Berlin. Das Ebola-Mittel Remdesivir hat Covid-19-Patienten schneller genesen lassen. Auch ein neu entdecktes Enzym macht Forschern Hoffnung.

Noch nie haben so viele Forscher auf der ganzen Welt gleichzeitig nach einem Heilmittel gesucht: Derzeit werden Hunderte unterschiedlicher Ansätze untersucht, Coronavirus-Infektionen und Covid-19-Erkrankungen zu behandeln. Clinicaltrials.gov, die größte Datenbank für klinische Studien aus 209 Ländern, listet aktuell gut 1350 Studien zu Covid-19 und Sars-CoV-2. Ansätze, die teils große Hoffnung schüren und die weltweit Millionen von Menschenleben retten sollen.

Eine Idee der Forscher ist, Medikamente zu nutzen, die für andere Erkrankungen entwickelt wurden. Ein großer Vorteil dabei ist, dass diese Medikamente die klinischen Testphasen schon durchlaufen haben. Sie können also viel schneller an Covid-19-Patienten getestet werden, als ganz neue Substanzen. So könnten diese Wirkstoffe schneller für einen Einsatz gegen das Coronavirus bereitstehen – wenn sie denn wirken.

Corona-Forschung: Frankfurter Wissenschaftler entdecken wirksames Enzym

Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter der Federführung der Goethe-Universität Frankfurt und des Universitätsklinikums Frankfurt hat jetzt ein Enzym entdeckt, dass bei der Suche nach einem wirksamen Medikament helfen könnte.

Dringt Sars-CoV-2 in menschliche Zellen ein, lässt es dort eigene Proteine durch die menschliche Wirtszelle herstellen. Eines dieser Virus-Proteine ist besonders essenziell für die Vermehrung und die schnelle Ausbreitung des Virus: das Enzym Papain-like Protease, kurz PLpro. Die Forscher fanden heraus, dass die Hemmung dieses viralen Enzyms nicht nur die Vermehrung des Coronavirus blockiert, sondern gleichzeitig auch die Abwehrreaktion des Immunsystems stärkt. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher im renommierten Fachblatt „Nature“.

Lesen Sie hier, an welchen Medikamenten zur Behandlung von Covid-19 derzeit geforscht wird:

Remdesivir gegen Corona? Ebola-Medikament ist Hoffnungsträger

Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat ihre Empfehlung für den Einsatz des Wirkstoffs Remdesivir ausgeweitet. Jetzt können auch bestimmte stationäre Patienten mit Remdesivir behandelt werden, die nicht auf Beatmungsgeräte angewiesen sind. Als Medikament ist Remdesivir noch nicht zugelassen. Aufgrund eines Programms für Arzneimittelhärtefälle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte dürfen Ärzte in Deutschland den Wirkstoff verabreichen.

Die EU-Kommission hat 30.000 Dosen Remdesivir bei dem US-Pharmahersteller Gilead bestellt. Die Mittel im Wert von 63 Millionen Euro würden Anfang August geliefert und nach einem Vergabeschlüssel auf die 27 Mitgliedstaaten sowie Großbritannien verteilt werden, erklärte eine Sprecherin der Kommission am Mittwoch

Der Wirkstoff Remdesivir kann die Behandlungsdauer von Covid-19-Patienten einer US-Studie zufolge verkürzen. Die Ergebnisse der Untersuchung seien sehr positiv zu bewerten, sagte der Immunologe und Chef des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten (NIAID) der USA, Anthony Fauci.

Laut Fauci hat Remdesivir eine „signifikante positive Wirkung bei der Verringerung der Zeit bis zur Genesung“ gezeigt. Die klinische Studie mit mehr als 1000 Teilnehmern sei mit Kontrollgruppen durchgeführt worden, die Datenerhebung hätten unabhängige Experten begleitet. Die Resultate müssten aber noch unabhängig geprüft und veröffentlicht werden, sagte Immunologe Fauci, einer der Berater von US-Präsident Donald Trump in der Coronavirus-Krise.

Lesen Sie hier alle aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus in den USA

Die Hinweise auf eine deutlich kürzere Krankheitsdauer seien jedenfalls vielversprechend. Patienten mit der Lungenkrankheit Covid-19, die in Krankenhäusern Remdesivir bekamen, waren laut Fauci nach durchschnittlich elf Tagen wieder genesen, die Patienten der Kontrollgruppe erst nach 15 Tagen.

