Berlin. Die Stiko hat ihre Corona-Richtlinien für Schwangere aktualisiert. Diese bieten nun mehr Spielraum. Aber nicht genug, sagen Kritiker.

Viele Schwangere würden sich gerne impfen lassen. Groß ist die Sorge vor einer Ansteckung – etwa durch die Erstgeborenen, die in die Schule müssen. Sie wissen um ihr erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe. Doch ebenso groß wie die Sorge ist auch die Verunsicherung. Schließlich hielt sich die Ständige Impfkommission (Stiko) bislang mit einer generellen Empfehlung zurück.

Lediglich Risikopatientinnen – sei es wegen bestehender Vorerkrankungen, Übergewicht oder Alter – sollte in der Schwangerschaft „in Einzelfällen nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach ausführlicher Aufklärung die Impfung angeboten werden“.

Dieser Passus wurde in der neuen fünften Aktualisierung der Stiko-Impfempfehlung nun erweitert. Zusätzlich zum hohen Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung ist nun mit Blick auf Schwangere auch von „einem erhöhten Expositionsrisiko aufgrund ihrer Lebensumstände“ die Rede. Das Wort „Einzelfälle“ wurde gestrichen.

Schwangere durch Corona stärker gefährdet

„Inzwischen ist recht klar, dass es wohl keinen Zweifel mehr daran gibt, dass schwangere Frauen im Falle einer Infektion ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe haben“, begründet Marianne Röbl-Mathieu die Stiko-Entscheidung gegenüber unserer Redaktion. Die Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vertritt in dem Expertengremium die Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG).

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Corona-Impfung in Schwangerschaft: Keine Hinweise für vermehrte Komplikationen

Auch Ekkehard Schleußner, Direktor der Uni-Klinik für Geburtsmedizin in Jena und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM), begrüßt die neue Formulierung. „Es ist sehr gut, dass Schwangere, die durch ihre berufliche Tätigkeit, durch die Betreuung von Kindern oder andere Lebensumstände ein erhöhtes Risiko haben, sich anzustecken, die Möglichkeit haben, sich impfen zu lassen – wenn sie das möchten“, sagte er unserer Redaktion.

In einer gemeinsamen Erklärung hatten sich elf medizinische Fachverbände, darunter die DGPM, Anfang Mai dafür ausgesprochen, schwangere und stillende Frauen priorisiert gegen Covid-19 zu impfen – mit einem mRNA-basierten Impfstoff der Hersteller Moderna oder Biontech/Pfizer.

Mit Blick auf Vektor-Impfstoffe sei die Datenlage schlicht zu dünn, so Schleußner. Denn Grundlage für die Empfehlung war die verfügbare wissenschaftliche Literatur – insbesondere Registerstudien aus den USA und Israel, wo Großteils mRNA-Impfstoffe zum Einsatz kamen.

Erhöhtes Risiko für schwere Verläufe

In den US-amerikanischen systematischen Nachbeobachtungen von über 4700 geimpften schwangeren Frauen wurden demnach keine Hinweise für vermehrte Komplikationen, wie etwa Frühgeburten oder Fehlbildungen und Wachstumseinschränkungen beim Kind, nachgewiesen. „Und wenn ein Register sehr vollständig und detailliert erfasst ist, dann beschreibt es die Realität – nämlich was passiert, wenn man eine große Zahl an Personen impft“, erläutert Schleußner.

Für ihn liegt daher der Nutzen einer Impfung für Schwangere auf der Hand. „Bei der Impfung reden wir nur über ein theoretisches Risiko“, meint Schleußner. „Zwar haben wir nicht genug Daten, um ein Risiko vollkommen ausschließen zu können. Aber wir wissen um das hohe Risiko einer Corona-Erkrankung für Schwangere.“

Die Studienlage zeige, dass werdende Mütter ein 20 bis 25-fach höheres Risiko hätten, zu versterben oder schwer zu erkranken, wenn sie sich mit Sars-Cov-2 infizieren. Auch die negativen Folgen für das ungeborene Kind seien hier nicht von der Hand zu weisen.

