Berlin. Hugo Rittel verlor im April seine Großmutter an Covid-19. Jetzt wandert der 19-Jährige an den Ort, den sie so gerne noch gesehen hätte.

Manchmal, wenn er nicht mehr kann, hört Hugo Rittel Musik von Roger Whittaker. Weil seine Großmutter die Musik so mochte. In Gedenken an sie wandert der 19-Jährige gerade durch ganz Deutschland – bis er den Gardasee erreicht, den seine Oma Renate so gerne in ihrem Leben einmal gesehen hätte.

„Ich hätte mir solche Schlager nie alleine angehört. Aber jetzt lausche ich den Alben, während ich wandere, und denke an sie“, erzählt Rittel, der gerade irgendwo auf dem Weg zwischen Thüringen und Bayern unterwegs ist. Das Telefonat musste unbedingt vor 17 Uhr stattfinden, damit die Verbindung nicht zwischendrin abbricht. Hat er einmal einen Berg erklommen und macht sich auf den Weg hinab, habe er selten Netz, meint Rittel.

Familie steckte sich im April mit Corona an

Seit dem Frühjahr ist für ihn nichts mehr, wie es einmal war. Im April 2021 infizierte sich seine Familie mit dem Coronavirus. Hugo Rittel und seine Tante mussten in Quarantäne. „Für mich war die Corona-Infektion wie eine leichte Erkältung, mehr nicht“, sagt er. Für Oma Renate war es nicht so.

Seine Großmutter, 73 Jahre alt, erkrankte schwer an Covid-19. Schon nach wenigen Tagen ging es ihr immer schlechter, sie wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Nach einer kurzen Verbesserung – die Rentnerin hatte sogar schon einen Rehaplatz, um sich von den Strapazen zu erholen – verschlechterte sich ihr Zustand ab dem 19. April rapide.

Hugo Rittel (Travel Vlogger) wandert derzeit von Potsdam zum Gardasee nach Italien. Die Wanderung macht er zum Gedenken an seine im April an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung verstorbene Großmutter.
Hugo Rittel (Travel Vlogger) wandert derzeit von Potsdam zum Gardasee nach Italien. Die Wanderung macht er zum Gedenken an seine im April an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung verstorbene Großmutter. © Sascha Fromm / Thueringer Allgemeine | Sascha Fromm / Thueringer Allgemeine

Großmutter starb an Corona-Erkrankung – Wanderung in Gedenken an sie

„Das letzte Mal, als ich meine Oma gesehen habe, hatte sie zig Schläuche im Mund“, erzählt ihr Enkel. „Aber ich dachte, es wird wieder besser.“ Doch seine Großmutter verstarb wenige Tage später, am 24. April. Die Covid-19-Erkrankung hatten ihre Lunge zerstört, erklärten ihm ihre Ärzte.

„Ich checke es immer noch nicht“, sagt der 19-Jährige. Seit mehreren Wochen baut er nun jeden Morgen sein Zelt ab, zieht die festen Schuhe an und macht sich auf den Weg. Seit dem 24. Mai – einen Monat nach dem Ableben seiner Großmutter – wanderte Hugo Rittel gen Süden. Los ging die Reise in Potsdam, wo Rittels Eltern leben.

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„Ich hoffe, dass ich ihren Tod mit dieser Reise verarbeiten kann“, sagt Rittel. Am Gardasee will er abschließen. Mit Oma Renate guckte er immer Reisedokumentationen – am liebsten über den Gardasee mit seinem nahezu komplett türkisfarbenen Wasser in Oberitalien. Seine Großmutter selbst ist nie im Ausland gewesen. Rittel hatte ihr versprochen, mit ihr zu verreisen, sobald er den Berufseinstieg geschafft hätte.

Nun ist es für die gemeinsame Reise zu spät. Hugo Rittel wandert stattdessen allein nach Italien – in Gedenken an seine Oma und alle Corona-Opfer. Das Virus hat bis heute in Deutschland über 90.000 Menschen das Leben gekostet.

Hugo Rittel auf seinem Weg an den Gardasee in Meiningen, Thüringen.
Hugo Rittel auf seinem Weg an den Gardasee in Meiningen, Thüringen. © Sascha Fromm / Thueringer Allgemeine | Sascha Fromm / Thueringer Allgemeine

Hugo Rittel teilt seine Wander-Erlebnisse auf Social Media

Seine Wanderung dokumentiert der 19-Jährige auf allen Kanälen: Er postet täglich Video-Updates auf TikTok, führt auf YouTube ein Videotagebuch und streamt regelmäßig für seine Fans auf der Plattform Twitch. Über 115.000 Menschen verfolgen Rittels Reise-Videos auf TikTok.

