Berlin. In Ischgl, dem europäischen Ground Zero der Pandemie, haben viele Leute Antikörper gegen Covid-19. Wird eine Herdenimmunität erreicht?

Wer nach dem Ground Zero der Corona-Pandemie in Europa sucht, kommt an Ischgl im Westen Österreichs nicht vorbei. Bisher war der rund 1600-Seelen-Skiort in Verruf. Nun wird das Dorf zum Sehnsuchtsort. Die unausgesprochene Hoffnung: Eine Herdenimmunität rückt näher. Bei Ausbruch der Pandemie hatten Staaten wie Holland und Großbritannien – und bis heute Schweden – vergeblich darauf gesetzt.

Über 42 Prozent der Einwohner und Einwohnerinnen Ischgls verfügen laut einer Studie der Medizinischen Universität Innsbruck in ihrem Blut über Antikörper gegen den Erreger. Das ist der höchste je in einer Studie nachgewiesene Anteil. „Auch wenn damit nicht von einer Herdenimmunität auszugehen ist, dürfte die Ischgler Bevölkerung doch zu einem Gutteil geschützt sein“, erklärt die Leiterin der Studie, die Virologin Dorothee van Laer.

Coronavirus in Ischgl: Wie lange hält die Immunität an?

Die Innsbrucker Forscherinnen und Forscher sind vorsichtig. Sie sprechen von einer „Leuchtturmstudie“. Sie sei nicht einmal für Österreich repräsentativ. Aber sie weckt europaweit Hoffnungen: dass die Dunkelziffer überall höher und das Sterberisiko geringer sein könnten als bisher angenommen. Die vielleicht wichtigste Frage bleibt indes offen: die nach der Immunität.

Wie lange sind die Träger und Trägerinnen von SARS-CoV-2-Antikörpern vor einer Infektion geschützt? „Es wäre sicher sinnvoll, die Ischgler Kohorte weiterhin zu begleiten“, gibt der Direktor der Universität, Wolfgang Fleischhacker, zu bedenken. So könne der Schutzfaktor weiter untersucht werden.

Ischgl: Fast 80 Prozent der Bevölkerung machten bei der Studie mit

79 Prozent der Ischgler und Ischglerinnen ließen sich vom 21. bis 26 April testen: insgesamt 1.473 Menschen, darunter 214 Kinder. 42,4 Prozent wiesen Antikörper auf. Dabei betrug die bis dahin bekannte Infektionsrate nur 15 Prozent.

„Besonders interessant an den Ergebnissen der Studie in Ischgl ist, dass ein Großteil der Personen mit Antikörpern erst durch die Studie als Coronafälle identifiziert wurde“, erläutert einer der Forscher, der Epidemiologe Peter Willeit. Demnach waren 85 Prozent der Studienteilnehmenden also ahnungslos, sie hatten keine Symptome oder nur so leichte, dass sie die Infektion für einen harmlosen Schnupfen gehalten haben.

Ischgl gilt als eines der Corona-Ausbruchszentren

Zur Erinnerung: Ischgl war das Schwungrad bei der Verbreitung des Virus. Allein aus der EU sollen sich dort nach ORF-Recherchen mehr als 11.000 Bürger und Bürgerinnen mit dem Virus angesteckt haben – bis zum 13. März, dem Tag, als Deutsche, Niederländer und Skandinavier in Scharen die Flucht antraten.

Im Ort selbst waren zwei Menschen mit Covid-19 gestorben, neun Personen kamen ins Krankenhaus. Tausende Skifahrer und Skifahrerinnen reisten daraufhin ab, in der Regel ohne Symptome zu spüren. Und so erging es auch dem Großteil der Menschen in Ischgl.

Schon bisher wurde eine hohe Dunkelziffer angenommen. Die jetzige Studie erhärtet diese Annahme. Und: Je höher die Gesamtzahl der angesteckten Personen steigt, desto niedriger wird die Todesrate. Das sind die beiden Punkte, die Hoffnung machen.

Coronavirus in Ischgl: Antikörper-Tests sollen zuverlässig sein

Auf dem Prüfstand stand aber auch die „Anwendungssicherheit“ der Antikörper-Tests. Die Eiweißmoleküle, sogenannte Immunglobuline, werden vom Immunsystem zur Bekämpfung von Krankheitserregern und anderen Fremdstoffen gebildet.

„Um die SARS-CoV-2-spezifischen Immunglobuline IgA und IgG im Blut nachweisen zu können, haben wir ein dreistufiges Verfahren mit maximaler Sensitivität und praktisch 100 Prozent Spezifität etabliert“, beschreibt Virologin van Laer die Teststrategie.

Dabei wurden zwei hochsensitive so genannte ELISA-Tests eingesetzt, deren negative Ergebnisse als endgültig negativ beurteilt wurden. Übereinstimmend positive Ergebnisse wurden als „Hinweis auf eine zurückliegende Infektion mit SARS-CoV-2“ beurteilt. War nur ein ELISA positiv, der andere negativ, wurde zur weiteren Abklärung ein Neutralisationstest durchgeführt.

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