Volkmarsen. Der Mann, der in Hessen in einen Karnevalsumzug gefahren ist, sitzt in Haft. Mittlerweile wissen die Ermittler von 89 Verletzten.

  • An Rosenmontag fuhr ein Auto in einen Karnevalsumzug und verletzte mindestens 89 Menschen, darunter 20 Kinder, einige davon schwer
  • Der Fahrer des Wagens wurde festgenommen, er sitzt nun in Untersuchungshaft. Ihm wird unter anderem versuchter Mord vorgeworfen
  • Bei der Suche nach seinem Motiv gibt es nicht nur eine Spur der Ermittler: Sie vermuten eine Sinnkrise des 29-jährigen Autofahrers
  • Einem Bericht zufolge schließen die Behörden politische und ideologische Gründe als Motiv aus

Die Ermittler sind nach der mutmaßlich vorsätzlichen Fahrt eines 29-Jährigen in eine Menschenmenge am Rosenmontag im hessischen Volkmarsen weiterhin auf der Suche nach dem Motiv für die Tat.

„Es ist ein Stück weit ein Puzzle“, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Mittwoch. Priorität hätten nun die Ermittlungen des Motivs und des Auslösers für die Tat. Mindestens 89 Menschen waren verletzt worden, darunter auch mindestens 20 Kinder.

„Es werden fast stündlich immer noch mehr“, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag in Kassel. Viele bemerkten erst jetzt die psychischen Folgen der Tat oder hätten sich über Schmerzen zunächst keine größeren Gedanken gemacht.

Zum gesundheitlichen Zustand einzelner Opfer – und wie viele die Kliniken bereits verlassen haben – könne man keine Angaben machen, so der Sprecher.

Volkmarsen: Polizei sucht Motiv für Amokfahrt

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete, dass die Ermittler derzeit von einer Art Amokfahrt ausgehen. Am Mittwoch hieß es jedoch auch, dass ein politischer Grund nicht ausgeschlossen werden könnte. Weitere Hinweise soll die Auswertung seines Handys und anderer sichergestellter Datenträger liefern.

Gegen den Verdächtigen wurde inzwischen Haftbefehl erlassen, er sitzt in Untersuchungshaft. Er ist nach Informationen der Ermittler deutscher Staatsbürger und kommt selbst aus der nordhessischen Kleinstadt. Der Hessische Rundfunk berichtete unter Berufung auf einen Augenzeugen, das Auto sei etwa 30 Meter weit in die Menge gefahren, bis es zum Stehen gekommen sei. Der Fahrer habe noch Gas gegeben. Ihm werden versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr vorgeworfen. Er war laut den Behörden zunächst nicht vernehmungsfähig gewesen.

Zu seinem Gesundheitszustand machten die Ermittler am Mittwoch keine weiteren Angaben. Auch zur Frage, ob sich der Tatverdächtige zu den Vorwürfen geäußert hat oder zu möglichen Zeugenangaben gab es keine Informationen. Man werde nicht über einen Zwischenstand der Ermittlungen informieren, sagte der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft.

Die Unfallstelle in Volkmarsen am Montagnachmittag.
Die Unfallstelle in Volkmarsen am Montagnachmittag. © dpa | Uwe Zucchi

Volkmarsen: Täter war nicht betrunken

Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Autofahrer nicht betrunken war. Es stand zunächst noch nicht fest, ob er unter Drogeneinfluss stand.

Die Polizei ermittelte zunächst auch gegen eine weitere Person. Sie soll am Ort des Geschehens ein Gaffer-Video gemacht haben. Zu Spekulationen, die Person habe das Tatfahrzeug womöglich verfolgt, um die Tat zu filmen, bestätigte der Behördensprecher nicht. Aber auch hier nannte er am Dienstag vorerst keine Details zu der beschuldigten Person.

Auch am Mittwoch konnten sich Betroffene noch an ein Informationszentrum der Polizei für Betroffene im Rathaus der Kleinstadt wenden. Von diesem Donnerstag an werde dann eine Anlauf- und Betreuungsstelle für Opfer und Zeugen bei der Polizeistation in Bad Arolsen eingerichtet, teilte die Polizei mit. In der Anlauf- und Beratungsstelle stünden dann Opferschutzberater der Polizei als Ansprechpartner bereit. Außerdem sei weiterhin ein Callcenter für Fragen und Hinweise aus der Bevölkerung eingerichtet.

Auch die Opferschutzorganisation Weißer Ring sagte Unterstützung zu. „Wenn Hilfe benötigt wird, steht der Weiße Ring Opfern und Angehörigen, aber auch Zeuginnen und Zeugen mit Rat und Tat zur Seite“, versicherte der hessische Landesvorsitzende Patrick Liesching. Die Organisation helfe auch mittel- und langfristig, etwa bei Behördengängen oder beim Beantragen von Entschädigungen.

