Berlin. „Wir haben abgetrieben!“ - mit diesem Titel schrieb der „Stern“ Geschichte. 50 Jahre später sind Abtreibungen noch immer verboten.

Es war ein absoluter Tabubruch: Am 6. Juni 1971 – Sonntag vor 50 Jahren – erschien der wohl bekannteste „Stern“-Titel mit der Schlagzeile „Wir haben abgetrieben!“. 30 prominente und nicht-prominente Frauen waren auf dem Titel zu sehen. Unter ihnen die Schauspielerinnen Romy Schneider, Sabine Sinjen und Senta Berger.

Alice Schwarzer bewundert die mehr als 300 Frauen für ihren Mut

Unglaublich: Mehr als 300 Frauen hatten sich öffentlich zu einer Handlung bekannt, die nicht nur als amoralisch galt, sondern unter Strafe stand. „Ich bewundere bis heute diese 373 Frauen, die den Anfang gemacht haben“, sagt Schwarzer. „Sie wussten nicht: Lässt ihr Mann sich scheiden? Verlieren sie ihre Stelle? Reden die Nachbarn noch mit ihnen? Sie wurden dann Heldinnen. Aber das war damals noch nicht absehbar“, so Alice Schwarzer (78), Initiatorin der „Stern“-Aktion.

„Wir haben abgetrieben“: Umjubelter Beginn einer neuen Frauenbewegung

Auch für die Journalistin und spätere „Emma“-Herausgeberin, war das, was passierte, eine faustdicke Überraschung. Das Bemühen um die Abschaffung des Paragrafen 218, der Frauen seit 1871 verbietet, eine Schwangerschaft abbrechen zu lassen, und mit Haft bis zu drei Jahren drohte, hatte weltweit für Aufsehen gesorgt. Was da passiert war, war eine Revolution.

Initiatorin der „Stern“-Aktion: Frauenrechtlerin Alice Schwarzer
Initiatorin der „Stern“-Aktion: Frauenrechtlerin Alice Schwarzer © dpa | Oliver Berg

Die umjubelte Geburt einer neuer Frauenbewegung wurde begleitet von Kundgebungen und Spruchbändern: „Jeden Tag werden in der Bundesrepublik 2000 bis 3000 illegale Abtreibungen durchgeführt. Unsere Aktion soll Schluss machen mit der Heuchelei“, riefen die Protestlerinnen. Illegale Abtreibungen, das bedeutete: Täglich starben Frauen an den Folgen verpfuschter Eingriffe. Kamen Ärzte ins Gefängnis, die Abtreibungen vornahmen.

Und dann der Triumph. Am 26. April 1974 kommt es zur lang ersehnten Reform von Paragraf 218. Ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten war erlaubt, ohne Angaben von Gründen. Freiheit riefen die einen. Für die anderen war es die Legitimation, Leben zu beenden. Im Februar 1975 stoppte das Bundesverfassungsgericht die Gesetzesreform wieder. „Fristenlösung geht nicht, weil der Embryo ein eigenes Grundrecht auf Leben hat“, hieß es.

Abtreibungsgesetz – Strafe oder doch keine Strafe?

Erst 1992, nach dem Fall der Mauer, kommt die so umjubelte und in der DDR praktizierte Fristenlösung wieder zum Zug, wie sie heute in fast 80 Prozent der Länder weltweit umgesetzt ist: In den ersten drei Schwangerschaftsmonaten entscheidet ganz allein die Frau, was zu tun ist. Schon ein Jahr später aber kippen die Karlsruher Richtern die Fristenlösung wieder. Damit ist der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland bis heute rechtswidrig. Eigentlich. Denn wenn die Abtreibung nach einer Pflicht-Beratung durchgeführt wird, droht keine Strafe. Für Alice Schwarzer eine schizophrene Situation. „Es ist ein halbherziges Gesetz, das man auch jederzeit wieder strenger interpretieren kann.“ Mittlerweile sei Deutschland hier das rückständigste Land Westeuropas.

Liberale Gesetze führen zu sinkenden Abtreibungszahlen

Kritiker aus der katholischen Kirche werfen Schwarzer vor, sie habe mit der Aktion Abtreibung propagiert. Sie hält dagegen: „Damals trieben eine Million Frauen im Jahr nur in der Bundesrepublik ab. Heute sind es in Gesamtdeutschland ungefähr 100.000. Man kann also sagen, dass niemand so viel gegen Abtreibung getan hat wie wir Feministinnen.“

Weltweit zeige sich, so Experten, dass Länder – wie zum Beispiel Kanada –, mit liberalen Abtreibungsgesetzen zugleich die Länder mit den wenigsten Schwangerschaftsabbrüchen sind. Nicht Zwang und Kontrolle nämlich verhindern ungewollte Schwangerschaften, „sondern vor allem Aufklärung über Verhütung, wie wir seit langem ja auch in Schulen erleben“, so Dörte Frank-Boegner, Vorsitzende von Pro Familia. Da hätte sich in den letzten fünfzig Jahren Entscheidendes geändert.

Pro Familia: Frauen stehen heute extrem unter Druck

Doch noch ist längst nicht alles gut. „Frauen stehen heute unter einem anderen Druck“, so Frank-Boegner. Sie müssten sich rechtfertigen, warum sie nicht richtig verhütet hätten. Vor allem aber stünden sie unter Zeitdruck. Denn ein Abbruch ist nur in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten möglich. Es müsse nämlich erstmal ein Arzt gefunden werden, der den Eingriff durchführt. Gar nicht so leicht. „Denn wir steuern auf einen Versorgungsengpass zu“, so die Pro-Familia-Vorsitzende.

Kaum noch Ärzte, die Eingriffe durchführen

Immer weniger Ärzte würden den Eingriff vornehmen, auch weil sie oft öffentlich angegangen würden und Hassbriefe, sogar Morddrohungen erhalten. Die Pro-Familia-Vorsitzende sieht gewisse Parallelen zu einst, als Frauen nach Holland fuhren, um Abtreibungen vornehmen zu lassen. Oder - auch das befürchten Experten – dass ein Markt von illegalen Anbietern entsteht, mit Lebensgefahr für die Frau.