Das Gleisnetz ist marode, die Züge kommen immer öfter zu spät. Die Deutsche Bahn steht kurz vor dem Kollaps, meint unser Autor.

Kaum ein Tag vergeht in diesem Sommer ohne schlechte Nachrichten von der Bahn. Die Pünktlichkeit erreicht im Fernverkehr mit weniger als 60 Prozent einen rekordverdächtigen Tiefstand. Eine Million Betonschwellen müssen in rascher Folge ausgetauscht werden, weil sie offenbar ein Sicherheitsrisiko für den Zugverkehr sind. Die Eisenbahner-Gewerkschaft EVG beklagt einen Krankenstand von über 25 Prozent und auch generell fehlendes Personal in wichtigen Bereichen.

Das 9-Euro-Ticket ist so erfolgreich, dass die Bahnhöfe aus allen Nähten platzen, Bahnsteige zwangsgeräumt werden und der Massenandrang die Züge so beansprucht, dass sie schnell zur Wartung und zur Reparatur aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Als Folge all dieser Malaisen fallen so viele Züge aus, dass ganze Regionen vom Nahverkehr abgekoppelt werden. Ein Ersatzverkehr scheitert wiederum an fehlenden Bussen und Busfahrern. Das System Bahn steht vor dem Kollaps.

Wolfgang Mulke, Wirtschaftskorrespondent
Wolfgang Mulke, Wirtschaftskorrespondent © ZRB

Umso seltsamer erscheinen die hochtrabenden Ziele der Bahn und der Politik. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll sich die Anzahl der Passagiere im Fernverkehr verdoppeln, im Nahverkehr die Grenze von einer Milliarde Fahrgäste geknackt werden. Daran halten Bundesregierung und Bahnvorstand stoisch fest, auch wenn es überall im Gebälk knackt und knirscht.

Eine positive Botschaft gibt es. An der Nachfrage scheitern die Pläne zum massiven Ausbau der Eisenbahn in Deutschland gewiss nicht. Die Menschen wollen aus den verschiedensten Gründen Bahn fahren: weil sie müssen, weil sie nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre lieber im Inland Urlaub machen, weil sie dem Klima zuliebe auf Flugzeug oder Auto verzichten oder weil die Tickets teilweise sehr günstig sind.

Die jahrzehntelange Vernachlässigung der Infrastruktur lässt sich nicht über Nacht beseitigen. Das wird jedem klar sein. Doch wenn die Bahn sich wie erwünscht entwickeln soll, müssen die gröbsten Versäumnisse so schnell wie möglich nachgeholt werden.

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An guten Worten mangelte es schon in den letzten zehn Jahren nicht. Tatsächlich geändert hat sich leider nichts. Die finanzielle Ausstattung durch den Bund reicht immer noch nicht für eine umfassende Modernisierung der Schienenwege aus.

„Chefsache Bahn“ – davon ist bislang nicht viel zu sehen

Auch der amtierende Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) steht hier noch in der Bringschuld. Denn im Verkehrsetat findet sich die von ihm erklärte „Chefsache Bahn“ noch nicht wieder. Angesichts der hohen Inflation ist eher zu befürchten, dass die zugesagten Mittel für viel weniger Baumaßnahmen reichen als ursprünglich angenommen.

Der angekündigte Aufbau eines Hochleistungsnetzes in diesem Jahrzehnt ist der richtige Weg. Die Vorhaben müssen allerdings auch bis zur letzten Bahnschwelle finanziell sicher abgedeckt werden. Sonst bleibt es wie so oft beim leeren Versprechen, dass alles bald besser wird.

Eine neue Bringschuld hat sich die Ampelkoalition selbst eingebrockt. Der Erfolg des 9-Euro-Tickets schreit nach einem Anschlusskonzept. Es einfach dabei zu belassen, ist nicht ratsam. Die Aktion geht zulasten der Beschäftigten und belastet sowohl das rollende Material als auch die Bahnhöfe im Übermaß.

Gesucht ist eine Übergangslösung, bis das Angebot an In­frastruktur, Personal und Zügen an eine höhere Nachfrage angepasst worden ist. Ein bundesweit einheitliches und erschwingliches Ticket wäre ein erster guter Schritt. Auch hier muss der Bund beweisen, wie ernst er es mit der klimafreundlichen Bahn meint.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.