Mlada Boleslav. Ihr erstes Auto haben sie zwar schon vor mehr als einem Jahrhundert gebaut. Doch so richtig begonnen hat Skodas Aufstieg erst vor sechs Jahrzehnten mit dem Octavia.

Es herrschte Eiszeit in Europa, und der Vorhang zwischen West und Ost war noch eisern. In den 1960er Jahren gab es deshalb kaum Produkte aus dem Osten, denen der Westen nennenswerte Beachtung schenkte, von einem kommerziellen Erfolg ganz zu schweigen.

Das galt ganz besonders für die Autos aus den sozialistischen Bruderstaaten. Denn egal, ob Trabant oder Wartburg, Wolga, Yugo, Dacia oder Lada - viel mehr als ein hochnäsiges Lachen hatte der Westen für die vermeintlich antiquierten Konstruktionen aus dem Osten kaum übrig. Doch es gab eine Ausnahme: Als Skoda 1959 den Octavia enthüllte, war das Aufsehen groß - der Kombi folgte 1960.

Limousine und Kombi, die ihren wohlklingenden Namen nach Angaben des Herstellers in Mlada Boleslav ganz simpel dem Umstand verdankten, dass sie die achte Neuentwicklung nach dem Krieg waren, heimsten sogar in Brüssel oder Genf Designpreise ein. "Die stilistischen und technischen Qualitäten waren unbestritten, seine Form war stimmig und auf Höhe der Zeit, er war solide verarbeitet und seine Technik musste sich hinter vergleichbaren Modellen von Ford oder Opel nicht verstecken", lobt Frank Wilke vom Marktbeobachter Classic Analytics in Bochum den Tschechen als großen Wurf.

Gemütlich entschleunigt hinter dem Bakelit-Lenkrad

Entsprechend viel macht der Octavia noch heute her, wenn man sich nach dem runden Geburtstag wieder einmal hinter das dünne, elfenbeinfarbene Bakelit-Lenkrad des Oldtimers setzt: Zwar ist das Starten eine mühsame Prozedur, weil man erst rechts vom Steuer einen Hebel ziehen, dann kräftig Gas geben und nebenbei in der H-Schaltung am Lenkrad noch den richtigen Gang finden muss. Doch wenn er erst einmal läuft und man nach ein paar Minuten auch den Choke zurück schiebt, dann fühlt sich der Klassiker richtig frisch und fesch an.

Das Fahrwerk mit Spiralfedern und Drehstabilisator an der Vorderachse und der damals noch ungewöhnlichen Einzelradaufhängung rundum ist für seine Zeit ausgesprochen fortschrittlich. Entsprechend komfortabel rollt der rüstige Rentner über die Landstraße und predigt die Entschleunigung. Denn allzu viel erwarten darf man nicht von dem 1,1 Liter großen Vierzylinder im Bug, der mit gerade mal 29 kW/40 PS an den Hinterrädern zieht. Mehr als 110 km/h waren schon damals nicht drin.

Vom Alltag zum Rallyewagen und zurück

Für den Alltag mag das genügt haben, aber die Tschechen wollten offenbar mehr. 1960 haben sie deshalb den 37 kW/50 PS starken Octavia Touring Sport enthüllt, den 130 km/h schnellen Zweitürer beim Weltverband FIA als Rennwagen homologiert und drei Klassensiege in Folge bei der Rallye Monte Carlo eingefahren.

Egal ob 110 oder 130 km/h - heute lässt man es mit Rücksicht auf das Alter geruhsamer angehen, reist bei Tempo 70 im vierten von vier Gängen in Zeitlupe auf dem Zeitstrahl und genießt stattdessen das Ambiente. Denn nur, weil die Armaturen hier im Testwagen in Blech statt in Holz eingelassen sind und Plaste und Elaste noch nicht zum Einsatz kamen, ist der Octavia nicht schmucklos.

Im Gegenteil: Auf den Türtafeln prangt Kunstleder, am Boden ist feine Knüpfware verlegt und die durchgehenden Sitzbänke in der ersten und der zweiten Reihe würden auch jedes Nierentisch-Wohnzimmer schmücken. Und vor allem bietet der Octavia überraschend viel Platz und lässt zum Beispiel einen Käfer eng und klein erscheinen - erst recht natürlich als Kombi, der mit bis zu 1050 Liter Stauraum 1960 folgte.

