London. Der US-Forscher Michael Guillen war selbst auf Titanic-Expedition – und erlebte einen Albtraum. Jetzt erzählt er seine Geschichte.

Auf engstem Raum und mit begrenztem Vorrat an Sauerstoff: Auch ohne Probleme ist eine U-Boot-Expedition nichts für schwache Nerven. Kaum vorstellbar, was die Insassen des Touristen-U-Boots Titan seit Sonntag durchmachen – die Suche nach den Verschollenen gestaltet sich schwierig. Es ist ein Kampf gegen die Zeit, denn der Sauerstoff dürfte nur noch wenige Stunden reichen.

Die Expedition zum 1912 gesunkenen Ozean-Dampfer Titanic ist gefährlich. Allein die Tiefe hat es mit 3800 Meter in sich. Trotzdem wagen sich immer wieder Menschen zu der Titanic hinab. Einer von ihnen ist der US-Wissenschaftler und Journalist Michael Guillen. Der Physiker nahm 2000 an einer Expedition zur Titanic teil – und hätte die Reise um ein Haar nicht überlebt.

Guillen tauchte an Bord eines russischen U-Boots zu dem berühmten Wrack. Die Reise bis zur Titanic verlief zunächst auch ohne Probleme – am Wrack angekommen, sei das Tauchboot aber plötzlich in eine starke Strömung geraten, die das U-Boot zwischen eine Schiffschraube und den Rumpf der Titanic getrieben habe. Alle Versuche, sich zu befreien, scheiterten.

Titanic-Fotostrecke: Verschwundenes U-Boot sorgt für Rätsel

Die Titanic galt bei ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York 1912 als unsinkbar. Doch es kam anders. Das Wrack des Schiffs liegt seitdem in etwa 3800 Meter Tiefe rund 600 Kilometer von Neufundland/Kanada entfernt auf dem Meeresgrund.
Die Titanic galt bei ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York 1912 als unsinkbar. Doch es kam anders. Das Wrack des Schiffs liegt seitdem in etwa 3800 Meter Tiefe rund 600 Kilometer von Neufundland/Kanada entfernt auf dem Meeresgrund. © imago stock&people
Hochauflösende 3D-Aufnahmen zeigen das Wrack der Titanic.
Hochauflösende 3D-Aufnahmen zeigen das Wrack der Titanic. © Atlantic Productions/Magellan
Das Foto aus dem Jahr 2004 zeigt die Überreste eines Mantels und von Stiefeln im Schlamm des Meeresbodens nahe des Hecks der Titanic.
Das Foto aus dem Jahr 2004 zeigt die Überreste eines Mantels und von Stiefeln im Schlamm des Meeresbodens nahe des Hecks der Titanic. © Institute for Exploration, Center for Archaeological Oceanography/AP/dpa
Das U-Boot Titan des Unternehmens Oceangate Expeditions versprach Touristen, es bis zum Wrack der Titanic zu führen, um all diese Dinge aus der Nähe zu sehen.
Das U-Boot Titan des Unternehmens Oceangate Expeditions versprach Touristen, es bis zum Wrack der Titanic zu führen, um all diese Dinge aus der Nähe zu sehen. © OceanGate Expeditions/AP/dpa
Seit seiner letzten Mission am Sonntag, 18. Juni, galt das U-Boot jedoch als verschollen. Inzwischen steht fest: Es ist gesunken.
Seit seiner letzten Mission am Sonntag, 18. Juni, galt das U-Boot jedoch als verschollen. Inzwischen steht fest: Es ist gesunken. © Google/dpa
Insgesamt fünf Menschen befanden sich an Bord des Tauchbootes.
Insgesamt fünf Menschen befanden sich an Bord des Tauchbootes. © Oceangate Expeditions/PA Media/dpa
Dieses von American Photo Archive zur Verfügung gestellte Foto zeigt den Innenraum des Tauchboots Titan mit den damals reisenden Passagieren. Die Ticketpreise lagen bei ca. 250.000 Dollar.
Dieses von American Photo Archive zur Verfügung gestellte Foto zeigt den Innenraum des Tauchboots Titan mit den damals reisenden Passagieren. Die Ticketpreise lagen bei ca. 250.000 Dollar. © American Photo Archive/Alamy/PA Media/dpa
Unter den wohlhabenden Touristen war auch der britische Geschäftsmann und Abenteurer Hamish Harding.
Unter den wohlhabenden Touristen war auch der britische Geschäftsmann und Abenteurer Hamish Harding. © Felix Kunze/Blue Origin/AP/dpa/Archiv
An Bord des Bootes befanden sich außerdem der Kommandant Paul-Henry Nargeolet (l), der als einer der bekanntesten Experten für das Titanic-Wrack galt und daher den Spitznamen
An Bord des Bootes befanden sich außerdem der Kommandant Paul-Henry Nargeolet (l), der als einer der bekanntesten Experten für das Titanic-Wrack galt und daher den Spitznamen "Mr. Titanic" trug. © JIM ROGASH/AP/dpa
An der Rettungsaktion waren mehrere Flugzeuge, Schiffe und Sonarboote beteiligt.
An der Rettungsaktion waren mehrere Flugzeuge, Schiffe und Sonarboote beteiligt. © Handout / US Coast Guard / AFP
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Guillen überlebte Titanic-Expedition knapp: Diesen einen Satz werde er nie vergessen

