Berlin/Lübeck. Unternehmer Winfried Stöcker hat seinen selbst entwickelten Corona-Impfstoff anderen injiziert. Experten kritisieren seine Experimente.

  • Winfried Stöcker aus Lübeck hat einen eigenen Impfstoff gegen das Coronavirus erfunden
  • Diesen injizierte der Unternehmer fast hundert Patienten – obwohl das Vakzin nicht zugelassen ist
  • Weil er damit gegen das Arzneimittelgesetz verstößt, wurde Stöcker angezeigt
  • Am Mittwoch ist der Impf-Tüftler Thema bei Stern TV

Winfried Stöcker aus Lübeck hat seinen eigenen Impfstoff gegen das Coronavirus erfunden und mittlerweile fast hundert Patientinnen und Patienten injiziert. Damit hat sich der Unternehmer nicht nur Ärger mit den Behörden und eine Anzeige eingehandelt, sondern auch für Schlagzeilen gesorgt. Am Mittwochabend sind Stöcker und sein Vakzin Thema bei Stern TV (22.15 Uhr, RTL)

„Allein vergangene Woche haben sich rund 500 Menschen aus der ganzen Bundesrepublik bei mir gemeldet, die sich nach meinem Rezept impfen lassen wollen“, sagt Stöcker im Februar unserer Redaktion. Medizinethiker sind alarmiert. Denn was medizinische und ethische Standards angeht, hat der umstrittene Erfinder ganz eigene Ansichten.

Winfried Stöcker mit seiner Ehefrau auf einem Neujahrsempfang. Der Unternehmer hat seinen eigenen Corona-Impfstoff erfunden.
Winfried Stöcker mit seiner Ehefrau auf einem Neujahrsempfang. Der Unternehmer hat seinen eigenen Corona-Impfstoff erfunden. © xM.xWehnertx/xFuturexImage / Imago

Corona: Stöcker nennt seinen Impfstoff kaum gefährlich

Stöcker, der nach eigenen Angaben seit 1999 Professor der Medizinischen Tongji-Hochschule in Wuhan ist, findet, dass man es bei den Impfstudien viel zu genau nimmt. „In diesem Fall, wo die Wirtschaft zusammenbricht und es so viele Tote gibt, darf man es mit der wissenschaftlichen Vorgehensweise nicht übertreiben“, sagt der 74-jährige Mediziner.

Schon vergangenen Mai schrieb er zwischen Einträgen mit Titeln wie „Klimahysterie“ oder „Rhabarber in Gelee“ auf seinem Blog: „Ich bin jetzt immun gegen Sars-CoV-2“. Stöcker hatte einen sogenannten Totimpfstoff entwickelt. Anders als neuartige mRNA-Vakzine, wie das Mittel von Biontech, basieren Totimpfstoffe, wie zum Beispiel gegen Hepatitis B, auf abgetöteten Krankheitserregern oder deren Bestandteilen. Stöcker nennt seine Covid-19-Impfung deshalb „kaum gefährlich“.

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Berechtigt ist Stöcker für sein Vorgehen seiner Meinung nach aus verschiedenen Gründen. 1987 gründete er Euroimmun – heute eines der führenden Unternehmen für Labordiagnostik. Und als erfahrener Arzt und Immunologe führe er immer wieder alle möglichen Immunisierungen durch, etwa bei der Desensibilisierung von Allergikern. Ihm stehe das zu. „Ich darf nur keinen Impfstoff verkaufen und die Zahl der Impflinge soll überschaubar bleiben – deshalb konnte ich bis jetzt nur Verwandte und nahestehende Personen behandeln, zu denen ich auch meine Mitarbeiter zähle.“

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Außerdem gebe ihm sein Erfolg recht: Stöcker hat bei seinen Patienten nach der Impfung den Antikörperspiegel gemessen. „Und nahezu alle sind richtig positiv: Mit hochtitrigen Antikörpern, die in der Lage sind, das Virus zu neutralisieren, ihn also unschädlich machen.“

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Medizinethiker halten nichts von Stöckers Corona-Impfstoffversuchen

Doch laut der Medizinethikerin Claudia Wiesemann von der Universität Göttingen hat Stöcker die Schwelle vom individuellen Heilversuch zu einem wissenschaftlichen Arzneimittelversuch überschritten und gegen geltendes Recht verstoßen. „Die Arzneimitteltestung ist in Deutschland sorgfältig geregelt. Damit reagierte der Staat auf den Contergan-Skandal, bei dem schwangere Frauen ein an Menschen kaum geprüftes Arzneimittel erhalten hatten“, sagt das ehemalige Mitglied des Deutschen Ethikrats unserer Redaktion.

