Berlin. Einzelhändler kämpfen seit Wochen mit halbleeren Regalen. Schuld sind aber keine Corona-Hamsterkäufe, sondern ein neues EU-Gesetz.

  • Im Einzelhandel sind seit Wochen leere Regale zu beobachten
  • Bestimmte Produkte müssen aus dem Sortiment genommen werden
  • Grund dafür ist ein Schadstoff, der ab März offiziell verboten wird
  • Die Auswirkungen des EU-Gesetzes auf Drogerien

Es ist ein Anblick, den Kundinnen und Kunden höchstens von Ausverkäufen, Geschäftsschließungen oder dem Höhepunkt der Toilettenpapier-Hamsterkäufe kennen: Beim Einkauf in Drogerien, Parfümerien, sogar Supermärkten und Apotheken, fallen immer häufiger leere Regale auf.

Dabei handelt es sich allerdings nicht um tagesaktuelle Engpässe. Die Lücken machen sich bereits seit einigen Wochen bemerkbar und werden vermutlich auch noch ein paar Wochen anhalten. Lesen Sie auch: Klopapier im Supermarkt wird teurer – und mancherorts knapp

Der Hintergrund: An besagten Stellen stand bis vor Kurzem eine Bandbreite verschiedenster Produkte, die eine Sache gemein haben – den Inhaltsstoff Lilial. Dieser darf allerdings schon bald EU-weit nicht mehr verkauft werden.

Lilial: Warum der Wirkstoff verboten wird

Bei Lilial, auch Butylphenyl Methylpropional genannt, handelt es sich um einen besonders häufig eingesetzten Wirkstoff. Aufgrund seiner blumigen Note ist der Duftstoff in unterschiedlichsten Waren enthalten, darunter Kosmetika, Deo und Parfüms, Schwämmchen, Seife, Reinigungsmittel, Weichspüler, Haarspray, selbst Duschgel und Shampoos.

Dennoch stand der synthetische Duftstoff, der dem Geruch von Maiglöckchen ähnelt, aufgrund seiner potenziell schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit schon länger in der Kritik: "Öko-Test" berichtete bereits 2016 von einer fortpflanzungsschädigender Wirkung, die anhand einer BASF-Studie mit Tierversuchen festgestellt wurde. Außerdem besteht bei dem Wirkstoff ein erhöhtes Allergierisiko.

Zudem hat das wissenschaftliche Beratergremium der EU-Kommission mehrmals darauf hingewiesen, dass Lilial möglicherweise das Erbgut schädigen könne. In einer Bewertung von 2019 warnte das Gremium in vielen Anwendungsbereichen ausdrücklich vor dem Stoff: Als Teil von Sprays wie Sprühdeos oder Haarsprays könne es zu leicht in die Lunge gelangen.

Seit August 2020 wird Lilial offiziell als reproduktionstoxisch eingestuft und taucht deshalb seit Juli 2021 auf der "Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe" (SVHC) auf. Ab 1. März 2022 ist der Stoff EU-weit in Kosmetikprodukten verboten.

Einzelhandel: Wie sich das Verkaufsverbot auf Geschäfte auswirkt

Infolge der neuen Regelung steht der Einzelhandel unter enormen Schwierigkeiten, wie eine erfahrene Leiterin einer der 570 Müller-Filialen Deutschlands unserer Redaktion berichtet. Sie beschreibt, was auch viele anderen Märkte im Drogeriebereich derzeit erleben.

So seien die Hersteller zwar dazu verpflichtet ihren Vertragspartnern mitzuteilen, ob Waren aus ihren Sortimenten derartigen Gesetzen entsprechend zurückgerufen werden müssen – die tatsächlich betroffenen Produkte der jeweiligen Marken müssen von den Filialen allerdings selbst ermittelt, geprüft und entsprechend aus dem Sortiment genommen werden. Was nach dem ohnehin langwierigen Aufwand bleibt, sind vorübergehend lückenhafte Regale, die nicht problemlos anderweitig gefüllt werden können.

Sofern es sich nur um wenige Produkte eines Aufstellers handelt, werden die Plätze im Regal in Hoffnung auf schnelle Anpassung der Inhaltsstoffe häufig auch weiterhin für die Ware reserviert. Das Problem: Die Änderung der Inhaltsstoffe vom Hersteller nimmt üblicherweise etwas Zeit in Anspruch, weshalb wochenlange Lücken an entsprechenden Stellen keine Seltenheit sind.

Ist ein erheblicher Anteil des Regals von derartigen Rückrufen betroffen, können die Lücken nur mit einer Sortimentsänderung behoben werden. Neue Verträge zu schließen, dauert allerdings seine Zeit.

Corona: Drogeriemärkte können Sortimentslücken nicht einfach beheben

Die Stückzahl bereits angebotener Produkte zu erhöhen und die Flächen übergangsweise auf diese Weise zu füllen, ist wiederum aufgrund von pandemiebedingten Lieferschwierigkeiten nicht immer möglich. "Bestimmte Markenprodukte können uns wegen Corona seit Monaten nicht mehr regulär geliefert werden. Von anderen Herstellern bekommen wir teilweise nur noch ein Fünftel der ursprünglichen Menge", bestätigt die Filialleiterin eines Müller-Markts unserer Redaktion.

Was Hersteller ohne Lieferschwierigkeiten betrifft, sei eine Sonderbestellung allerdings nur dann ohne Verzögerung möglich, wenn die Marke von keinem Rückruf betroffen sei. "Trotz EU-weiter Regelung sind wir auf die markeninternen Rückrufe unserer Vertragspartner angewiesen. Jeder Hersteller bestimmt dabei eine eigene Umstellungsfrist. Bis diese Frist abgelaufen ist, dürfen die Produkte offiziell noch angeboten und währenddessen noch keine weitere Ware bestellt werden", heißt es auf Nachfrage unserer Redaktion.

Um die EU-Frist des Lilial-Verkaufsverbots einhalten zu können, werden die Regale aber bereits seit Januar 2022 stufenweise untersucht und leergeräumt. Die Verkaufsfristen der Hersteller laufen teilweise allerdings bis Ende Februar: Entsprechend bilden sich wochenlange Lücken – während bis nach Ablauf der Verkaufsfrist des Herstellers keine weiteren Bestellungen platziert werden dürfen. Rechne man Lieferzeit, mögliche Corona-Engpässe und weiteres dazu, sei auch in den nächsten Wochen keine Lieferung von Neuware realistisch.

Die Marktkette Müller ist bei weitem nicht die einzige Drogerie- bzw. Parfümeriekette, die von derartigen Lücken betroffen ist. Aufgrund der sich stark ähnelnden Sortimentsauswahl zeichnen sich ebenso viele leere Flächen bei dm-Filialen, Filialen von Rossmann, Douglas und weiteren Einzelhändlern ab. Selbst Apotheken sind von den Rückrufen der Lilial-Produkten betroffen. (day)