Berlin. Die Virologin Sandra Ciesek und ihr Podcast-Gast Stefan Kluge haben vor einem Mangel an Pflegepersonal auf Intensivstationen gewarnt.

Der Intensivmediziner Stefan Kluge hat in der neuesten Folge des „Coronavirus-Update“ vor einer Verschlimmerung des Pflegenotstands bei einem weiteren Ansteigen der Corona-Infektionszahlen gewarnt. Kluge ist Leiter der Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und war Gast im Podcast der Virologen Christian Drosten und Sandra Ciesek.

„Wir haben Umfragen dazu gemacht, dass 20 bis 30 Prozent der Intensivbetten in Deutschland nicht bepflegbar sind“, sagte Kluge. Diese Betten seien nur physisch inklusive Beatmungsgeräten vorhanden.„Wenn jetzt die Fallzahlen weiter steigen, muss es zu einer Umverteilung kommen von Pflegekräften auf die Intensivstationen.“

Zumal ein Corona-Patient in der Pflege auch einen erheblichen Mehraufwand für das Personal bedeute. Das führe im Umkehrschluss zu einer Leistungsminderung der übrigen Bereiche. Dann könnten Schlaganfälle, Herz- und Krebserkrankungen nicht mehr so gut versorgt werden. „Das muss uns ganz klar sein.“

Darum ging es in den letzten Folgen des Coronavirus-Update

Mangel an Pflegekräften schon vor Corona ein Problem

Der Mangel an Pflegekräften sei schon vorher das Hauptproblem der Intensivstationen gewesen, sagte Kluge. Daher sei es nun an der Zeit, die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung für Pflegepersonal zu verbessern. „Sonst werden wir weiter Probleme bekommen.“

Der Blick auf die freie Zahl an Intensivbetten sei zwar beruhigend, denn es zeige, dass in Deutschland niemand sterben würde, weil kein Beatmungsgerät frei sei. Man dürfe aber nicht immer auf die freien Betten verweisen, „denn wir haben gar nicht das Personal, die zu bepflegen.“

Corona-Überlastung auf Intensivstationen bleibt noch aus

Laut Statistiken müssten aktuell zwei Prozent aller Infizierten intensivmedizinisch behandelt werden, sagte Kluge. „Aber erst an Tag Zehn der Erkrankung.“ Daher würden sich die jetzigen Infektionszahlen auch erst in rund zwei Wochen auf die Intensivstationen auswirken. Bisher sei die Last auf diese mit 1000 Corona-Patienten noch relativ moderat.

Eine Überlastung des Gesundheitssystem sei noch nicht zu erwarten, so Kluge, der in den nächsten zehn bis 14 Tagen mit einem stetig moderaten Anstieg der Infektionszahlen rechnet. Dennoch sei mit Blick auf das fehlende Pflegepersonal eindeutig: „Die Infektionszahlen sollten 10.000 nicht überschreiten.“

Corona-Infektionszahlen: Experten von rasantem Anstieg vor Winter überrascht

Das die Zahlen noch vor Einbruch des Winters überhaupt derart in die Höhe geschnellt sind, sei so nicht von den Experten vorausgesehen worden, waren sich Virologin Sandra Ciesek und Kluge einig.

„Gerade, wenn man in Nachbarländer wie Frankreich oder Spanien schaut. Da ist es ja eigentlich noch wärmer“, sagte Ciesek. Trotzdem sei es dort schon zu einem massiven Anstieg der Infektionszahlen gekommen. Zudem würden die die Infektion im Vergleich zur ersten Welle im Frühjahr nun viel diffuser auftreten und auch vermehrt das Personal in Krankenhäusern betreffen, sagte Ciesek, Leiterin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt.

„Im Frühjahr hatten wir im Uniklinikum keine Fälle beim Personal.“ Nun gebe immer wieder Fälle, die auch zur Quarantäne von weiteren Beschäftigen führen würde. Das Personal könne sich ja auch außerhalb des Krankenhauses infizieren. Das führe dazu, dass in Gebieten mit hoher Inzidenz Engpässe auf den Stationen auftreten würden. „Weil einfach wichtige Mitarbeiter wegfallen durch Quarantäne oder Isolation.“

Ciesek warnt vor einer Überlastung der Gesundheitsämter

Ob sich die Pandemie hierzulande nun ähnlich entwickele wie im europäischen Ausland, hänge ganz klar vom Verhalten jedes Einzelnen ab, sagte Ciesek. Noch sei das deutsche Gesundheitssystem ein klarer Vorteil im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. „In jeder Stadt gibt es ein zuständiges Gesundheitsamt, welches die Kontaktnachverfolgung macht“, so Ciesek. Solange die Gesundheitsämter nicht überlastet seien, könne es gelingen, dass es nicht zu vergleichbaren Anstiegen kommt. Ansonsten würde das Virus sich erneut rapide ausbreiten.

Denn dann würden viel mehr Leute wieder unwissentlich andere anstecken. „Man schätzt, dass ungefähr die Hälfte der Ausbreitung einer Infektion eingedämmt werden kann, wenn das Gesundheitsamt arbeitsfähig ist“, erklärte Ciesek. Die andere Hälfte sei durch die Einhaltung der Corona-Maßnahmen und Hygieneregeln in der Bevölkerung bedingt. „Das greift innereinander und wenn wir dann merken, dass das Gesundheitsamt nicht mehr hinterherkommt, müssen wir als Gesellschaft die Dynamik eingrenzen“ appellierte Ciesek an die Menschen.