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Ob eine Impfung wie die von Stöcker tatsächlich wirksam und risikoarm sei, lasse sich nur durch systematische Forschung überprüfen. Diese Studien erfolgten oft „doppelblind“, sodass weder Prüfer noch Proband wissen, ob sie einen wirksamen Stoff oder ein Placebo erhalten haben. Erst solche rigorosen Verfahren ermöglichten eine unvoreingenommene Beurteilung eines neuen Wirkstoffs.

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Der Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin, Georg Marckmann, hat Verständnis dafür, dass in einer Situation wie der Corona-Pandemie überlegt wird, innerhalb der etablierten Standards die Prüfung und Zulassung von Impfstoffen zu beschleunigen. Doch Stöckers Experimente seien risikoreich: „Zum einen können auch vermeintlich harmlose Wirkstoffe unvorhergesehene Nebenwirkungen haben. Zum anderen ist das etablierte Vorgehen wichtig, damit die Bevölkerung Vertrauen in einen neuen Impfstoff haben kann“, sagte der Medizinethiker der Ludwig-Maximilians-Universität München unserer Redaktion.

Dazu gehöre, dass der Impfstoff zunächst im Tiermodell getestet wird. Die erste Anwendung am Menschen müsse dann in einer Studie geplant und durch das Paul-Ehrlich-Institut und eine Ethikkommission genehmigt werden.

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Corona-Impfstoff: Stöcker wurde angezeigt

An das Paul-Ehrlich-Institut hat sich Stöcker tatsächlich gewandt. Allerdings erst im September. Er habe die Bundesbehörde für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittelt darüber informiert, dass er einen Immunisierungsversuch bei sich und vier Verwandten erfolgreich durchgeführt habe und eine Studie mit einer größeren Zahl von Probanden durchführen wolle. „Dafür haben sie mich wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.“ Für Stöcker unverständlich: Er habe doch erst einmal zeigen müssen, dass seine Idee funktioniert.

Eigentlich hätten seine Anwälte, einer davon laut "Spiegel" der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, zwischenzeitlich mit der Justiz vereinbart, dass das Verfahren gegen ihn fallengelassen wird. „Am Montag musste ich jedoch erfahren, dass das Landesamt für soziale Dienste in Schleswig-Holstein wegen neuer Erkenntnisse aus einem ,Spiegel'-Artikel weiter ermittelt.“

Stöcker will allen sagen, wie man seinen Corona-Impfstoff herstellt

Für Stöcker kein Grund aufzuhören: Verkaufen will er seinen Impfstoff nicht, aber allen Interessierten sagen, wie es geht. Die vielen Menschen, die sich bei ihm meldeten, könne er jedoch nicht selbst impfen. „Deshalb werde ich einen Hersteller bitten, das Antigen niedergelassenen Ärzten zugänglich zu machen, die es dann zu einem Impfstoff veredeln und ihren Patienten verabreichen können. Das Rezept dazu habe ich bereits im Internet veröffentlicht.“ Auch Vertreter mehrerer Länder hätten bereits Kontakt zu ihm aufgenommen.

Dass ihm tatsächlich eine Strafe droht, glaubt Stöcker nicht. Generell kümmert es den Arzt wenig, was andere über ihn denken. Er sage, was er für richtig halte und stehe auch hinter allem, worüber er sich in der Vergangenheit geäußert habe - unter anderem waren seine Äußerungen rassistisch, sexistisch und medienkritisch.

Seine Weltanschauung mit seinem Impfstoff in Zusammenhang zu bringen, hält der Unternehmer aber für ungerechtfertigt.