Berlin. Baerbock als Kanzlerin – kann passieren. Wer damit nicht klarkommt, dem bleibt wohl Steinmeier erhalten – als Balsam für die Seele.

Die Studi-Tochter hat Zeitung gelesen an diesem Wochenende und sich ziemlich aufgeregt. Der Steinmeier, sagt sie bei ihrem Frühstücksbesuch, wolle ja noch mal Bundespräsident werden. „Dabei war es noch nie eine Frau“, sagt sie. Alles ziemlich alte Männer.

Ich bin bissig an diesem Samstagmorgen. Ist doch auch ein schöner Job, sage ich. Ordentlich bezahlt, schöne Reisen, schöne Reden, schöne Empfänge, wenig Verantwortung. „Steinmeier erfüllt lehrbuchhaft das Klischee“, sage ich. Ältere Herren neigten schon mal dazu, an ihrem Posten festzuhalten.

Außerdem sei Steinmeier der Balsam für die Seele all der erschrockenen Bürgerinnen und Bürger, sollte die nächste Bundesregierung tatsächlich von den Grünen – und damit von Annalena Baerbock – angeführt werden.

Annalena Baerbock steht für: Alles machen, alles schaffen

Kolumnistin Birgitta Stauber-Klein.
Kolumnistin Birgitta Stauber-Klein. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Für die Tochter ist das kein Argument. Sie ist ehrgeizig und hat noch viel vor. Der Gedanke an Annalena Baerbock beflügelt sie: Alles machen, alles schaffen. Ich schweige jetzt lieber, ich will diese wunderbare Energie nicht bremsen.

Und doch denke ich an den klassischen Vorstandschef, der sich künftig auch – dank Quote – mit Frauen voller Machtinstinkt in seinem Gremium herumschlagen muss, Frauen, die selbst ihm gefährlich werden können. Da wird sich doch wohl etwas finden lassen, um sie fern zu halten, da muss man(n) nur graben, damit klar wird: Die ist zu jung. Zu unerfahren. Dazu noch kleine Kinder. Wie kann sie das wagen?

Und dann wird sie so lange in die Mangel genommen, dann grätschen so lange all die männlichen Konkurrenten, die sie hinter sich gelassen hat, dazwischen, bis sie sich verhaspelt. Und wenn sie taumelt, ist da niemand, der sie auffängt. Ja, du dumme Karrierefrau: Wärst du mal auf deinem sicheren Teilzeit-Job sitzen geblieben.

So viel Wahrheit steckt im Klischee von der gläsernen Decke

Das ist die vielbeschworene gläserne Decke, und natürlich ist sie ein Klischee. Aber Klischees entwickeln sich ja aus Wahrheiten. Und die Wahrheit ist: Als Annalena Baerbock erklärte, Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland werden zu wollen, rieben sich eine Menge Leute die Augen. Zu jung. Zu unerfahren. Dazu noch kleine Kinder. Wie kann sie das wagen?

Dass derzeit jedes Wort, jede Reaktion genau unter das Mikroskop gelegt wird, bis jede kleinste Einheit des Lebenslaufs, des Wissens und der Krisenkompetenz analysiert ist – das müsste wohl ein Kanzlerkandidat ebenso aushalten. Und doch wage ich, hier zu überlegen: Was wäre, hätte zum Beispiel ein Robert Habeck vergessen, Einkünfte zu melden?

Und Robert Habeck? Was wäre, wenn er Kanzlerkandidat wäre?

Hätte er als Kanzlerkandidat Geschwafel der Co-Chefin über Waffenlieferungen an die Ukraine abräumen müssen? Hätte er seinen Abschluss an einer Elite-Uni im Ausland im Turboverfahren gemacht? Ob auch eine Meute über ihn hergefallen wäre, ganz nach dem Motto: Lauter Fehler, lauter Ungereimtheiten, war ja absehbar?

Oder hätte ihm die Öffentlichkeit auf die Schulter geklopft: „Mensch, der hat ja eine Menge aus sich herausgeholt“? Ich glaube, er wäre auf jeden Fall ein guter Protagonist für die heute-show, was ja auch eine Form der Wertschätzung ist. Und für scharfzüngige Analysen, die zwar all seine Fehler aufzählen, die ihn aber doch voller Respekt vor seiner Leistung adeln.

Und dann ist da noch das Klischee von dem alten Mann

Kommen wir zurück zu Steinmeier. Er kämpfte bisher, wie es sich für einen guten Präsidenten gehört, für Integration und die Grundpfeiler der Demokratie, gegen die spaltende Hetze der AfD. Warum soll er nicht einfach weitermachen?

Du, liebes Studierenden-Kind fragst andersrum. Warum sollte er nicht einfach aufhören? Warum muss er sich jetzt schon – ohne Notwendigkeit – auf dem Posten breit machen, bevor überhaupt die Diskussion eröffnet ist? Was treibt ihn da an? Ich könnte auf oben genanntes Klischee verweisen. Das von dem Mann. Dem Alter. Und dem Klammern an schöne Posten.

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