Berlin. Das Coronavirus mutiert nach wie vor stark und erzeugt neue Varianten. Der neueste Ableger von Covid-19 könnte im Winter dominieren.

Auch wenn US-Präsident Joe Biden die Pandemie für beendet erklärt hat, warnen die meisten Virologen vor möglichen neuen Corona-Wellen. Ursache dessen ist die hohe Mutationsrate von Covid-19. Neue Virusvarianten, die Immunsystem und Medizin ein Schnippchen schlagen, wurden bereits isoliert. Doch nicht nur die Aktivität des Virus bereitet den Expertinnen und Experten Sorgen. Die menschliche Immunreaktion erweist sich als stur und unflexibel.

Omikron: Neue Corona-Wellen wegen neuer Subvariante?

Uneins ist die Fachwelt darüber, wie stark die nächste Corona-Welle über uns hereinbrechen wird. Dass die Menschheit mit der Pandemie noch eine ganze Zeit kämpfen wird, ist aber unumstritten. Alarm schlägt mit Christian Drosten Deutschlands Vorzeige-Virologe, er spricht von einer "Inzidenzwelle" noch vor Dezember. Einen "ruhigen" Herbst erwartet hingegen der österreichische Genetiker Ulrich Elling, sollte nicht ein besonders "fitter" Corona-Abkömmling auftauchen. Trotzdem warnt der Immunologe vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien.

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Elling beobachtet nämlich eine beunruhigende Mutationsbeschleunigung. Gegenüber der "Wiener Zeitung" sagte er: "Dieses Virus schlägt die ganze Zeit wie ein Hase Haken, verfolgt von unserem Immunsystem." Auf Twitter machte Elling auf zwei Studien aufmerksam, die sich mit Mutationen am Spike-Protein befassen. Mit diesem Teil docken Viren an gesunde Zellen an.

Corona-Mutation resistent gegen Antikörper und Medikamente

Forscher des Karolinska Instituts in Stockholm konnten die neue Omikron-Variante BA.2.75.2 isolieren. Laut Assitenz-Professor Ben Murell liegt der Anteil an Infizierten, die sich mit der Variante angesteckt haben, aktuell unter einem Prozent. Trotzdem könnte die Mutation die Pandemie neu befeuern, denn die Variante zeigt eine bislang ungekannte "Immunflucht", also die Resistenz gegen Medikamente.

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Sowohl Evusheld als auch Sotrovimab, so Murell, zeigten keinerlei nennenswerte Wirkung auf die isolierten Proben. Lediglich der Wirkstoff Bebtelovimab demonstriere eine erhoffte Immunreaktion. Alle drei Medikamente bestehen aus isolierten Antikörpern, die eine Sofortwirkung beim infizierten Patienten auslösen sollen.

Antigenerbsünde: Unser Immunsystem ist faul

Dass Patienten auch künftig auf Bebtelovimab hoffen können, stellt die zweite Studie allerdings in Frage. So stellte eine Forschergruppe der Universität Peking fest, dass sich eine Subvariante von BA.2.75.2 auch mühelos gegen Bebtelovimab durchsetzen könne.

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Doch nicht nur die Mutationsfreudigkeit des Coronavirus bereitet den Immunologen Kopfzerbrechen. Das Phlegma des körpereigenen Abwehrsystems spielt eine große Rolle. Lapidar als Antigenerbsünde bezeichnet, hemmt eine Eigenschaft des menschlichen Immunsystems die Weiterentwicklung spezifischer Antikörper für fortentwickelte Erreger.

Im medizinischen Fachjargon als immunologische Prägung bezeichnet, beschreibt das Phänomen die Anpassung des Immunsystems auf den Erstkontakt mit einem Virus. Einmal mit einer ernsten Bedrohung konfrontiert, erstellt die Immunabwehr einen Bauplan für Antikörper, an den es sich strikt hält. Der Vorteil ist, dass der Körper in kürzester Zeit eine Vielzahl an Antikörpern bilden kann. Der Nachteil: Je mehr ein Virus mutiert, desto wirkungsloser die Antikörper.

Körper bekämpft neue Viren mit alten Antikörpern

Elling vergleicht das Immunsystem mit einem Mann mit Hammer, "jedes Problem sieht aus wie Nagel. Haben wir einmal ein Repertoir an Antikörpern, versuchen wir ähnliche Viren mit Mitteln aus dem bestehenden Repertoir zu bekämpfen."

Eine überraschende Beobachtung machen aktuell viele Virologen auf der ganzen Welt. Die Omikron-Varianten weisen an verschiedenen Orten unabhängig voneinander nämlich eine parallele Mutation auf. Vor der sogenannten konvergenten Evolution warnt Ulrich Elling: "Aktuelle Varianten mutieren derzeit spezifisch an den Stellen, die zuvor noch nicht mutiert waren. Deshalb beobachten wir nun dieselben Mutationen wieder und wieder."

Österreichischer Immunologe warnt vor Grippewelle

Das aktuell geringe Virusgeschehen ist dennoch ein Beweis für die robusten Abwehrkräfte des Menschen, denn "neue hoch mutierte Virusvarianten tauchen beinahe jede Woche auf", wie Ulrich Elling twitterte. Dass sich die Mutationen bald erledigen, ist für ihn unrealistisch.

Neben Covid-19 sieht er angesichts von zwei Corona-Wintern hintereinander mit strengen Sicherheitsvorkehrungen und wenig sozialer Interaktion aber eine altbekannte Gesundheitsbedrohung auf dem Vormarsch: "Wenn wir jetzt einen Winter ohne große Maßnahmen haben sollten, wird Influenza garantiert durchrauschen."

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.