Berlin/Brüssel. Trotz stark gesunkener Corona-Inzidenzwerte sind Wissenschaftler und Politiker besorgt. Der Grund: die hochansteckenden Mutationen.

Deutschland befindet sich derzeit in einer sonderbaren Zwischenphase der Pandemie. Es ist ein wenig wie bei der Dämmerung. Sie führt aus der Nacht heraus, aber eben auch in sie hinein. In der Corona-Krise ist derzeit noch nicht absehbar, wohin der Weg führt, ob ins Licht oder zurück in die Dunkelheit. Denn es gibt zwei Entwicklungen, die derzeit gegeneinander laufen.

Einerseits geben die rückläufigen Inzidenzen bei den Neuansteckungen mit dem Coronavirus Anlass zur Hoffnung. Andererseits breiten sich deutlich ansteckendere Varianten auch bei uns rasant aus. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) liegt die britische Mutation in Deutschland bereits bei einem Anteil von mehr als 22 Prozent.

Corona-Mutation: Spahn warnt, B.1.1.7 könnte dominierend werden

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnt, man müsse damit rechnen, dass die britische Variante „bald auch bei uns die dominierende werden könnte“. Vielerorts in Europa grassieren die Mutationen bereits. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mahnt daher: „Wir müssen vor der Kurve bleiben“, die EU müsse schneller eine Antwort auf die Mutationen geben.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnt vor der rasanten Ausbreitung der Coronavirus-Mutation B.1.1.7.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warnt vor der rasanten Ausbreitung der Coronavirus-Mutation B.1.1.7. © AFP | JOHN MACDOUGALL

Dagegen ist nach Einschätzung des Braunschweiger Immunologen Michael Meyer-Hermann die Entwicklung schon deutlich weiter fortgeschritten: „Wir sind aktuell mit mindestens zwei Pandemien konfrontiert“, sagt der Forscher mit Blick auf das bisherige Virus und die Ausbreitung der Mutationen.

Corona-Krise: Wie entwickeln sich die Zahlen?

Das RKI meldete am Mittwoch bundesweit einen Inzidenzwert von 57 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner. Vor einem Monat lag die Inzidenz dagegen noch bei 136, am 22. Dezember dem Höchststand von 197,6. Inzwischen haben es rund 80 der 401 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland geschafft, den Wert sogar auf unter 35 zu drücken. Lesen Sie hier: Corona - Die zehn Gebiete mit dem niedrigsten Inzidenzwert

Es ist jene Marke, ab der die Bundesregierung Lockerungen der Corona-Auflagen für verantwortbar hält. Die Zahl der Neuinfektionen binnen eines Tages lag am Mittwoch bei 7556, zudem wurden 560 weitere Todesfälle gemeldet.

Corona-Mutationen: Wie stark breiten sie sich in Deutschland aus?

Der Anteil der britischen Variante verdoppele sich hierzulande etwa jede Woche, sagte Spahn. Vor knapp zwei Wochen waren es erst 6 Prozent, jetzt 22. Die zunächst in Südafrika aufgetretene Mutation hat in Deutschland laut Spahn aktuell einen Anteil von 1,5 Prozent. Um die Verbreitung der Mutationen zu ermitteln, wertete das RKI etwa 23.000 positive Testergebnisse in einer repräsentativen Stichprobe und weitere Daten aus. Lesen sie hier: CoronaImpfung - Zweifel am Astrazeneca-Vakzin werden größer

Was bedeutet die schnelle Ausbreitung der Mutation?

Immunologe Meyer-Hermann sieht die Gefahr einer dritten Pandemie-Welle, sofern die Fallzahlen nicht mit anhaltenden Maßnahmen auf eine geringe Inzidenz gedrückt würden. Dem Forscher zufolge befindet sich die britische Mutation B.1.1.7 bereits in einer Phase des exponentiellen Wachstums. Die aktuellen Lockdown-Maßnahmen reichten nicht, „um diese Entwicklung auszubremsen“.

Interaktiv:Corona-Monitor – So verbreitet sich das Virus in Deutschland, Europa und der Welt

Wie sehr breiten sich die Mutationen in Europa aus?

Nach Daten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC ist die britische Mutation auf dem Weg, die dominierende Variante innerhalb der europäischen Mitgliedstaaten zu werden. Schwerpunkt in der EU ist Österreich. Auch in Tschechien, Irland und Portugal breitet sich die britische Variante schnell aus. Im europäischen Raum, der auch die EU-Nachbarn einschließt, sind nach WHO-Angaben bislang in 38 Staaten die britische Virus-Variante nachgewiesen worden, in 19 Staaten die südafrikanische Variante.

Wie will die EU gegen die Ausbreitung der Mutationen vorgehen?

Von der Leyen legte am Mittwoch ein neues Programm vor, mit dem sich Europa für die wachsende Bedrohung wappnen soll. Laut einem Aktionsplan sollen die EU-Staaten die Tests zum Nachweis von Mutationen zügig ausweiten. Die Kommission will die 27 Regierungen mit mindestens 75 Millionen Euro aus der EU-Kasse unterstützen. Ziel sei es, dass mindestens fünf Prozent aller positiven Tests auf Mutationen untersucht werden.