Berlin. Verbraucher testen bis Ende September vier Modelle zur Kennzeichnung von Lebensmitteln. Eines davon könnte schon bald im Handel sein.

Nach Jahren der Grabenkämpfe zwischen Lebensmittelindustrie und Verbraucherschützern zeichnet sich eine Lösung ab: Die erweiterte Nährwertkennzeichnung für Fertigprodukte – ein Zeichen auf der Vorderseite einer Verpackung – rückt in greifbare Nähe.

Bis Ende September sollen ausgesuchte Konsumenten darüber abstimmen, welches der vorgelegten Modelle sie am besten verstehen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft will sich daran „maßgeblich orientieren“. Um dann den Weg zu ebnen für eine freiwillige Kennzeichnung, die zeigen würde, ob ein Lebensmittel eher gesund oder ungesund ist.

Die Sicht der Verbraucherschützer ist klar: Die Verbraucherzentralen und die Organisation Foodwatch halten es seit Jahren für sinnvoll, den Menschen beim Einkauf von gesunden fertigen Lebensmitteln mit einer Art Ampel zu helfen. Rot steht für „schlecht“, Grün für „gut“. Sie fordern konkrete gesetzliche Vorgaben. Zuletzt erhöhten sie einmal mehr den Druck auf die Politik.

Mediziner werben seit Jahren für die Kennzeichnung

Unterstützung bekommen sie – auch das seit Jahren – von zahlreichen Medizinern. Im Kampf gegen Übergewicht bräuchten vor allem Familien eine „leicht verständliche, farblich untermalte Kennzeichnung von Fett, Zucker und Salz auf Lebensmitteln“, forderten Kinderärzte aus Deutschland und der EU bereits im Jahr 2010. Und auch Joachim Spranger, Ernährungsmediziner der Berliner Charité, sagte vor Tagen: „Jeder zweite Deutsche ist übergewichtig, es ist wichtig, da einzugreifen.“

Im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums testen Hunderte Bürger derzeit vier Modelle: Sie alle basierten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, erklärt Pablo Steinberg, Leiter des staatlichen Max-Rubner-Instituts. „Mir ist wichtig, dass eine Kennzeichnung kommt, die dem Bürger bei einer Kaufentscheidung hilft, egal welchen Namen sie hat“, sagt Steinberg.

Steinberg nennt sie einen Baustein, um Übergewicht und Fettleibigkeit sowie daraus resultierenden Krankheiten wie Diabetes oder Herzleiden vorzubeugen. Langfristig soll das Zeichen auf der Packung die Menschen dahingehend beeinflussen, dass sie ausgewogener essen.

Foodwatch und Verbraucherzentralen sind für den Nutri-Score

Über das Ob einer Kennzeichnung besteht kaum Streit, das Wie aber ist hoch umstritten. Foodwatch und die Verbraucherzentralen sprechen sich für den sogenannten Nutri-Score aus. Dieser arbeitet mit Buchstaben und Farben und kommt am ehesten jener Lebensmittelampel nahe, die sie fordern. „Aus unserer Sicht sind die Argumente, die für diese Form der Kennzeichnung sprechen, erdrückend“, sagt Armin Valet, Lebensmittelexperte der Verbraucherzentrale Hamburg.

Die Einordnung erfolge auf wissenschaftlich nachvollziehbaren Argumenten, das Zeichen sei am besten zu verstehen, sogar für Kinder. Auch die Tendenzen in der Lebensmittelindus­trie, den Nutri-Score selbst ohne gesetzliche Pflicht zu verwenden, sprächen Valet zufolge dafür. Danone, Bofrost, Iglo, McCain oder Nestlé hätten ihre Bereitschaft signalisiert oder erste Schritte eingeleitet. Und auch das sei ein Argument: „Den Nutri-Score gibt es schon in anderen Ländern – in Frankreich, Portugal oder Belgien.“

Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hat die Verständlichkeit dieser Kennzeichnung sogar mittels einer eigenen Studie untersucht. Mit dem Ergebnis, dass der Nutri-Score von allen verbreiteten Systemen am besten über die Ernährungsqualität aufkläre.

Die Lebensmittelwirtschaft hat ein eigenes Modell

Der Lebensmittelverband Deutschland, der Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, sieht das ganz anders. Er wehrt sich bei der Kennzeichnung auf der Verpackungsfront seit jeher gegen Farben, Gesamturteile oder Pflichten. Eine subjektive Bewertung lehnt der Verband „angesichts unterschiedlicher Ernährungsgewohnheiten und -vorlieben ab“, wie es in einer Stellungnahme heißt.

Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht sei ein ausgeglichenes Nährwertprofil eines jeden Lebensmittels schwer möglich und überflüssig. „Im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung können durchaus Lebensmittel mit unterschiedlichem Nährwertprofil kombiniert werden.“

Weltweit gibt es laut Verbandsangaben 150 Kennzeichnungsmodelle, 80 davon mit Nährwertbezug. Sie alle hätten wissenschaftlich betrachtet Vor- und Nachteile. Und allein die große Anzahl zeige, dass kein Modell dabei sei, „das flächendeckend von der Lebensmittelwirtschaft akzeptiert werden kann“. Der Lebensmittelverband hat auch deshalb ein eigenes Modell vorgelegt.

2020 könnten die ersten Produkte gekennzeichnet sein

Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, wartet das Ergebnis der Verbraucherbefragung ab. Dann soll ein Kennzeichnungsmodell eingeführt werden. Anfang 2020 könnte es soweit sein.
Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, wartet das Ergebnis der Verbraucherbefragung ab. Dann soll ein Kennzeichnungsmodell eingeführt werden. Anfang 2020 könnte es soweit sein. © dpa | Britta Pedersen

Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) will ihr Urteil vor allem auf das Ergebnis der Verbraucherbefragung stützen. In ihrem Auftrag untersucht die Info GmbH die Verständlichkeit von vier Zeichen – in Gruppendiskussionen mit acht bis zehn Teilnehmern sowie mittels einer repräsentativen Umfrage. In verschiedenen Interviewformaten werden etwa 1600 Bürger befragt, an verschiedenen Orten in Deutschland, aus repräsentativen Bevölkerungsgruppen. Ende September soll das Ergebnis vorliegen.

Dann könnte die Ministerin bei der EU die Verwendung des Zeichens in Deutschland anmelden. „Anfang 2020 könnten wir die ersten Produkte mit dieser Kennzeichnung in den Läden sehen“, sagt Verbraucherschützer Valet. Dass die Indus­trie auch ohne Vorschrift mitmache, sei wahrscheinlich: „Wir hoffen auf einen Dominoeffekt. Der Druck der Verbraucher ist groß geworden.“