Wiesbaden. Der Pfarrer Thomas Hartmann hat den Chatbot gefragt, was er über biblische Themen weiß. Lesen Sie, wie die ungewöhnliche Predigt ankam.

Thomas Hartmann räuspert sich: „Hallo ChatGPT. Der heutige Predigttext steht in Hiob 2, 1-13. Was sind deine ersten Gedanken dazu?“ Eine Computerstimme antwortet ihm: „Hallo! Als künstliche Intelligenz habe ich keine persönlichen Gefühle oder Überzeugungen, aber ich kann dir helfen, den Text von Hiob 2, 1-13 zu interpretieren.“

Was folgt, ist ein fast zwanzigminütiges Gespräch zwischen Hartmann, Pfarrer in der Evangelischen Thalkirchengemeinde Wiesbaden, und seinem Computer. Es ist die wohl ungewöhnlichste Predigt, die der 63-Jährige in seinen 24 Amtsjahren dort gehalten hat – und sie kommt gut an.

Wiesbadener Pfarrer hält Predigt mithilfe von ChatGPT

„Ich hatte viel über ChatGPT gelesen und wollte es mir mal genauer anschauen“, erzählt Hartmann von der Vorbereitung auf seine Predigt Ende Februar. Er machte sich einen Account und stellte der Software Fragen, bat sie um Rezepte für jeden Tag oder Ideen für eine lustige Abendgestaltung. Und er fragte das Programm, was es über Jesus oder den Zen-Buddhismus wisse. Wie sich herausstellte, eine ganze Menge. „Also habe ich gesagt: Schreibe mir doch mal eine Predigt zu Hiob, dem vorgeschlagenen Predigttext für diesen Sonntag.“

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Heraus kamen anderthalb Minuten, „die man niemandem wirklich zumuten konnte“. Inhaltlich überraschend solide – aber weder unterhaltsam noch lang genug. Trotzdem war Thomas Hartmann beeindruckt: „Ich kam langsam auf die Idee, dass ich das eigentlich mal der Gemeinde vorstellen muss.“ Er erinnerte sich daran, dass Dialog-Predigten mal sehr beliebt waren. Also solche, bei denen zwei Personen wie im Gespräch vor der Gemeinde den Predigttext vortragen.

Thomas Hartmann ist seit über zwanzig Jahren Pfarrer in der Evangelischen Thalkirchengemeinde Wiesbaden-Sonnenberg.
Thomas Hartmann ist seit über zwanzig Jahren Pfarrer in der Evangelischen Thalkirchengemeinde Wiesbaden-Sonnenberg. © dpa | Andreas Arnold

Thomas Hartmann stellte dem Chatbot weitere Fragen und konvertierte die Antworten mit einem anderen Programm in eine weibliche Computerstimme. Sein Gespräch mit dem Computer führte er am besagten Sonntag gleich zweimal vor verschiedenen Gemeinden. Viele Zuhörer kamen einfach aus Interesse, weil sie die Ankündigung in der Zeitung gesehen hatten. Aber auch die Kerngemeinde war nicht abgeneigt. „Eine ältere Dame wollte sogar wissen, wo man dieses ChatGPT findet.“

Programm entschuldigt sich für Fehler

Öfter mal was Neues – das ist die Gemeinde von ihrem Pfarrer gewohnt. Der predigt schon mal über den Zauberer Harry Potter, über therapeutisches Klonen oder die beliebte US-Serie „Breaking Bad“. Eine Möglichkeit, auch junge Leute für den Kirchgang zu motivieren? Partiell schon, aber natürlich ist das nicht so nachhaltig, sagt Hartmann. Er nehme sich trotzdem gerne auch „aktuelle, brisante Themen“ vor, darunter ChatGPT. „Ich habe ja mitbekommen, dass es Befürchtungen gibt, die künstliche Intelligenz könnte uns gefährlich werden – auch das wollte ich einfach mal aufgreifen.“

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Und die Moral von der Geschicht’? „Erstmal ist es beeindruckend, was ChatGPT alles kann“, gibt Hartmann zu. Aber die Software mache eben auch gravierende Fehler. „Es hat zum Beispiel den Satan als Freund des Hiob bezeichnet.“ Nun müsse man zugeben, dass Hiob ein schwieriges Thema ist: In der Bibelgeschichte geht Gott eine Wette mit Satan ein, um zu beweisen, dass der Mensch, in diesem Fall Hiob, seinem Glauben treu bleibt, obwohl alle möglichen Übel – die Hiobsbotschaften – über ihn hereinbrechen. „Es geht letztlich um die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens in der Welt und dieses Thema hat das Programm mit einigen Korrekturen meinerseits gut bewältigt.“

Und beweist dabei sogar Manieren: Für Fehler entschuldigt sich ChatGPT. Als Hartmann es nach einem Witz über Hiob fragt, kommt erst diese pietätlose Antwort: „Warum hat Hiob kein Auto gekauft? – Weil er Angst hatte, dass es wie sein Haus und seine Kinder enden würde.“ Der Alternativ-Witz ist nun wirklich kein Brüller („Warum war Hiob so ruhig und gelassen? – Weil er gelernt hatte, alles mit Gelassenheit zu tragen!“). Aber das Programm amüsiert den Pfarrer trotzdem: „Irgendwie hat es da die Kurve gekriegt.“

ChatGPT schreibt sogar „beeindruckende“ Gebete

Den Versuch war es wert, aber Thomas Hartmann hat nicht vor, seine Predigten fortan nur noch mithilfe von ChatGPT zu verfassen. „Im Grunde habe ich ja durch den Dialog die Struktur vorgegeben und das Programm nicht alleine schreiben lassen.“ Insofern nehme einem es einem die Arbeit nicht ab. Predigten in ihrer Gänze zu übernehmen, komme für ihn sowieso nicht in Frage. „Man merkt einfach, dass es nicht der eigene Stil ist und damit fühlt man sich unwohl.“ Da fehle das Menschliche, die Emotion.

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Sich aber hier und da mal von der Software unterstützen zu lassen, das kann Pfarrer Hartmann sich vorstellen. Zum Beispiel bei Fürbitten oder Gebeten. Auch danach hat der 63-Jährige ChatGPT gefragt. Das Ergebnis war für ihn sogar noch beeindruckender als die Predigt. „Wir beten um Einheit und Solidarität, damit wir gemeinsam eine friedlichere Zukunft schaffen können“ – es ist ein absurder, aber doch auch beruhigender Gedanke, dass eine künstliche Intelligenz um Frieden für die Ukraine bitten kann.