Palma de Mallorca. England schießt sich ins EM-Finale, die Fans auf Mallorca sind im Rausch. Die Corona-Vorsicht ist vergessen – und die Polizei sieht zu.

  • Auf Mallorca steigen seit einigen Wochen die Corona-Zahlen wieder
  • Briten dürfen seit kurzem wieder nach Mallorca - sie feiern ausgelassen den Finaleinzug bei der EM
  • Das sorgt für steigende Umsätze. Doch es geht die Sorge um, dass sich das bald wieder ändern könnte

Magaluf erscheint verschlafen, fast wie ein normales Urlauber-Städtchen in Zeiten von Corona. Die Straßen sind am Mittwoch um 21 Uhr wie leergefegt. Dann erfolgt der Anpfiff der EM-Halbfinalbegegnung England gegen Dänemark. Die Kneipen und Restaurants in der berüchtigten Briten-Hochburg im Südwesten Mallorcas sind hingegen bis auf den letzten Platz gefüllt. Wer vorher nicht reserviert hat, wird nicht eingelassen.

An vielen Kneipen steht "Sold out", ausverkauft. Abstände werden eingehalten, das Personal trägt Maske. Wird ein Tisch frei, wird er sorgsam desinfiziert, die Chefs kontrollieren. Es ist weniger die Angst vor der sich ausbreitenden Delta-Variante. Es ist die Angst vor den Behörden.

Die Gäste fügen sich den Anweisungen. Selbst bei der Nationalhymne scheinen die Corona-Regeln den sonst lautstark gesungenen Patriotismus im Zaum zu halten. Die zumeist englischen Urlauber sind so diszipliniert, wie man es ansonsten nur von der Schlange an britischen Bushaltestellen kennt.

Erst seit wenigen Tagen dürfen die Gäste aus England wieder nach Mallorca. Bis zu diesem Zeitpunkt war Magaluf eine Geisterstadt. Teilweise ist sie es noch. Viele Bars und Restaurants sind geschlossen. Am anderen Ende der Bucht von Palma, am Ballermann, herrscht seit geraumer Zeit schon eine gewisse Normalität, die allerdings nur bedingt darüber hinwegtäuscht, dass Mallorca im Auge eines Sturms steht. Lesen Sie dazu: Spanien-Urlaub – Corona-Regeln und Hinweise für die Einreise

Corona auf Mallorca: Kein Grund zur Sorge?

Monatelang gelang es der Balearenregierung, die Ausbreitung der verschiedenen Virusvarianten im Zaum zu halten. Wenig Tourismus, viel Disziplin in der Bevölkerung. Der Inzidenzwert lag über hundert Tage unter dem von 20.

Doch dann walzte sich eine Horde von Tausenden spanischer Abiturienten feiernd über die Playa de Palma und pfiff auf jegliche Form von Hygienemaßnahmen. So wurde die Corona-Mutation Alpha (die zuerst in Großbritannien entdeckte Variante) über die Fähren auf die Insel geschleppt. Es infizierten sich über Tausend Schulabgänger und verteilten damit auch das Virus nach ihrer Rückkehr auf dem spanischen Festland.

Auf Mallorca schießen die Corona-Zahlen seitdem in die Höhe. Die 14-Tage-Inzidenz liegt bei 185,6, die der 16-29 Jährigen bei sagenhaften 772. Doch gibt es selten schwere Verläufe. Zudem haben mittlerweile 40 Prozent aller Spanier vollen Impfschutz. Über 50 Prozent der Briten. Kein Grund zur Sorge?

Mallorca: Nach 120 EM-Minuten brechen alle Dämme

Nach 120 Minuten Spielzeit und einem 2:1 brechen besonders bei den jungen Briten alle Dämme. Es wird geküsst, geherzt, die ganze Welt umarmt. Also alle, zu denen sie vorher gezwungermaßen Abstand gehalten haben, sind jetzt eng an eng vereint im Finale. Die legendäre Partystraße Punta Ballena füllt sich mit Feiernden. "Football's Coming Home", schallt es aus hunderten Kehlen. Masken sind keine mehr zu sehen. Nur die Beamten der Guardia Civil tragen welche, die dem Siegestaumel hilflos zuschauen.

England-Fans feiern den Finaleinzug auf Mallorca – ohne Masken, ohne Abstand.
England-Fans feiern den Finaleinzug auf Mallorca – ohne Masken, ohne Abstand. © Funke Mediengruppe | Ingo Wohlfeil

Eigentlich sollen laut Regierungsbeschluss zusätzlich 150 Beamte in Zivil in den Urlaubsorten die Corona-Maßnahmen durchsetzen. Aber daran ist in diesem Augenblick nicht zu denken. Die Polizisten beschließen deshalb, besser den Strand zu kontrollieren. Der darf ab Mitternacht nicht mehr betreten werden, viele Menschen werden sie dort nicht finden. Sie feiern lieber im Herzen einer Partystadt, die wie mit dem Defibrilator wieder zum Leben erweckt wurde.

Urlaub auf Mallorca: Kein Respekt mehr vor Corona

Nicht alle sind davon begeistert. Zu allgegenwärtig ist die Erinnerung an die Ausgangssperre und andere lebenseinschränkende Maßnahmen. Rajiv (45) arbeitet in einem kleinen Supermarkt, der hauptsächlich Getränke an der Partymeile verkauft. Seine Kühlschränke sind bis auf ein paar Energie-Drinks leer.

"Soviel Umsatz wie heute habe ich im ganzen Jahr nicht gemacht", sagt er mit dem Blick auf die Massen, die an seinem Laden vorbeiziehen. "Andererseits habe ich Angst, dass deshalb alles schon bald wieder vorbei ist und alle Lichter ausgehen."

Die britische Regierung schaute bereits vor den Ereignissen der Nacht, in der sich England mit einem fragwürdigen Elfmeter ins Finale schoss, mit Sorge auf die Balearen. Die Ampel steht kurz vor Gelb. Wenn sie umspringt, bedeutet das Quarantäne für die Rückkehrer. Doch das ist im Angesicht des ersten Finales bei einem großen Turnier seit 1966 vergessen.

Immerhin begegnen die feiernden Engländer den wenigen anwesenden dänischen Fans mit Respekt. Respekt, den man gegenüber dem Coronavirus verloren hat.