Viel Platz und einfache Bedienung - das zählt noch heute

Das üppige Platzangebot zählt bis heute zu den Kerntugenden des Bestsellers und auch die Leere im Cockpit passt fast schon wieder zur fünften Generation, die gerade an den Start geht und sich eines Waffenstillstandes im Krieg der Knöpfe rühmt. Denn noch nie in einem Skoda wurden den vielen Touch- und Sensorflächen sei Dank, so viele Funktionen mit so wenigen Schaltern bedient.

Zwar gilt 1959 als Geburtsjahr der Octavia-Limousine und 1960 steht für den Kombi in den Urkunden. Doch die Geschichte begann bereits mit den Baureihen 440 und 445, die ab 1953 geplant worden waren. Als neue, bezahlbare Volksautos sollten sie - so das Kalkül der Regierung - die Tschechen über eine Währungsreform hinwegtrösten und wurden deshalb 1955 mit entsprechender Propaganda präsentiert.

Weil damals von Facelifts noch keine Rede war, das Auto aber nach nur vier Jahren schon wieder auf den neuesten Stand gebracht werden sollte, wurde daraus 1959 ohne große optische Änderungen der Octavia - und damit die Wurzel des Erfolges. Denn als im April 1964 in Mlada Boleslav die letzte Limousine vom Band rollte und sieben Jahre später in Kvasiny auch die Produktion des Kombis eingestellt wurde, waren insgesamt 360 000 Octavia gebaut.

Für einen richtigen Wagen fürs Volk war der Octavia zu teuer

So lange der Octavia auch gelaufen ist und so imposant die Stückzahlen über die Jahre geworden sind, ein echter Bestseller wurde der Octavia nicht, urteilt Wilke: "Nach Wunsch der sozialistischen Regierung sollte der Octavia ein echtes tschechoslowakisches Volksauto werden, aber die Rechnung ging nicht ganz auf," sagt der Experte. Dafür war das Auto schlicht zu teuer.

Auch mit dem Export hatten die Tschechen nur mäßigen Erfolg: Zwar habe sich angesichts der unbestrittenen Qualitäten des Autos sogar für Deutschland ein offizieller Importeur gefunden. "Jedoch hatte der aufgrund des extrem dünnen Händlernetzes einen schweren Stand: Während der Octavia bis weit in die 1970er mit zum Straßenbild gehörte, blieb er auf westdeutschen Straßen ein Exot."

Wiedergeburt mit Schützenhilfe aus Wolfsburg

Davon kann heute keine Rede mehr sein. Denn 30 Jahre nach der Premiere und es ist einmal mehr der Octavia, der Skoda den Aufschwung beschert: Als 1991 der VW-Konzern bei den Tschechen einstiegt, nehmen sich die Niedersachsen als erstes den einstigen Bestseller vor, stellen ihn auf die Plattform des Golf und landen damit einen Volltreffer. Der 1996 präsentierte Octavia wird zum Helden für Praktiker und Pfennigfuchser und beginnt einen beispiellosen Aufstieg - kein anderes Importmodell verkauft sich in den Jahren und Generationen danach so gut in Deutschland.

Und wenn jetzt fast noch pünktlich zum 60. Geburtstag nach insgesamt knapp sieben Millionen Einheiten die fünfte Generation des Octavia in den Handel kommt, könnte der Golf-Ableger sogar zum König der Kompaktklasse werden. Denn als Kombi und bei den privaten Zulassungen hat die Tochter die Mutter nach eigenen Angaben bereits überholt.

Als Klassiker ist der Octavia ein Schnäppchen, aber...

So allgegenwärtig Skoda unter den Neuwagen und jungen Gebrauchten im Allgemeinen und der Octavia im Besonderen ist, so selten sieht man die tschechische Ikone bei Klassik-Treffen: "Wer mit einem Octavia auftaucht, hat den Exotenbonus sicher", sagt Oldtimer-Spezialist Wilke und nennt das neben einer gehörigen Portion Ostalgie als wichtigsten Kaufgrund für einen Klassiker.

Gemessen an anderen Autos aus dieser Zeit ist der Octavia dabei ein echtes Schnäppchen: In den Classic Analytics-Tabellen jedenfalls steht er in gutem Zustand für gerade mal 6000 Euro. Doch warnt Wilke vor übereilten Entscheidungen: "Wer sich für den Octavia erwärmt, der muss sich vor allem mit kaum vorhandener Ersatzteilversorgung herumschlagen."