Berlin. Deutsche Wildschweine weisen schon lange Radioaktivität auf. Bisher war unklar, woher diese hohen Werte kommen. Eine Studie deckt auf.

Über 37 Jahre sind vergangen, seit sich das tragische Unglück in Tschernobyl ereignete. Bei der Katastrophe nahe der ukrainischen Stadt Prypjat explodierte ein Reaktor. Große Mengen an radioaktiven Materialien wurden über die Luft verteilten. Hunderttausende Menschen aus der Region um das Atomkraftwerk starben bei dem Unglück.

Auch anderswo waren die Folgen zu spüren. Die radioaktive Wolke, die sich über Tschernobyl bildete, wehte über große Teile Europas, der Fallout kontaminierte die Böden vieler Länder. Das hatte Folgen, auch für die deutsche Nahrungsmittelversorgung: Gemüse und Pilze, die in der belasteten Erde – auch in Deutschland –wuchsen, durften nicht gegessen, Milch von Kühen, die das radioaktive Gras fraßen, nicht getrunken, und auch Wildfleisch nicht verzehrt werden.

Die teils hohe radioaktive Belastung von Wildschweinen geht einer Studie zufolge zu einem hohen Teil auf Atomwaffenversuche zurück.
Die teils hohe radioaktive Belastung von Wildschweinen geht einer Studie zufolge zu einem hohen Teil auf Atomwaffenversuche zurück. © Lino Mirgeler/dpa/Archiv

Während aber bei den meisten Wildtieren die radioaktiven Werte über die Zeit sanken, bleiben sie bei Wildschweinen auf rätselhafte Weise bis heute bestehen. So hoch, dass sie oft die EU-Grenzwerte von 600 Becquerel pro Kilogramm Fleisch weit überschreiten.

Lange war unklar, warum die Tiere die hohen Mengen an radioaktivem Cäsium nachweisen. Forschende der Leibniz Universität Hannover und der TU Wien haben jetzt herausgefunden, woran das liegt. Dieses „Wildschwein-Paradoxon“ sei jetzt gelöst, sagte wie die Universität Hannover.

Forschende untersuchten Wildschweine in deutschen Wäldern

Der Radioökologe Georg Steinhauser war für die Studie, die in der Zeitschrift „Environmental Science & Technology“ erschienen ist, mit einer Forschungsgruppe zunächst in Hannover und dann in Wien dem Rätsel auf den Grund gegangen.

Sie untersuchten das Fleisch der Wildschweine und konnten bei einigen Proben Werte von Cäsium-137 und Cäsium-135 nachweisen. Das sind radioaktive Stoffe, die normalerweise nicht in der Natur vorkommen.

Die Werte waren bis zu 15.000 Becquerel pro Kilogramm Fleisch hoch – überschreitet die EU-Grenzwerte also um Weiten. Im Durchschnitt wiesen die untersuchten Fleischproben 1.700 Becquerel auf. Lesen Sie auch: Das sind Deutschlands berühmteste „Problemtiere“

So werden die Wildschweine radioaktiv

Das Erstaunliche: Die Cäsium-137-Werte sind deutlich älter als das Unglück in Tschernobyl. Den Forschenden zufolge stammen sie von Atomwaffentests aus den 1960er-Jahre.

Aufgenommen hatten die Tiere die radioaktiven Stoffe durch die Nahrung, insbesondere Hirschtrüffel. Die unterirdischen Pilze werden gerne von den Schweinen gefressen.

„Die Hirschtrüffel, die in 20 bis 40 Zentimetern Tiefe zu finden sind, nehmen heute erst das Cäsium auf, das in Tschernobyl freigesetzt wurde“, erläuterte Steinhauser gegenüber der dpa. Das heißt, die Pilze reichen die radioaktiven Stoffe extrem zeitverzögert an.

„Das Cäsium alter Atomwaffentests hingegen ist dort schon lange angekommen.“ Die radioaktive Belastung von Wildschweinfleisch werde deshalb in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht deutlich sinken, so der Forscher.

Die Studie zeige, wie lange sich Atomkatastrophen und -test auf die Umwelt auswirken und diese belasten, so die Forschenden in der Studie. „Einmal freigesetzt, wird Radiocäsium für Generationen in der Umwelt verbleiben und die Lebensmittelsicherheit unmittelbar und für Jahrzehnte beeinflussen.“