Erfurt. Seit der Corona-Pandemie haben die Telefonseelsorgen in Thüringen deutlich mehr zu tun. Doch wer die Hilfe in Anspruch nehmen will, muss Glück haben.

Die Thüringer Telefonseelsorgen kommen mit der Arbeit nicht mehr hinterher. Im Schnitt brauchten Anrufer zehn bis zwölf Versuche, um die Seelsorge zu erreichen und damit rund doppelt so viele wie vor der Corona-Pandemie, sagte etwa die Leiterin der Telefonseelsorge Erfurt, Uta Milosevic. Sobald die Ehrenamtlichen auflegten, klingele das Telefon erneut. Ähnliches berichtete die Leiterin der Telefonseelsorge Ostthüringen, Christiane Sachse.

Für das Jahr 2023 lagen noch keine genauen Statistiken vor - es sei aber davon auszugehen, dass sich der Trend der Vorjahre verstetigt habe, erläuterten die beiden Seelsorgerinnen. Im Jahr 2022 wurden in Erfurt rund 8300 Anrufer gezählt, in Ostthüringen waren es 6500 Gespräche. Das waren jeweils deutlich mehr als noch im Jahr 2019.

Aktuelle Krisen spielen kaum eine Rolle

Dabei ging es vor allem um körperliche Beschwerden, Einsamkeit oder depressive Stimmungen. Aktuelle Themen wie der Ukrainekrieg oder die Energiekrise spielten hingegen kaum eine Rolle. Ein großer Teil der Menschen rufe die Seelsorger wiederholt an. „Dabei handelte es sich zum größten Teil um einsame Menschen, die in der Telefonseelsorge oft den einzigen Ansprechpartner finden“, teilte die Erfurter Stelle mit.

Über ein Drittel der Anrufer erwähne in den Gesprächen auch psychische Krankheiten, die Zahl habe sich in den vergangenen Jahren erhöht. Etwa fünf Prozent erwähnten demnach auch Suizidgedanken, etwa ein Prozent Suizidabsichten. Dieser Anteil habe sich entgegen der Befürchtungen durch Corona nicht erhöht.

Milosevic zufolge empfehlen noch immer Therapeuten, Psychiater oder Hausärzte ihren Patienten in den Abendstunden oder am Wochenende einen Anruf bei der Telefonseelsorge. Neben der Polizei und den Rettungsstellen seien sie die einzige Nummer, die rund um die Uhr erreichbar sei. «Das ist eine große Verantwortung. Mal sehen, wie lange das noch funktioniert», so Milosevic.

Schwierige Suche nach Ehrenamtlichen

Denn die Suche nach Ehrenamtlichen gestalte sich zunehmend schwierig, erzählten sowohl Sachse als auch Milosevic. „Da ist großer Bedarf, die Arbeit ist aber sehr sinnstiftend“, sagte Sachse. Nach Milosevics Angaben durchlaufen die Ehrenamtlichen 120 Stunden Ausbildung und ständige Weiterbildung. Dazu kämen regelmäßige Supervisionen zu schwierigen Themen. Gerade ältere Menschen hätten zwar mit der Rente vielleicht Zeit für ein solch aufwendiges Ehrenamt - in letzter Zeit höre sie aber vermehrt, dass Menschen zwar gerne mitmachen würden, sich aber neben der Rente auch Geld hinzuverdienen müssten.

Hoffnung setzt Milosevic in Verhandlungen über einen psychiatrischen Krisendienst im Land, der Entlastung schaffen könnte. Dort säßen dann Profis am anderen Ende der Leitung. „Aber das wird noch ein weiter Weg sein. Denn wer zahlt dann die Nachtstunden von Psychiatern?“

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