Berlin. Hat die Häufung von Hepatitis bei Kindern doch mit Corona zu tun? Eine neue Studie stützt diese These. Doch sie steht in der Kritik.

Eine neue Studie aus Israel will Hinweise dafür entdeckt haben, dass die ungewöhnliche Häufung von Hepatitisfällen bei Kindern, die seit Wochen international für Aufmerksamkeit sorgt, mit Corona zusammenhängen könnte. Die Entzündung könnte eine Langzeitnebenwirkung einer Sars-CoV-2-Infektion sein. Deutsche Wissenschaftler halten die Rückschlüsse für voreilig.

Bis zum 9. Juni wurden nach Angaben des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) gut 400 Fälle von akuter Hepatitis unbekannter Herkunft bei Kindern im Alter bis 16 Jahren aus der europäischen Region gemeldet. Die WHO spricht von weltweit etwa 700 Fällen. Ein Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung allein oder in Kombination mit anderen Virusinfektionen, allen voran bedingt durch Adenoviren, wird seit Wochen diskutiert.

In einer im Fachmagazin „Journal of Pediatric Gastroenterology and Nutrition“ erschienenen kleinen Fallstudie beschreiben israelische Forschende nun fünf Fälle von Schäden der Leber und der Gallengänge bei Kindern, die alle zuvor nachweislich eine Covid-19-Infektion durchgemacht hatten. Die alle hatten einen asymptomatischen oder milden Verlauf.

Hepatitis bei Kindern: Hinweise auf überschießende Immunreaktion und Entzündungen

Bei zwei gesunden Säuglingen im Alter von drei und fünf Monaten kam es zu einem Leberversagen, das rasch zu einer Lebertransplantation führte. Die drei weiteren Kinder im Alter von acht und 13 Jahren wiesen eine Hepatitis mit Gallenstauung auf. Untersuchungen auf weitere infektiöse Ursachen für die Leberschäden blieben der Studie zufolge ergebnislos. Viele Hinweise aber habe es für eine starke Immunreaktion und anhaltende Entzündungen gegeben.

Bereits im Titel ihrer Studie sprechen die Wissenschaftler von „Long Covid-19 Liver Manifestation“. Im Weiteren formulieren sie die These, die Leber- beziehungsweise Gallenschäden könnten eine seltene Langzeitnebenwirkung der CovidD-19-Infektion bei Kindern sein.

Von insgesamt 273 Hepatitis-Fällen bei Kindern in der EU, die mittels PCR-Test auf Sars-CoV-2 getestet wurden, waren laut ECDC nur 29 (10,6 Prozent) positiv. Hinweise auf bereits durchgemachte Infektionen mithilfe von Blutwerten lagen allerdings nur für 47 Fälle vor, von denen 30 (63,8) einen positiven Befund hatten. Von den 94 Fällen mit Angaben zur Covid-19-Impfung waren mehr als 85 Prozent nicht geimpft.

Mediziner aus Deutschland: „Zusammenhang bleibt spekulativ“

Mediziner und Virologen aus Deutschland halten die Rückschlüsse ihrer Kolleginnen und Kollegen aus Israel für voreilig: „Die in dieser Studie beschriebenen Einzelfälle weisen einen gewissen zeitlichen Zusammenhang auf, der aber von Fall zu Fall so unterschiedlich ist, dass ein kausaler Zusammenhang spekulativ bleibt“, sagt Prof. Ansgar Lohse, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf.

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Hält die Studie aus Israel für unzureichend: Virologin Prof. Sandra Ciesek.
Hält die Studie aus Israel für unzureichend: Virologin Prof. Sandra Ciesek. © dpa | Kay Nietfeld

Insgesamt seien Beschreibung und Aufarbeitung der einzelnen Fälle unzureichend, sagt auch Prof. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Sie seien zu unterschiedlich. „Die Heterogenität der Fälle zeigt sich neben dem Alter der Patienten auch im klinischen Verlauf. Während die beiden jüngeren Kinder eine Lebertransplantation benötigten, wurden die drei älteren Kinder mit Steroiden behandelt“, so Ciesek.

Bei den älteren Kindern seien auch die zeitlichen Verläufe äußerst variabel. „Während ein Kind erst mehr als vier Monate nach der Sars-CoV-2-Infektion eine unklare Hepatitis entwickelte, trat bei dem 13-Jährigen die Hepatitis zum Zeitpunkt der Infektion selbst auf. Somit unterscheiden sich auch die möglichen Pathomechanismen in diesen Fällen stark.“

Virologin Ciesek fordert eine weitere Aufarbeitung der Hepatitis-Fälle

Auch die erweiterte virologische Testung sei bei den Fällen uneinheitlich und zum Teil unvollständig. „So wurde etwa bei keinem der Kinder eine akute Hepatitis-E-Virusinfektion ausgeschlossen“ so Ciesek weiter. Die Studie enthalte zwar einige wichtige generelle Überlegungen zu einem möglichen Zusammenhang zwischen Hepatitis und Covid-19, sie helfe aber bei der Ursachenfindung nicht entscheidend weiter. Der suggerierte Zusammenhang zwischen einer Sars-CoV-2-Infektion bei Kindern und einer schweren Leberschädigung könne hingegen unbegründete Ängste auslösen.

Für Ciesek sei die Ursachenforschung nicht abgeschlossen. „Konkrete Empfehlungen lassen sich aus den fünf Fällen nicht ableiten. Zusammenfassend sollten die aktuell berichteten Fälle von schwerer akuter Hepatitis bei Kindern sorgfältig medizinisch aufgearbeitet werden. Ciesek: „Eine Beteiligung von Sars-CoV-2 ist aber weiterhin weder bewiesen noch ausgeschlossen.“ (kai)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.