Volkmarsen am Dienstagabend: Kerzen stehen an einer Kirche, in der zuvor viele Einwohner der Gemeinde einen ökumenischen Gottesdienst gefeiert hatten.
Volkmarsen am Dienstagabend: Kerzen stehen an einer Kirche, in der zuvor viele Einwohner der Gemeinde einen ökumenischen Gottesdienst gefeiert hatten. © dpa | Swen Pförtner

Fahrer war Polizei nicht als Extremist bekannt

Der Tatverdäcjtige war nach ersten Erkenntnissen den Behörden nicht als Extremist bekannt, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen erfuhr. Allerdings war der Mann der Polizei nach dpa-Informationen in der Vergangenheit durch Beleidigung, Hausfriedensbruch und Nötigung aufgefallen.

Am Montagabend hatte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer den Betroffenen ihr Mitgefühl ausgesprochen. „Meine Gedanken & Gebete sind bei den Verletzten des schlimmen Vorfalls in Volkmarsen. Ich wünsche allen Verletzten eine schnelle Genesung“, schrieb Kramp-Karrenbauer bei Twitter. „Ich habe Vertrauen darin, dass die Polizei die Hintergründe schnell aufklärt. Mein Dank gilt allen Helfern vor Ort, die im Einsatz sind.“

Polizei warnt vor Verbreitung angeblicher Täter-Fotos

Die Polizei warnte vor dem Verbreiten angeblicher Fotos des Täters. „Bei der abgebildeten Person handelt es sich definitiv nicht um den Täter“, schrieb die Polizei Nordhessen am späten Montagabend bei Twitter über ein Foto, das den Angaben zufolge kursierte. „Teilen Sie keine Falschnachrichten!“, hieß es.

Wer zum Handy greift, um ein Video zu machen, statt in der betreffenden Situation Opfern zu helfen, „macht sich strafbar“, betonte ein Sprecher. Als Strafmaß sieht das Gesetz Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vor.

Bürgermeister von Volkmarsen: „Sind alle tief geschockt“

Volkmarsens Bürgermeister Hartmut Linnekugel (parteilos) hat sich schockiert über den Zwischenfall gezeigt. „Wir sind alle betroffen, alle tief geschockt.“ Im Rathaus wurde ein Notlagezentrum mit Seelsorge und Polizeikräften eingerichtet, das bis Dienstag geöffnet bleibt. Dort erhalten direkt Betroffene und Angehörige gesicherte Informationen und Unterstützung, wie die Polizei Nordhessen am Montag auf Twitter mitteilte.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Volkmarsen ist eine Kleinstadt im Landkreis Waldeck-Frankenberg mit rund 6800 Einwohnern. Sie ist rund 30 Kilometer von Kassel entfernt.

Eine Google-Karte zeigt, wo sich der Unfall ereignet hat:

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Bereits am Sonntag hatte es nach Angaben der örtlichen Feuerwehr einen Zwischenfall bei einer Karnevalsveranstaltung in einer Halle in Volkmarsen gegeben: Wegen eines Feueralarms seien der Veranstaltungsort geräumt und der betroffene Bereich kontrolliert worden, schrieb die Feuerwehr auf Facebook.

Der Grund für den Alarm sei nicht feststellbar gewesen, anschließend sei die Veranstaltung nach einer kurzen Unterbrechung fortgesetzt worden. Ob es einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen gibt, ist unklar.

Karnevalsumzüge in Hessen abgebrochen

Als Reaktion auf den Vorfall waren alle Fastnachtsumzüge in Hessen vorsichtshalber abgebrochen worden. Die polizeiliche Präsenz wurde hessenweit verstärkt. Der beliebte Frankfurter Fastnachtszug im Stadtteil Heddernheim („Klaa Paris“) soll am Faschingsdienstag aber starten. Der Vorstand habe einstimmig beschlossen, „wir werden Fastnacht feiern“, sagte der Vorsitzende der Zuggemeinschaft, Ulrich Fergenbauer, am Montag dem „Hessischen Rundfunk“.

In Nordrhein-Westfalen gibt es weiterhin keine landesweite Absage von Karnevalsumzügen am Veilchendienstag. Etwa der große Zug in Mönchengladbach solle stattfinden, sagte eine Polizeisprecherin. Das Sicherheitskonzept solle nochmals angeschaut werden, aber: „Wir machen unseren Karneval“, betonte sie.

(dpa/afp/br/dae)