Mittlerweile wird Hugo Rittel auch öfter in Städten, durch die er läuft, angesprochen. „Darauf komme ich noch gar nicht klar“, sagt er. Doch eigentlich gehe es ihm ja gar nicht um diese Reichweite.

„Ich versuche einfach, für mich das Beste aus dieser Situation zu machen. Und meiner Oma den letzten Wunsch zu erfüllen.“ Ihn habe in seinem jungen Leben noch nichts „so fertig gemacht“ wie ihr Ableben. Aber es habe ihm auch eines gezeigt: Im Leben sollte man nicht auf Dinge warten.

Unter diesem Motto steht auch seine Wanderung: Sein Rucksack ist von seiner Mutter ausgeliehen, das Zelt vom Vater, der Schlafsack von der Stiefmutter. Erst besaß er keine Wanderschuhe – ein bayerisches Unternehmen für Sportschuhe wurde aber während der Reise auf ihn durch seine Videos aufmerksam und sponserte ihm prompt ein Paar. Zuvor lief er fast 150 Kilometer in normalen Straßenschuhen.

Schlafplätze findet Rittel mit seinem Zelt meist in der Natur. Er hat aber auch schon einmal bei Followern übernachtet – natürlich corona-sicher. Ansonsten finanziert er seine Verpflegung aus kleinen Spenden und den Erlösen, die er über seine Livestreams bei Twitch erhält. Was übrig bleibt, will er spenden. Er brauche ja nicht viel, sagt er.

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Wanderung zum Gardasee: Hugo Rittel wird wohl im August ankommen

Aktuell läuft er zwischen 20 und 25 Kilometer am Tag, er will sich nicht überlasten. Andere trainieren für große Wanderungen, er hat binnen vier Wochen entschieden, dass er einfach loslaufen wird. „Und dabei bin ich Raucher, total unsportlich, habe einen kleinen Bierbauch.“ Der Tod seiner Großmutter hat bei ihm einen Schalter umgelegt, erzählt der 19-Jährige: „Ich habe gedacht: einfach machen. Was soll’s!“

Einen großen Zwischenstopp wird er zumindest in München einlegen. Auch seine Tante in Meiningen hat er auf dem Weg von Potsdam in den Süden besucht. Rittel schätzt, dass er den Gardasee im August erreichen wird, wahrscheinlich Anfang oder Mitte des Monats.

Hugo schaut auf ein Foto das seine verstorbene Oma zeigt.
Hugo schaut auf ein Foto das seine verstorbene Oma zeigt. © Sascha Fromm / Thueringer Allgemeine | Sascha Fromm / Thueringer Allgemeine

Wie es für ihn dann weitergeht, hat er noch nicht komplett entschieden. Er will auf jeden Fall weiter wandern – für soziale Zwecke. „Warum sollte ich aufhören, wenn ich mein Ziel erreicht habe? Wahrscheinlich wandere ich einfach weiter in Richtung Monaco?“

In Zukunft will er dann professioneller Spenden sammeln und an Organisationen stiften. „Ich habe gerade keinen Druck, keinen Stress. Das will ich für etwas Gutes nutzen“, sagt er. Von Monaco soll es vielleicht mit dem Rad an die Nordsee gehen. Die Idee spukt zumindest in seinem Kopf rum.

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Über 1000 Kilometer zu Fuß für Corona-Opfer

Besonders freut ihn, dass er andere mit seiner Gedenk-Wanderung zu motivieren scheint: Viele Follower würden ihm schreiben, dass sie ihren Hotel-Urlaub storniert hätten, um einfach rauszugehen und zu wandern. Für Rittel ist seine Social-Media-Präsenz vor allem eines: Platz, um andere zu inspirieren und daran zu erinnern, welche Spuren die Pandemie auch in der deutschen Bevölkerung hinterlassen hat. „Manchmal weine ich auch beim Wandern“, sagt er.

Wenn er in ein paar Wochen am Gardasee steht, wird er über 1000 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben. Ein guter Moment, um einen Klassiker von Roger Whittaker auf dem Handy abzuspielen: „The Last Farewell“.

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