Der Wirkstoff Remdesivir wurde eigentlich gegen das Ebolavirus entwickelt. Aber es könnte auch gegen das Coronavirus wirksam sein.
Der Wirkstoff Remdesivir wurde eigentlich gegen das Ebolavirus entwickelt. Aber es könnte auch gegen das Coronavirus wirksam sein. © dpa | Ulrich Perrey

Remdesivir: Chinesische Studie weist auf Schwächen auf

Eine im Fachmagazin „The Lancet“ vorgestellte chinesische Studie kommt hingegen zu dem Schluss, dass sich der Zustand der Patienten mit Remdesivir nicht wesentlich verbessert. Aus Patientenmangel wurde diese Studie allerdings frühzeitig abgebrochen. Die Forscher stellten keinen statistisch bedeutsamen Einfluss auf die Krankheitsdauer oder die Sterberate fest. Lesen Sie hier: Coronavirus: Die wichtigsten Antworten zum Impfstoff

Neben dem vorzeitigen Abbruch der Studie weisen sie allerdings auf eine weitere Schwächen der Studie hin: Die meisten ihrer Patienten waren erst recht spät im Krankheitsverlauf mit Remdesivir behandelt worden. Ein früherer Therapiebeginn verbessere die Behandlungsergebnisse womöglich.

Könnte Remdesivir bald als Corona-Medikament zugelassen werden?

Das Medikament befindet sich aktuell in einem besonderen Zulassungsverfahren. Bei dieser sogenannten „rolling submission“ reicht der Antragsteller Daten aus Studien und Laboruntersuchungen nach und nach ein. Die Europäische Arzneimittelbehörde bewertet dann diese Daten. Wenn sie komplett vorliegen, kann ein Zulassungsantrag für Remdesivir gestellt werden.

Nach Ansicht deutscher Experten sind bereits die Ergebnisse der US-Studie ausreichend belastbar. Es seien genügend Patienten untersucht worden; unter Therapie mit Remdesivir seien sie früher aus dem Krankenhaus entlassen worden, sagt etwa Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing. „Somit sind wesentliche Endpunkte der Studie erreicht worden, so dass an einer raschen Zulassung der Substanz aus meiner Sicht wenig Zweifel bestehen dürfte.“ Lesen Sie hier: Corona-Glossar: Die wichtigsten Begriffe rund um das Virus

Auch Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln, Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir bei Patienten in Deutschland, rechnet aufgrund der positiven Ergebnisse mit einer baldigen Zulassung. Der Infektiologe sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, das Präparat werde binnen Wochen oder wenigen Monate zur Verfügung stehen.

„Wir können sagen: Remdesivir wirkt. Wir haben nachgewiesen, dass das Medikament bei einer Covid-19-Erkrankung den schweren Verlauf abmildert und verkürzt“, so Fätkenheuer.

Skeptischer ist dagegen Peter Kremsner, der Tropenmediziner ist Direktor der Abteilung VII der Universitätsklinik Tübingen, die auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist. Kremsner kann die Notfall-Zulassung des Mittels auf Grund erster unveröffentlichter und nur in einer Pressekonferenz verkürzt dargestellter Zwischenergebnisse einer in den USA laufenden klinischen Studie nicht verstehen. Für ihn ist die Datenlage noch nicht eindeutig.

Remdesivir-Hersteller machte Negativ-Schlagzeilen

Marylyn Addo will den Blick auf den Remdesivir-Hersteller lenken. Addo ist Leiterin der Sektion Infektiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), das auch an zwei Remdesivir-Studien teilnimmt. Sie meint, dass man sich die Rolle des B iotech-Riesen Gilead kritisch anschauen müsse. Das Unternehmen, welches Remdesivir ursprünglich als Ebola-Mittel entwickelt hatte, hat in der Vergangenheit vermehrt wegen vermeintlich unethischen Handelns negative Schlagzeilen gemacht.

Remdesivir wurde ursprünglich gegen das Ebolavirus entwickelt und zeigte in Laborversuchen einige Wirksamkeit gegen Sars-CoV-2. In Zellversuchen stoppte es die Vermehrung des Virus, in Tierversuchen wirkte es gegen andere Coronavirus-Infektionen wie Sars und Mers. Remdesivir ist bislang in keinem Land der Welt zugelassen.

