Southampton. Spektakuläre Rettungsaktion auf einem Öltanker vor der südenglischen Küste. Die Crew des Schiffes wurde mit dem Tod bedroht.

Die wochenlange Fahrt war beschwerlich und hatte durch gefährliche Gewässer entlang der westafrikanischen Küste geführt. Am Wochenende endlich sollte der Öltanker „Nave Andromeda“ in Südengland anlegen. Das 228 Meter lange und mehr als 42.000 Tonnen schwere Schiff hatte am 6. Oktober in Nigeria abgelegt und wurde Sonntagmorgen in Southampton erwartet.

Die Küste der vorgelagerten Isle of Wight war nur noch wenige Meilen entfernt – als sich die Situation auf dem Schiff in einen Thriller verwandelte.

An Bord hatten sich nämlich sieben blinde Passagiere aus Nigeria geschlichen. Sie waren bereits vor einigen Tagen bemerkt worden. Laut BBC beabsichtigten sie, in Großbritannien Asyl zu beantragen. Als das Schiff sich der Küste näherte, versuchte die Schiffscrew, die Männer in einen Raum zu sperren, um sie später der Küstenwache zu übergeben.

Blinde Passagiere drohen der Besatzung – Kapitän setzt Notruf ab

Doch die blinden Passagiere begannen den Berichten nach zu randalieren, sie zerschmissen Glas und drohten der Besatzung mit dem Tod. Die Crew schloss sich daraufhin in einen „Panic Room“ ein: Aus dem „Zitadelle“ genannten Raum lässt sich das Schiff steuern.

Der Kapitän setzte einen Notruf ab: „Ich versuche sie zu beruhigen, aber bitte schicken Sie Hilfe“, soll er gesagt haben. Der Kapitän habe verzweifelt geklungen und gesagt, dass er um das Leben seiner Besatzung fürchte, heißt es.

Das unter liberianischer Flagge fahrende Schiff ging außerplanmäßig vor der Isle of Wight vor Anker, wohl um den voll beladenen Tanker in dieser Ausnahmesituation von der dicht besiedelten Küste um Portsmouth und Southampton fernzuhalten. Über Stunden hinweg waren Polizei und Küstenwache im Einsatz, konnten jedoch nichts ausrichten. Lesen Sie hier: Explosion auf Tanker vor Sri Lanka: Brand unter Kontrolle

Spezialeinheit der Royal Navy landet auf dem Öltanker

Da genehmigten Verteidigungsminister Ben Wallace und Innenministerin Priti Patel einen militärischen Einsatz, „um Leben zu schützen und ein Schiff zu sichern, das Ziel einer mutmaßlichen Entführung wurde“, wie es in einem Tweet des Verteidigungsministerium hieß.

Schließlich landete eine maritime Spezialeinheit der Royal Navy mit Militärhubschraubern wie einem speziell für Schiffseinsätze konzipierten AgustaWestland AW159 Lynx Wildcat auf dem Schiff. Die 16 Soldaten des Special Boat Service (Motto: „Durch Stärke und List“), ausgestattet mit Sturmgewehren und Nachtsichtgeräten, brachten die Situation wieder unter Kontrolle – nach nur neun Minuten.

Verletzt wurde niemand. Ministerin Priti Patel dankte den Beteiligten auf Twitter für ihren Einsatz. Dem Reporter des Schifffahrtsmagazins „Lloyd’s List“, Richard Meade, zufolge sollen sich sieben blinde Passagiere in Nigeria Zugang zum Tanker verschafft haben. Meade bezieht sich bei seinen Informationen auf das liberianische Schifffahrtsregister. Lesen Sie hier: Corona: Mittelmeer wird zu Friedhof der Kreuzfahrtschiffe

Reiseroute berüchtigt für Schleuser und Schmuggler

Die zuvor angenommene versuchte Entführung schlossen die Anwälte des Schiffseigentümers der BBC zufolge allerdings später aus. Es sei zu „100 Prozent keine Entführung“ gewesen, hieß es von dessen Anwaltskanzlei.

Die Reiseroute ist berüchtigt für Schmuggler und Schleuser, die Flüchtlinge aus Nigeria, Somalia, Iran und Irak nach Europa bringen. Immer mehr Flüchtlinge erreichen das Vereinigte Königreich über den Ärmelkanal – 5000 waren es bis Ende August. Im ganzen Jahr 2018 dagegen waren es nur 300.

Mit dem Brexit solle die Kontrolle über die britischen Grenzen zurückgewonnen werden – und genau das sei es, was die Briten wollten, formulierte es Patel.

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