Berlin. Betroffene von Long Covid hoffen auf eine Linderung durch Blutwäsche. Ob das hilft, ist unklar. Ärzte bieten das Verfahren trotzdem an.

  • Tausende Menschen in Deutschland leiden trotz überstandener Corona-Infektion noch immer an Symptomen
  • Halten diese an, spricht man von Long Covid
  • Abhilfe soll eine Blutwäsche schaffen können – doch funktioniert das wirklich?

Long Covid, die Erkrankung nach der Corona-Erkrankung, kann jeden treffen. Auch nach einem milden Verlauf berichten Betroffene von Symptomen, die sie im Alltag stark einschränken können. Sie suchen Hilfe und finden häufig keine.

Zunehmend treten Betroffene deswegen auch an die Nierenexperten der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) heran: Sie hoffen auf spezielle Verfahren der Blutreinigung, Apherese genannt. Eine Behandlung, die sonst nur bei seltenen Erkrankungen angewendet wird.

Doch: „Derzeit können wir nicht sagen, ob es sich dabei um eine vielversprechende Therapie bei Long Covid handelt oder um ein Geschäft mit der Verzweiflung der Betroffenen“, sagt Julia Weinmann-Menke, Sprecherin der DGfN und Leiterin des Schwerpunktes Nephrologie an der Uniklinik Mainz. „Wir kennen bisher nur Fallbeispiele.“

Long Covid: Wirksamkeit von Blutwäsche nicht nachgewiesen

Dennoch werden nach Aussage der Fachgesellschaft bereits jetzt Angebote in ärztlichen Zentren gemacht, für deren Wirksamkeit keine Datenbasis vorhanden ist.

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Betroffene von Long Covid nehmen den Angaben zufolge dafür oft lange Reisen und Behandlungskosten von mehreren Tausend Euro in Kauf. Beim diesjährigen DGfN-Kongress wiesen die Spezialisten daher auf Studien hin, die derzeit in verschiedenen Universitätskliniken anlaufen und die Wirkung der Apherese genau überprüfen sollen. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, ob die aufwendige Behandlung des Blutes einen Placebo-Effekt bei Long-Covid-Patienten mit sich bringen kann.

Long Covid: Erschöpfung und Gedächtnisprobleme

Wie viele Menschen von Long Covid betroffen sind, wissen Experten nicht. Die Angaben zur Zahl der Betroffenen schwanken. Laut einer im April 2022 veröffentlichten übergreifenden Studie gibt es weltweit rund 1,7 Millionen Menschen, die nach einer Corona-Infektion häufig über sogenannte Fatigue (Erschöpfung, 23 Prozent) oder Gedächtnisprobleme (14 Prozent) klagen.

Für Nierenspezialistin Julia Weinmann-Menke sind die Folgen einer Covid-Erkrankung grundsätzlich vergleichbar mit denjenigen anderer Infektionen, etwa der Schweinegrippe: „Viele Patienten müssen sich nach dem Abklingen der Infektion über längere Zeit erholen.“

Allgemeinmediziner wie Carsten König, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, schließen sich dieser Ansicht an. Sie sprechen von Long-Covid-Symptomen, also etwa Erschöpfung, die bis zu zwölf Wochen nach der Erkrankung andauern.

„Eine geringe Prozentzahl der Patienten leidet allerdings unter Post Covid. Sie sind über Monate betroffen, sodass beispielsweise eine Rehabilitation notwendig wird“, sagt König. Zu möglichen Reha-Maßnahmen zählten ein Atemtraining, ein langsamer körperlicher Aufbau, eventuell unterstützende Medikamente bei Kurzatmigkeit.

Apherese: Drei Verfahren der Blutreinigung

Die Apherese, deren Wirksamkeit bei Post oder Long Covid derzeit diskutiert und untersucht wird, untergliedert sich in drei Blutreinigungsverfahren – was ein Unterschied zur Dialyse bei Menschen mit einem Nierenversagen ist.

  • Bei einer Lipidapherese werden in der Regel Menschen mit einer schweren Fettstoffwechselstörung über das Blut Fette entzogen.
  • Eine weitere Methode ist die sogenannte Immunadsorption, deren Ziel es ist, dass das Blut der Patienten von Antikörpern gereinigt wird. Sie wird etwa bei neurologischen Autoimmunerkrankungen angewandt.
  • Das dritte Aphereseverfahren, der Plasmaaustausch, bedeutet, dass Patienten einen Plasmaersatz erhalten. Das Blutplasma eines Spenders wird in der Regel aufbereitet und als sogenanntes Humanalbumin verabreicht.

Blutwäsche: Betroffene von Long Covid zahlen viel Geld

„Bisher haben wir keine ausreichenden Beweise für die Wirksamkeit der Verfahren, zumal nicht klar ist, welche Mechanismen zur Entstehung von Post Covid beitragen. Das gilt insbesondere für die Lipidapherese“, sagt Weinmann-Menke. Bislang sei kein Zusammenhang zwischen Fettstoffwechselstörungen und Post Covid nachgewiesen worden.

Auch die Effekte bei Menschen, bei denen bestimmte Autoantikörper im Blut gefunden wurden, müssen nachgewiesen werden. „Die Betroffenen zahlen zum Teil viel Geld für eine Behandlung, von der sie nicht wissen, ob sie wirkt beziehungsweise mit welcher Wahrscheinlichkeit sie wirkt, wie lange sie wirkt und warum sie überhaupt wirken könnte“, sagt Weinmann-Menke.

Blutwäsche gegen Post Covid: Nebenwirkungen möglich

Die International Society for Apheresis hat Anfang Oktober ein Post-Covid-Aphereseregister aufgelegt, um alle derzeit gebräuchlichen Behandlungsansätze zu erfassen. Die Initiatoren hoffen, für Patienten wie behandelnde Ärzte baldmöglichst Informationen zusammenzutragen. Denn Aphereseverfahren können auch mit Nebenwirkungen einhergehen.

„Es handelt sich um einen medizinischen Eingriff. Die Patienten erhalten Blutverdünner, zudem werden Venen punktiert und als Folge kann es zu Entzündungen sowie oberflächlichen Thrombosen (Blutgerinnseln, Anm. d. Red.) kommen“, sagt Weinmann-Menke: Eine Apherese dauert mehrere Stunden und wird innerhalb von zwei Wochen meist vier- bis achtmal wiederholt.

Auf der Suche nach der passenden Therapie sind laut der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein Haus- und Fachärzte die ersten Ansprechpartner für Betroffene – gerade weil das Gros der Betroffenen mit Long Covid nicht unter schweren Folgen leide. Bei akutem Bedarf könnten die Niedergelassenen spezialisierte Ambulanzen in die Therapie einbinden. Auch immer mehr Selbsthilfegruppen bieten Unterstützung an.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.