New York. Etliche Models der bekannten Dessous-Marke „Victoria’s Secret“ sollen sexuell belästigt worden sein. Das steckt hinter den Vorwürfen.

Beim wirtschaftlich angeschlagenen amerikanischen Dessous-Riesen „Victoria’s Secret“ (VS) kommt erneut schmutzige Wäsche zum Vorschein. Im Mittelpunkt steht Ed Razek. Den langjährigen Marketing-Chef des Unternehmens holen nach seinem überhasteten Rücktritt im vergangenen Sommer schwere Anschuldigungen über sexuelle Belästigung, Machtmissbrauch und frauenfeindliches Verhalten ein.

Nach einer großangelegten Recherche der „New York Times“ lagen intern gegen Razek schon vor Jahren detailreiche Beschwerden von Mitarbeiterinnen und Models vor. So soll Razek etwa das Model Andi Muise um sexuelle Gefälligkeiten erpresst haben. Andernfalls sei ihre Karriere vorüber. Als sich die 33-Jährige verweigerte, wurde sie nicht mehr für die „Victoria’s Secret” Engel-Show gebucht.

Sexuelle Belästigung bei „Victoria’s Secret“?

Bei der 1995 zum ersten Mal exerzierten Veranstaltung zogen Top-Models wie Heidi Klum, Gisele Bündchen oder Alessandra Ambrosio in High-Heels, glitzernder, knapper Unterwäsche und riesigen Flügeln über den Laufsteg; ein TV-Highlight, das regelmäßig im Winter hohe Einschaltquoten erzielte. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Show im vergangenen Jahr zum ersten Mal abgesagt.

Dahinter stehen drastische Umsatzeinbrüche. Das von VS propagierte Frauen-Bild, uniforme, ellenlange Beine, schlanke Taillen, makellose Gesichter, perfekte Körper, entspricht nicht mehr einem Zeitgeist, der Nichtperfektion und Verschiedenheit huldigt. Womit vor allem Razek auf Kriegsfuß stand.

2018 erklärte er, niemand wolle mollige Models („Plus Size”) oder Transsexuelle auf dem Laufsteg sehen. Was spätestens seit der spektakulären Show der Unterwäsche-Kollektion von Pop-Star Rihanna im vergangenen Herbst als widerlegt gilt. Damals feierten Models aller Körpergrößen in New York einen großen Erfolg.

Bella Hadid beim Dessous-Anlegen zugeschaut?

Ed Razek, jahrelang Präsident und Marketingchef von „L Brands“, der Mutterfirma von „Victoria’s Secret“, soll Models belästigt haben. Hier ist er auf der Fashion-Show von „Victoria’s Secret“ 2013 mit Behati Prinsloo zu sehen.
Ed Razek, jahrelang Präsident und Marketingchef von „L Brands“, der Mutterfirma von „Victoria’s Secret“, soll Models belästigt haben. Hier ist er auf der Fashion-Show von „Victoria’s Secret“ 2013 mit Behati Prinsloo zu sehen. © imago/ZUMA Press | imago stock&people

Ed Razek soll laut „New York Times“ bei einer Show 2018 dem Super-Model Bella Hadid in der Umkleide beim Anlegen ihrer Dessous zugesehen haben. Als es Zweifel an der Fernsehtauglichkeit gab, sagte Razek nach Angaben von Ohrenzeugen: „Vergesst den Slip.” Viel wichtiger sei die Frage, ob der übertragende Sender Hadid mit ihren „perfekten Brüsten” auf den Laufsteg lasse. Später soll er einem anderen Model zwischen die Beine gegriffen haben.

Mehrfach bat Razek Models um ihre Telefon-Nummern und lud sie zu privaten Abendessen ein. Diese und andere Zwischenfälle, die Razeks „toxische Männlichkeit” belegten, seien bereits Mitte der 90er Jahre der Personalabteilung von VS und Unternehmensgründer Lex Wexner (82) gemeldet worden, schreibt die „NY Times“.

Ohne die erhoffte Reaktion. Razek wurde nicht belangt. Stattdessen seien Beschwerdeführerinnen versetzt worden. In einigen Fällen kam offenbar auch die Kündigung.

Leslie Wexner hatte Verbindungen zu Jeffrey Epstein

Tammy Robert Myers, Sprecherin des Dach-Konzerns „L Brands”, widersprach in der Sache nicht einer einzigen Vorhaltung der NY-Times-Rechercheure. Stattdessen beteuerte sie, das Unternehmen sei „stark darauf konzentriert”, Arbeitsplatz-Richtlinien einzuhalten. Dabei seien „beträchtliche Fortschritte” gemacht worden. Aber: „Wir bedauern jeden Vorfall, wo wir das Ziel nicht erreicht haben, und bekennen uns zu kontinuierlicher Verbesserung und vollständiger Rechenschaft.” Eine Anfrage unserer Redaktion ließ Myers bisher unbeantwortet.

Das fehlende Dementi des Chefs – lediglich Razek selbst stritt alles ab – wirkt besonders unappetitlich vor dem Hintergrund der engen Verbindung Les Wexners mit dem 2019 unter dubiosen Umständen in einem New Yorker Gefängnis ums Leben gekommen Sexualstraftäter und Multimillionär Jeffrey Epstein.

Wexner ließ den Mann, der einen Kindersex-Ring unterhalten und über Jahre Dutzende junge Frauen missbraucht haben soll, sein Milliarden-Vermögen managen. Epstein wiederum sah „Victoria’s Secret“ offenbar als Rekrutierungs-Instrument für seine Triebbefriedigung.

Laut Gerichtsunterlagen gab er sich nach Angaben von Opfern als Chef einer Modelagentur aus, die enge Kontakte zum Dessous-Giganten unterhalte. Jungen Mädchen, die oft nicht älter als 14 Jahre waren, versprach er eine Karriere als Model. Mehrfach endete dies laut „NY Times“ in sexuellem Missbrauch.

„Victoria’s Secret“ entließ erst im Herbst 50 Mitarbeiter

Für „Victoria’s Secret” kommen die neuen Schlagzeilen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die Umsätze gehen nach US-Medienangaben weiter zurück. Im Herbst wurden bereits 50 Mitarbeiter entlassen. Die Firma ist mit rund 7600 Angestellten einer der größten Arbeitgeber in Ohio.

Wexner selbst gehört zu den spendabelsten Geldgebern der überregional anerkannten Ohio State University. Ein Kulturzentrum ist dort nach ihm benannt. 2013 hatte die Firma einen Anteil von 32 % am amerikanischen Frauen-Unterwäsche-Markt. 2019 waren es unter 23 %. Wie „Wall Street Journal” und „New York Times” berichten, arbeitet Wexner an Plänen, sich aufs Altenteil zurückziehen und seine Firma zu verkaufen.