumatische Erfahrung werden.

Sie sind nicht schuld daran gewesen, ihr Mann hat ja betrogen. Wie sind Sie dadurch gekommen? Und was raten Sie anderen Betroffenen?

Auch wenn man von allen Seiten durch den Kakao gezogen wird, kann man sich trotzdem schützen. Ich lese keine Hass-Kommentare mehr. Das tue ich mir nicht an. Damals sind wir ins Ausland gegangen. Da bin ich sicher in einer privilegierten Situation gewesen. Aber Amerika war für uns in dieser Zeit der geeignete Ort. Dort geht man anders mit persönlichen Niederlagen um. In Deutschland wird ein Leben lang auf den Fehler hingewiesen. In den USA akzeptiert das Umfeld das Scheitern und bietet jedem eine echte zweite Chance. Außerdem: Es war unglaublich erfrischend, wenn einfach mal keine Sau weiß, wer man ist. Diese Chance hat aber nicht jeder, das ist mir bewusst.

Was empfehlen Sie Eltern betroffener Kinder?

Wenn so etwas passiert, sollte man alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. Auch den drastischen Schritt: einen Schulwechsel. Wichtig ist, dass Eltern für ihr Kind einstehen, die Schule informieren und klare Sanktionen einfordern. Wenn Täter nicht bestraft oder zur Verantwortung gezogen werden, fühlen sich Opfer ohnmächtig. Kinder müssen lernen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat – analog und digital.

Gibt es eine Regel für Eltern, um ihre Kinder im Netz vor Missbrauch zu schützen?

Es gibt nicht die eine goldene Regel. Aber in allen Situationen schützt ein sicheres, starkes Umfeld, in dem man vertrauensvoll miteinander umgeht und kommuniziert. Wenn sich das Kind den Eltern anvertrauen kann und die Eltern sich für alles, was das Kind im Netz macht, interessieren, ist es am besten geschützt.