Berlin. Immer mehr Beschäftigte greifen zum Alkohol, um Stress abzubauen. Auch die Zahl der Krankheitstage hat deshalb drastisch zugenommen.

Einen Wodka im Kaffee. Manche trinken schon während der Arbeitszeit. Einige haben immer einen Flachmann dabei, aus dem sie ab und zu einen Schluck nehmen. Andere trinken ganz offen beim Mittagessen.

Ob Stress, Überforderung oder Existenzängste die Ursachen sind: Immer mehr Berufstätige greifen zu Alkohol. Was vielleicht als Mittel zur Entspannung gedacht ist, führt immer öfter zur Alkoholsucht und Krankschreibungen im Job. Dies haben Studien der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) unter Berufstätigen ergeben, die dieser Redaktion vorliegen.

Fast ein Drittel der Berufstätigen trinkt an mehreren Tagen pro Woche Alkohol, neun Prozent davon sogar täglich. Die Mehrheit versucht dabei, durch Alkohol besser vom Alltag abzuschalten und Stress abzubauen, wie eine repräsentative Forsa-Umfrage ergeben hat. Und die Zahl der Alkoholtrinkenden hat seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich zugenommen.

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Alkohol am Arbeitsplatz: Jeder neunte trinkt seit Corona mehr Bier und Wein

So trinkt seitdem jeder neunte Beschäftigte mehr Bier, Wein, Sekt oder Hochprozentiges. Möglicherweise, weil sich persönliche Sorgen weiter durch Überlastung, Konkurrenzdruck, Geldsorgen und Existenzängste verstärkt haben.

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„Besonders in Krisenzeiten sind Rauschmittel eine Art Bewältigungsmechanismus, da sie entspannen, beruhigen und vermeintlich Ängste und Sorgen vertreiben“, erläutert Michael Falkenstein, Experte für Suchtfragen bei der KKH. Gefährdet seien vor allem Menschen, die bereits unter einer Alkoholsucht leiden oder dazu neigen.

Zahlreiche Menschen kommen auch nicht mit dem isolierten Arbeiten im Homeoffice zurecht. „Wer nicht mehr täglich zur Arbeit fährt, verliert leicht seinen Tagesrhythmus“ und habe weniger soziale Kontrolle durch Kollegen und Kunden. „Die Hemmungen mit Blick auf den Alkoholkonsum sinken“, so Falkenstein.

Alkohol im Job: Krankheitsdauer wegen Alkohol steigt auf 38 Tage

Die mit höherem Konsum steigende Gefahr einer Alkoholsucht schlägt sich auch massiv auf die Krankenstände nieder. Berufstätige KKH-Patienten, die wegen einer Alkoholerkrankung von Ärzten krankgeschrieben wurden, fehlten 2021 durchschnittlich für 38 Tage. Drei Jahre zuvor lag der Schnitt für solche Krankschreibungen noch bei 31 Tagen.

Während der Pandemie stieg die Krankheitsdauer der KKH-Versicherten mit Job auf einen Spitzenstand von 40,7 Tagen 2020 an, 2019 lag er noch bei 38,2 Tagen. Insgesamt diagnostizierten Ärzte 2021 unter den 700.000 berufstätigen KKH-Versicherten rund 8200 Patienten eine Alkoholsucht – 1,7 Prozent der Männer und 0,7 Prozent der Frauen.

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Vor allem in der Altersgruppe der 40- bis 44-Jährigen habe sich das Trinkverhalten am stärksten – um 18 Prozent – erhöht, unter den 25- bis 29-Jährigen wurde eine Zunahme von 9,2 Prozent verzeichnet. Bei denen zwischen 45 und 49 Jahren sank die Zahl der Süchtigen dagegen um 4,4 Prozent, bei den 55- bis 59-Jährigen um 3,5 Prozent.

Alkohol: Dunkelziffer der Erkrankten noch höher

Noch deutlicher wird die Entwicklung durch den Blick auf die vergangenen zehn Jahre. Seit 2011 hat sich die Zahl der bei der KKH versicherten Berufstätigen, die exzessiv Alkohol konsumierten, bis 2021 um rund ein Drittel (32 Prozent) erhöht. Besonders stark betroffen sind die Mittdreißiger.

So kletterte die Zahl der Alkoholkranken zwischen 35 und 39 Jahren um 88,5 Prozent. Dabei handelt es sich nicht um Menschen, die mal ein Glas Wein trinken. Es geht um Berufstätige, die von ihren Ärzten wegen Alkoholsucht krankgeschrieben werden – wegen Rauschtrinkens, Alkoholabhängigkeit, Entzugserscheinungen und psychischen Verhaltensstörungen.

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Die Dunkelziffer der Alkoholkranken dürfte laut KKH sogar noch um ein Vielfaches höher liegen.

Und wie können Kolleginnen und Kollegen helfen? Die Betroffenen sollten beobachtet werden. Bestätigt sich ein Verdacht, sollte man sich an eine Führungskraft oder den Betriebsarzt wenden, so Falkenstein: „Keinesfalls sollte problematischer Konsum gedeckt und die Auswirkungen durch andere ausgeglichen werden.“