Freie Entscheidung für Impfung gefordert

Schleußner betont aber auch: „Es geht um Teilhabe, nicht um Pflicht.“ Jede Schwangere soll also die Möglichkeit haben, sich frei für eine Impfung entscheiden zu können. Ohne etwa die Sorge vom Impfzenrum, ihrem Arzt oder ihrer Ärztin abgewiesen zu werden.

Der Empfehlung der Fachgesellschaften komplett zu folgen sei der Stiko laut Röbl-Mathieu schlicht auf Grund ihrer Arbeitsweise nicht möglich: „Wo die Evidenz fehlt, wo es keine Kontrollgruppen gibt oder vergleichsweise geringe Datenmengen, kann die Stiko nichts empfehlen.“ Das bedeute jedoch nicht, dass die Stiko etwa ein erhöhtes Risiko befürchte, sie könne nur noch nicht ausreichend beurteilen.

Aktualisierte Stiko-Empfehlung als Signal

Röbl-Mathieu sieht in der neuen Aktualisierung jedoch eine eindeutige Botschaft: „Es ist ein Signal an die Politik, aber auch an die betreuenden Frauenärzte, dass man Schwangeren eine Impfung nach individueller Prüfung großzügig empfehlen kann.“ Ein entsprechendes Schreiben könnten Schwangere beim Hausarzt oder im Impfzentrum vorzeigen, wenn der Frauenarzt die Impfung nicht selbst vornimmt.

Auch wenn diese nicht expliziert in eine Priorisierungsgruppe aufgenommen wurden, sieht Röbl-Matthieu Interpretationsspielraum: „Im Prinzip fallen Schwangere in dieselbe Kategorie wie ihre Kontaktpersonen, würde ich sagen.“ Diese sind aktuell in Priorisierungsgruppe 2 gelistet.

Die meisten Nachbarländer Deutschlands impfen Schwangere priorisiert

Für Schleußner hätte die Formulierung ruhig noch expliziter sein können, damit Interpretation erst gar nicht nötig ist. Schließlich empfehle die Weltgesundheitsorganisation mittlerweile Schwangere priorisiert zu impfen. „Und auch in fast allen unseren Nachbarländern wie Frankreich, Schweiz, Österreich, Luxemburg, Belgien oder Holland werden sie priorisiert geimpft – aber zumindest ist jetzt die Tür offen.“

Für Röbl-Mathieu ist das kein Argument. „Das ist eine Abwägung, die eben nicht in allen Ländern gleich ausfällt.“ Aber natürlich werde die Stiko die Studienlage im Blick und das Thema weiter auf der Agenda behalten. Zudem betont sie, dass eine Impfung nicht der einzige Weg sei, eine Covid-19-Erkrankung zu vermeiden. „Wer keine besondere Kontaktsituation hat, kann sich durchaus auch durch die bekannten Hygiene-Regeln weitestgehend schützen“, so die Ärztin.

Ist eine Corona-Impfung für Stillende sinnvoll?

Bei den Stillenden ist die Sache laut der Experten mit Blick auf eine Impfung sehr viel einfacher. Studien zeigten, dass die Effektivität einer Impfung bei Stillenden genauso gut sei, wie bei Frauen, die nicht stillen. „Außerdem ist bekannt, dass der Impfstoff nicht in der Muttermilch nachweisbar ist“, so Ekkehard Schleußner.

Dagegen sei bekannt, dass durch die Impfung gebildete Antikörper über die Muttermilch transportiert werden. „Dadurch können gestillte Neugeborene durch eine Nestimmunität geschützt werden.“ Auch Stiko-Mitglied Marianne Röbl-Mathieu sieht den Nutzen einer Impfung für Stillende und betont, dass die Stiko es für sehr unwahrscheinlich hält, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für den Säugling darstellt.

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