Berlin. Die Omikron-Welle steht nun kurz vor ihrem Höhepunkt. Kanzler Olaf Scholz plädiert vor der nächsten Bund-Länder-Runde für Lockerungen.

Die Omikron-Welle in Deutschland rollt ihrem Scheitelpunkt entgegen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die Corona-Zahlen in den kommenden Tagen ihren Höchststand erreichen werden. Von da an - so die Erwartung - wird die Welle langsam wieder abebben. Die Politik macht sich an die Planungen, wie es danach weiter gehen soll.

Mitte nächster Woche wollen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefinnen und -chef der Länder erneut zur Pandemie beraten. Scholz sprach sich am Freitag in einer Rede vor dem Bundesrat dafür aus, in der Runde über erste Lockerungen der Corona-Maßnahmen zu sprechen.

Kanzler kündigt erste Öffnungsschritte an

Die wissenschaftlichen Prognosen erlaubten es, „in der nächsten Woche einen ersten Öffnungsschritt und dann weitere für das Frühjahr in den Blick zu nehmen“. Scholz betont aber, er wolle sich dabei von der Expertise der Fachleute leiten lassen.

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Man dürfe die bisherigen Erfolg bei der Eindämmung von Omikron „jetzt nicht aufs Spiel setzen“ und werde „wachsam und vorbereitet“ sein für den Fall, dass die Zahl der Infizierten wieder deutlich zunehme. Es wird klar: Der Kanzler will im „Team Vorsicht“ bleiben, ebenso wie Mediziner und Teile der Union. Den Ampel-Partner FDP treibt dagegen die Ungeduld. Eine neue Öffnungsdebatte ist in vollem Gange.

Scholz will lockern: Offen ist, wo genau

Der Kanzler hielt sich in seiner Rede am Freitag bedeckt und nannte keine Details. Auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte lediglich, es gehe um ein gestaffeltes Vorgehen und nicht darum, alles auf einmal aufzumachen. Über eine Vielzahl von Ideen sei zu diskutieren. Dann werde es hoffentlich bei der Bund-Länder-Runde „einen klugen Fahrplan geben“.

In einigen Bundesländern sind ohnehin bereits Lockerungen in Kraft: die 2G-Regel im Einzelhandel ist vielerorts weggefallen, Sperrstunden wurden aufgehoben. Dennoch gelten nach wie vor Kontaktbeschränkungen.

Derzeit sind noch viele Kontaktbeschränkungen in Kraft

So dürfen sich im Privat weiterhin nur maximal 10 geimpfte Personen in geschlossenen Räumen treffen. Für Ungeimpfte gelten deutlich strengere Auflagen. Auch im öffentlichen Nahverkehr und am Arbeitsplatz gilt weiter 3G (geimpft, genesen, getestet).

Bei ihren letzten Beratungen Ende Januar hatten Bund und Länder grundsätzlich angekündigt, Öffnungsperspektiven für den Moment zu entwickeln, „zu dem eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden kann“.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte am Freitag aber vor überzogenen Erwartungen an die Beratungen am Mittwoch. „Es kann keinen Raum für massive Lockerungen geben. Das würde das Problem nur verlängern“, sagte er. Es könne nur „maßvolle Lockerungen“ geben.

Ärzte sind eher skeptisch, was Lockerungen angeht

Wichtige Ärztevertreter warnten in den vergangenen Tagen eindringlich davor, durch vorzeitige Lockerungen einen Rückschlag in der Pandemie zu bewirken: Vor allem die Intensivmediziner fordern, mit Öffnungen abzuwarten, bis sich die Zahlen stabil wieder sinken.

„Es wäre fatal, wenn wir durch zu frühe Lockerungen in eine Achterbahnfahrt mit erneut steigenden Infektionszahlen gerieten“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx.

