Berlin. Bis 2030 sollen doppelt so viele Fahrgäste in Zügen unterwegs sein wie vor der Pandemie. Wie die Deutsche Bahn das erreichen möchte.

Zwischen Hamburg und Berlin hat sie schon begonnen, die Reise in die Zukunft. Seit Dezember 2020 rollt zwischen Haupt- und Hansestadt alle 30 Minuten ein Fernzug. In nicht einmal zehn Jahren sollen alle Metropolen in Deutschland so miteinander verbunden sein. Schon ab Mitte Dezember setzt die Deutsche Bahn mehr Sprinter-ICE ein, die Fahrzeiten verkürzen sich damit auf mehreren Fernstrecken um 30 Minuten.

„Wir stehen vor einem Jahrzehnt der Schiene“, prophezeit Enak Ferlemann. Der CDU-Mann aus Niedersachsen ist parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium – und wurde unter Schwarz-Rot der erste Bahnbeauftragte der Bundesregierung.

Der Deutschlandtakt soll Städte und Regionen näher zusammenbringen und die Fahrgastzahlen in Fernzügen bis 2030 im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit verdoppeln – auf jährlich 260 Millionen. Damit steht die Eisenbahn im Zentrum der Verkehrswende für mehr Klimaschutz. Kommt jetzt die Wiederentdeckung der Bahn?

Lesen Sie hier: Deutsche Bahn: Ab wann es Tickets für Weihnachten gibt

Bahn: 181 Bauprojekte für 40 Milliarden Euro stehen an

Tatsächlich hat die große Koalition Abstand davon genommen, das Staatsunternehmen Deutsche Bahn AG auf Profit zu trimmen und zu verkaufen. Stattdessen steht jetzt ein massiver Aus- und Umbau des Bahnnetzes im Fokus.

Was alles zu tun ist, hat Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) aufgelistet: 181 Bauprojekte für insgesamt 40 Milliarden Euro. Erstmals sei ein Modellfahrplan aufgestellt worden, der die Belange von Nah-, Fern- und Güterverkehr berücksichtige, sagt Ferlemann. „Alle drei Bereiche sind gleichrangig und bekommen ihre jeweiligen Fahrtrassen.“ Die Schweiz etwa baut ihr Bahnnetz bereits seit Jahrzehnten nach diesem Prinzip aus.

Bahn-Pläne: Experten zweifeln Umsetzbarkeit an

Höchste Priorität hat unter anderem eine Neubaustrecke zwischen Hannover und Bielefeld. Auf dem Mittelstück der viel genutzten Route Berlin–Ruhrgebiet sollen ICE mit 300 Stundenkilometern rollen. Weitere Herzstücke: ein Fernbahntunnel unter Frankfurt hindurch sowie deutlich kürzere Fahrzeiten auf den Korridoren von Fulda nach Erfurt und Nürnberg sowie zwischen Stuttgart und Mannheim.

Experten sind weniger euphorisch. „Es hat in der Tat eine Wende gegeben“, sagt der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbands Pro Bahn, Karl-Peter Naumann: „Zumindest, was die Planung angeht.“ Naumann hat aber Bedenken hinsichtlich der Umsetzung. Zwar gebe es mehr Geld für Investitionen. „Wenn man die weiterhin starke Auto-Orientierung in der Verkehrspolitik sieht und die langen Planungsprozesse, muss man Zweifel hegen, ob ein Deutschlandtakt vollständig umgesetzt werden wird.“

Es mangelt der Bahn an Konkurrenz

Der Grünen-Verkehrsexperte Oliver Krischer kritisiert: „Bei wirksamen und konkreten Maßnahmen mangelt es deutlich.“ Zum jetzigen Zeitpunkt müsse man feststellen: „Die haben im Ministerium hauptsächlich heiße Luft produziert.“

So will Krischer die geplante Verdopplung der Fahrgastzahlen nicht allein der Deutschen Bahn überlassen. „Die Konkurrenz dürfte hier definitiv das Geschäft beleben, und bei den anvisierten Steigerungen bei den Fahrgastzahlen sind noch genug Wachstumsmöglichkeiten für die DB vorhanden.“ Bislang rollen ICE und IC – mit Ausnahme von Flixtrain – weitgehend konkurrenzlos im Fernverkehr.

Schuldenberg von 30 Milliarden Euro hat sich aufgetürmt

Schienenverkehr kostet. Allein für die Instandhaltung und Sanierung des 33.000 Kilometer langen Schienennetzes erhält die Bahn jährlich 6,2 Milliarden Euro vom Bund. Hinzu kommen Steuergelder für Regionalzüge – 9,3 Milliarden Euro im Jahr, die sich die Bahn mit privaten Anbietern teilt.

Dennoch hat sich seit Gründung der Bahn AG 1994 ein Schuldenberg von 30 Milliarden Euro aufgetürmt. Allein in der Corona-Krise stieg dieser 2020 um rund 5,7 Milliarden Euro. Dennoch sehen Kritiker bei der Instandhaltung noch einen riesigen Nachholbedarf von bis zu 29 Milliarden Euro, so der Grünen-Politiker Krischer. Pünktlichkeit und mehr Kapazität statt Gewinnorientierung müssten die Aufgabe der Netzsparte der DB sein.

Naumann und Krischer kritisieren, dass Deutschland bei Investitionen in die Schiene am unteren Ende rangiere. „Gerade einmal 88 Euro pro Kopf“ stellte die große Koalition bereit, sagt Krischer: „Die Schweiz, Österreich, Schweden und sogar das kleine Luxemburg geben mitunter mehr als das Vierfache aus, um einen guten Bahnverkehr zu garantieren.“ Die nächste Bundesregierung müsse hier deutlich mehr Geld zur Verfügung stellen.