Hydroxychloroquin und Chloroquin: Können Malaria-Mittel gegen Covid-19 helfen?

Sie sind als Malaria-Mittel zugelassen: Hydroxychloroquin und das eng verwandte Chloroquin, welches derzeit aber schlechter verfügbar ist. Gegen Malaria werden die Medikamente wegen einer verbreiteten Resistenz kaum noch genutzt. Dafür haben sie einen großen Vorteil gegenüber Remdesivir, erklärt Tropenmediziner Peter Kremsner, Direktor der Abteilung VII der Universitätsklinik Tübingen, die auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist: „Die Malaria-Mittel gibt es seit 80 Jahren und sie wurden milliardenfach eingesetzt. Remdesivir ist noch nicht im Handel und wurde erst bei knapp über 1000 Menschen in Studien eingesetzt. Das ist ein großer Unterschied.“

Dadurch sei bei den Malaria-Mitteln nicht nur bereits umfangreiches Wissen mit Blick auf die Nebenwirkungen vorhanden, was bei den im Vergleich verschwindend kleinen Einsatzzahlen von Remdesivir nicht gegeben sei, so Kremsner, der auch für das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung tätig ist. Die Medikamente seien zudem billig und in großer Zahl allgemein verfügbar.

Hydroxychloroquin: Warum manche die Studien kritisch sehen

„Die Unikliniken haben Hydroxychloroquin sogar schon vorrätig“, ergänzt Marylyn Addo, Leiterin der Sektion Infektiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), das neben zwei Remdesivir-Studien auch an einer Studie zu Hydroxychloroquin teilnimmt. Je nachdem wie die Ergebnisse der ersten randomisierten und placebokontrollierten Studien ausfielen, geht Addo davon aus, dass man wahrscheinlich sehr schnell eine Notfall-Zulassung für den Einsatz der Malaria-Mittel bei Covid-19 durch die Europäische Arzneimittel-Behörde bekommen könnte.

Teils wird der Einsatz der Mittel kritisch gesehen, da es schwierig sei, eine passende Dosis zu finden. Zudem sind durch den langjährigen Einsatz bereits stärkere Nebenwirkungen wie Herzrhythmus-Störungen bekannt. Eine klinische Studie wurde wegen der Nebenwirkungen bereits vorzeitig abgebrochen. Hier sei aber eine extrem hohe Dosis verabreicht worden, betont Infektiologe Kremsner.

Er leitet eine der aktuell laufenden multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten und doppelt verblindeten Hydroxychloroquin-Studien. „In den normalen Dosen, bei ansonsten halbwegs gesunden Patienten, ist das ein sehr gut verträgliches Präparat“, meint Kremsner. „Aber ja, insbesondere bei älteren Menschen, die sehr viel Co-Medikationen einnehmen und bereits andere Erkrankungen haben, kann es zu schweren Nebenwirkungen führen.“ Daher seien die Ausschlusskriterien zur Studienteilnahme sehr streng.

Niclosamid gegen Coronavirus? Wirkstoff könnte laut Drosten wirken

Ein weiteres altbekanntes Medikament gegen Bandwürmer könnte bei der Behandlung von Menschen helfen, die sich mit dem neuen Coronavirus angesteckt haben. In Laborversuchen konnte der Wirkstoff Niclosamid die Vermehrung des Virus hemmen. Das berichtet der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité in seinem NDR-Podcast. „Wir denken ernsthaft darüber nach, das an Patienten zu testen“, sagte Drosten. Lesen Sie hier: Corona-Experte Drosten schlägt Spielplatz-Öffnungen vor

Hintergrund dieser Überlegungen ist eine Art Recycling-Mechanismus in Zellen. Diese sogenannte Autophagie beschreibt die Fähigkeit von Zellen, bestimmte Bestandteile, die nicht mehr gebraucht werden, abzubauen. In diesen Mechanismus greift das Coronavirus ein. Der Wirkstoff Niclosamid hingegen startet laut Drosten verstärkt die Autophagie.

Derzeit seien sie dabei, eine klinische Studie für den Test mit Patienten vorzubereiten. Drosten sprach von einem Hoffnungsschimmer, wies jedoch ausdrücklich darauf hin, dass sich der Wirkstoff auch als wirkungslos herausstellen könnte. Niemand solle jetzt Niclosamid zu Hause horten.

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(lary/bef/dpa)