Expertenratsmitglied und DIVI-Registerleiter Christian Karagiannidis warnte ebenfalls: Vorschnelle Öffnungen seien riskant. „Das wäre so, als würde man bei einem Marathon bei Kilometer 41 aufhören zu laufen.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht den Bundesrat und kündigt Öffnungsschritte an.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besucht den Bundesrat und kündigt Öffnungsschritte an. © dpa | Wolfgang Kumm

Chef der Bundesärztekammer warnt vor zu großen Öffnungsschritten

In Ländern, die die Corona-Maßnahmen stark gelockert oder ganz abgeschafft hätten, sähe man einen deutlichen Anstieg bei den Todeszahlen. Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, wandte sich angesichts der unklaren Corona-Datenlage gegen verfrühte Lockerungen.

Die Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Claudia Moll, forderte Bund und Länder auf, an den Schutzmaßnahmen für Senioreneinrichtungen so lange festzuhalten, bis deutlich mehr Menschen in Deutschland geimpft sind: „Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen müssen wir noch länger gut schützen“, sagte die SPD-Politikerin unserer Redaktion.

„Hier sollte es weiterhin eine Maskenpflicht und eine 3-G-Regel für Besucher geben. Lockerungen in diesem Bereich sind erst möglich, wenn wir eine deutlich höhere Impfquote erreicht haben.“ Grundsätzlich sei es aber möglich, bei stabil sinkenden Infektionszahlen Öffnungsschritte anzugehen. „In einem ersten Schritt sollten wir die Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich lockern - schrittweise.“

Nach derzeitigem Stand enden die Corona-Maßnahmen zum 20. März

Wenn es nach der FDP geht, enden sämtliche Schutzmaßnahmen zum 20. März. An diesem Tag laufen die geltenden Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz aus, wenn der Bundestag nicht aktiv eine Verlängerung beschließt.

Für eine Verlängerung bestehe aus heutiger Sicht jedoch kein Anlass, findet FDP-Fraktionschef Christian Dürr: „Der Gradmesser für die Corona-Einschränkungen muss immer die Belastung des Gesundheitssystems sein. Glücklicherweise gibt es diese Überlastung nicht mehr.“ Das habe auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft bestätigt.

„Daher sollten wir schon heute damit beginnen, die Freiheitseinschränkungen Schritt für Schritt zurückzunehmen und zum 19. März - also in über einem Monat - auslaufen zu lassen.“ Sollte es zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Überlastung des Gesundheitswesens oder zu gefährlicheren Varianten kommen, sei der Bundestag jederzeit kurzfristig handlungsfähig, so Dürr.

NRW-Ministerpräsident Wüst gegen ein Auslaufen aller Corona-Regeln im März

Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU), derzeit auch Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, widersprach prompt: „Corona werden wir perspektivisch nur kontrollieren können, wenn weltweit bewährte Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht, Abstandsregeln und Hygienekonzepte weiter möglich sind - solange sie eben leider notwendig sind“, sagte er dem „Spiegel“.

Die Bundesregierung solle bereit sein, „die eigene Fehleinschätzung aus dem Beginn ihrer Arbeit zu korrigieren“, sagte der CDU-Politiker mit Blick auf die Frist vom 19. März. „Corona wird nicht plötzlich verschwinden, weil es politisch gewünscht ist.“

Die Grünen stellen sich ebenfalls gegen die FDP, ihren Ampel-Partner. Auch sie wollen die Maßnahmen befristet über den März hinaus zu verlängern. Sollten sich die Liberalen hier quer legen, hätte die Regierung im Bundestag aber keine eigene Mehrheit, um dieses Vorhaben durchzusetzen.

Amtsärzte warnen die Politik in aktueller Welle vor verfrühten Festlegungen

Und ob die oppositionelle Union dann mitmachen würde? Ungewiss. Die deutschen Amtsärzte warnen ohnehin vor zu frühen Festlegungen: „Ob die Maßnahmen verlängert werden sollten beziehungsweise in welchem Umfang sie fortgesetzt werden, muss anhand der pandemischen Lage in den ersten Märzwochen entschieden werden“, sagte Elke Bruns-Philipps, unserer Redaktion.

Bruns-Philipps ist stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbands der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Frage ist nur, ob sich die Politik bis März Zeit lässt. Es scheint derzeit eher unwahrscheinlich.