Berlin. E-Bikes sind flott und teuer. Wer eins fährt, fühlt sich stark. Wo bleiben da bloß die Fußgänger, fragt sich unsere Kolumnistin.

Irgendein Stückchen Waldweg, ein Pfad über das Feld, platt getretener Lehm unter Bäumen findet sich doch immer, sag ich mir, wenn ich ein wenig Zeit habe und mal etwas anderes sehen will beim Laufen als die Lietzensee-Trauerweiden. Und dann fahre ich mit dem Rad raus, ein ganz normales City-Bike, bis ich am Bahnhof Grunewald die Stadt ein wenig hinter mir lassen kann.

Ganz gemächlich, in einer Art meditativem Trab, entferne ich mich von den Familien mit ihren Bollerwagen, den Spaziergängern, den Hunde-Gassi-Gehern. Ab und zu überholt mich ein anderer Läufer, eine andere Läuferin, diese Profis, die die zehn Kilometer unter einer Stunde schaffen. Ich vergesse, dass ich irgendwann auch wieder zurück muss – und laufe tief in den Wald.

Die rechte Seite des Weges ist voller großer Steine, aus Sorge, mir zum wiederholten Male die Bänder des Sprunggelenks zu verletzen, laufe ich links. Der Boden ist weich, es kommt ein wenig Spätsommersonne durch das Mischwald-Blattwerk. Ich erreiche diesen Zustand der Leere, ich denke an: nichts.

Die E-Bike-Fahrerin zieht plötzlich auf meinen Pfad

Dann vor mir die Waldkreuzung. Von links zieht plötzlich auf schweren Reifen eine E-Bike-Fahrerin mit einer irren Geschwindigkeit auf meinen Pfad. Kurz bevor wir aufeinanderprallen, macht sie eine Vollbremsung und schimpft mich fürchterlich aus. Im Wald gelten, brüllt sie, die gleichen Regeln wie auf der Straße. Ich bin so erschrocken und so perplex, dass ich stumm bleibe, während sie fluchend mit ihrem Motor ruck, zuck wieder auf Touren kommt.

Ich ziehe mein Handy und google die Verkehrsregeln im Wald. Ich kann laufen, wo ich will, die Radfahrer müssen sich unterordnen, lerne ich, will es der E-Mountain-Bikerin hinterherbrüllen, doch sie ist längst weg.

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Ich frage mich, wozu überhaupt das E-Bike in diesem Wald nötig ist. Sportlich jedenfalls kann es gar nicht werden, dazu fehlen die Berge.

Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne über Frauen, Familie und Gesellschaft.
Brigitta Stauber schreibt in ihrer Kolumne über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Die immerhin gibt es am Gardasee, mein Spätsommer-Urlaubsziel. Die ganze Region von Trento bis Verona ist inzwischen bestens ausgebaut für Radler. Einer von ihnen ist Karl aus Tirol, der mehrmals im Jahr an den See fährt und mit seinem E-Bike die Berge rundherum erklimmt.

Karl ist 60, super durchtrainiert, seinen sehnigen, braun gebrannten Körper zeigt er nach seinen Touren gern im Swimmingpool, wo er sich beim Schwatz mit anderen Urlaubern entspannt. Karl sagt, an den See gehe er gar nicht, interessiere ihn nicht. Viel zu voll.

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Vor allem: Viel zu viele E-Biker, die ihr Gefährt nicht wie Karl für den Sport nutzen, sondern für die ebenerdigen zwei oder drei Kilometer vom Campingplatz bis zur Bar oder Pizzeria. Immer voll Speed ohne jede Schweißperle. „Macht mal Platz“, brüllen sie auf Deutsch die Fußgänger an, die, wie neulich im Wald, eigentlich auf diesem Kombiweg am See Vorrang haben. „Lauft hintereinander“, schreien sie uns an, dabei wollen wir uns fröhlich unterhalten und den Blick genießen: Wasser, blauer Himmel, dahinter die Berge.

Aperol Spritz und Pizza, ist das alles, wofür ihr das E-Bike braucht?

Mir kommen beim Beiseite-Hüpfen böse Gedanken: Ist das euer Urlaub, erst abhängen, dann sich vom Rad in die Stadt fahren lassen, Pizza essen, Aperol Spritz trinken und wieder zurück in den Liegestuhl? Könnt ihr nicht mal laufen? Oder mit dem Alltagsrad fahren? Zumal viele der Luxus-Bike-Raser von einer Karl-Figur weit entfernt sind.

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Dem nächsten, der mich anbrüllt, werde ich hinterherrufen, er solle mal Sport machen, sage ich zu meiner Familie. Die mahnt, ich solle mich entspannen.

Klar, es ist ja nicht jeder passionierter Sportler. Und so ein Pasta/Pizza-Urlaub in Italien ja auch nicht zum Schlankwerden geeignet. Diese Räder waren doch bestimmt sehr teuer; das muss sich auch lohnen, also dann jeder Weg schnell ans Ziel gehen.

Ein wildes Klingeln hinter mir bringt meinen Empathie-Versuch jäh zu Ende. Es ist eine Reisegruppe 70+. Sie fahren den Fuß-Radweg locker-leicht in einem Tempo bergauf, dass sie in einer Tempo-30-Zone geblitzt werden könnten. Wir springen alle zur Seite – auf die Fahrbahn, über die Campingbusse donnern, an denen mindestens zwei E-Bikes hängen.

Also irgendwas läuft hier falsch.

Dieser Text erschien zuerst auf morgenpost.de

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