"Unser U-Boot war im Vergleich zur Schiffsschraube wie eine Mücke", erinnert sich Guillen. "Riesige Teile der Titanic fielen auf uns herab – und ich wusste, dass wir in Schwierigkeiten sind." In dieser ausweglos scheinenden Situation habe er sich an eine Geschichte erinnert, die ihm der Kapitän vor der Expedition über einen anderen Eingeschlossenen erzählt hatte: Dieser habe versucht, die Luke zu öffnen, um aus dem U-Boot zu entkommen. Er habe den "gesamten Ozean ins Schiff hineingelassen", so Guillen.

Wer meilenweit unter der Wasseroberfläche so etwas mache, mit dem sei es vorbei. Der Gedanke, dass die anderen Insassen des U-Boots in Panik die Luke aufreißen könnten, habe Guillen schließlich derart nervös gemacht, dass er sich auf den Ernstfall vorbereitete. "Ich habe mich so im U-Boot platziert, dass ich jeden wegstoßen konnte, der versucht hätte, an die Luke heranzukommen." Auch mit seinem Tod habe er sich irgendwann auseinandergesetzt.

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Einen Satz, der ihm durch den Kopf ging, werde er nie vergessen, so Guillen. "So also wird es für dich enden." Er habe auch an seine Frau gedacht - daran, dass "ich sie nie wieder sehen würde." Und auch an die vielen Menschen, die auf der Titanic gestorben seien. Doch nach einer Stunde gelang das Wunder. Der Kapitän schaffte es, das U-Boot freizubekommen. Alle Insassen kamen mit dem Schrecken davon. Für Guillen veränderte dieses Erlebnis dennoch vieles: sogar seine Konfession. Der Wissenschaftler trat dem Christentum bei.

US-Forscher kritisiert Titanic-Expedition von OceanGate – "keine Fahrt in Disneyland"

In einem am Mittwoch veröffentlichten Gespräch mit dem britischen Sender Sky News kritisiert Guillen die von OceanGate organisierte Reise mit Touristen scharf. Bei der Titan, die mit fünf Insassen im Atlantik verschollen ist, handele es sich um ein "experimentelles Fahrzeug" und nicht um ein richtiges U-Boot. Oceangate bietet die Fahrten zum Wrack der Titanic für 250.000 US-Dollar (229.000 Euro) pro Person an.

Der Physiker findet deutliche Worte. "Das ist keine Fahrt in Disneyland", sagt er. "Das ist Mutter Natur. Das Meer ist gnadenlos." Alles werde für Touristen zugänglich gemacht. "Und ich fürchte, wenn es um Geld geht und man mit Nervenkitzelsuchenden da draußen Gewinn machen kann, ist das ein Rezept für eine Katastrophe."

Früherer Titanic-Tourist packt aus: Schon bei ihm hatte es Mängel am U-Boot gegeben

Auch der Deutsche Arthur Loibl tauchte 2021 zur Titanic. Im Gespräch mit dieser Redaktion berichtet er über den beengten Raum im U-Boot und die in der Tauchkapsel extremen Temperaturen. Im Unterschied zu Guillens Expedition hatte es bei Loibl keine größeren Komplikationen gegeben. Jedoch hat sich auch seine Expedition verspätet – damals gab es ein Problem mit der Elektrik. Als es endlich ins Wasser ging, riss zudem ein Stabilisierungselement von der Titan ab und musste repariert werden.

Offenbar kein Einzelfall – ein Ex-Mitarbeiter von Oceangate packte jüngst über Sicherheitsmängel aus. Von Sichtfenstern über gefährlich entflammbare Materialien an Bord bishin zu fehlenden Sicherheitstests – er offenbarte erschreckende Mängel. Ob diese auch die Ursache dafür sind, dass die Titan verschwunden ist? Ungewiss. Sicher ist, dass sich OceanGate wohl noch vielen unangenehmen Fragen wird stellen müssen. Hoffnung machen inzwischen Geräusche unter Wasser, zudem soll ein weiteres Spezialgerät zum Einsatz kommen. (mit dpa)

NameTitanic
StandortRund 600 Kilometer vor Neufundland (Kanada)
Baubeginn31. März 1909
Gewicht52.310 Tonnen
Länge269 Meter
UnglückApril 1912
Entdeckt1 September 1985