Madrid. An einem Grenzzaun zwischen Marokko und der spanischen Enklave Melilla kam es zu Gewalt und Panik. Zahlreiche Geflüchtete starben.

Es ist die schlimmste Tragödie, die sich je am spanisch-europäischen Grenzzaun zwischen Spaniens Nordafrika-Exklave Melilla und Marokko ereignet hat: Mindestens 23 Flüchtlinge starben nach vorläufigen offiziellen Angaben der marokkanischen Behörden beim Versuch, die Sperranlagen zu überwinden und spanischen Boden zu erreichen.

Flüchtlingsorganisationen berichten sogar von 37 Toten. Mehr als 300 Menschen, darunter auch etliche Grenzpolizisten, wurden zum Teil schwer verletzt.

Die meisten Todesfälle ereigneten sich offenbar in einem tiefen Grenzgraben auf marokkanischer Seite, wo etliche Menschen von der nachrückenden Menge niedergetrampelt und erdrückt wurden. Weitere Opfer soll es durch Stürze am sechs Meter hohen Grenzzaun gegeben haben, wo marokkanische und spanische Polizisten verhindern wollten, dass die Menschen über die Sperranlagen klettern. Dabei wurden nach Augenzeugenberichten auch Schlagstöcke und Tränengas eingesetzt.

Am Grenzzaun zwischen der spanischen Exklave Melilla und Marokko kam es zu zahlreichen Toten und Verletzten
Am Grenzzaun zwischen der spanischen Exklave Melilla und Marokko kam es zu zahlreichen Toten und Verletzten © dpa

Auf Videobildern, die von der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung AMDH veröffentlicht wurden, sieht man sehr viele leblose Körper im Grenzgebiet am Boden liegen. Diese Aufnahmen stützen die Vermutung, dass die Zahl der Opfer höher ist, als bisher offiziell von Marokkos Behörden angegeben.

Rund 2000 Menschen wollten Grenzzaun durchbrechen

Das Drama ereignete sich bereits am Freitag, doch die Tragweite des Vorfalls wurde erst am Wochenende bekannt. Marokkanischen und spanischen Angaben zufolge hatten im Morgengrauen rund 2000 afrikanische Flüchtlinge und Migranten aus den Ländern unterhalb der Sahara versucht, sich dem hohen Doppel-Grenzzaun zu nähern. Dort wurden sie von marokkanischen Polizisten erwartet, welche die Menge zurücktrieben.

Es kam auf Marokkos Seite zu einer Feldschlacht in der Nähe des Grenzwalles. In deren Verlauf haben offenbar auch Migranten mit Steinen, Stöcken und Messern die Sicherheitskräfte angegriffen. Schon bei dieser Auseinandersetzung wurden zahlreiche Personen verletzt. Marokkos Polizei nahm hier bereits Hunderte von Menschen fest.

Grenze zwischen Marokko und Spanien: Grenzpolizei wendet Gewalt an

Stunden später gelang es trotzdem rund 500 Flüchtlingen, die marokkanischen Polizeilinien zu durchbrechen. Anschließend begannen sie, die Grenzsperranlagen zu überwinden. Dazu gehören auf marokkanischer Seite ein messerscharfer Stacheldrahtwall und ein tiefer Graben. Dann folgt auf der spanisch-marokkanischen Grenzlinie ein sechs Meter hoher Doppelzaun. Den Afrikanern gelang es, ein Tor im Zaun aufzubrechen.

Doch auf der anderen Seite warteten spanische Grenzpolizisten, die die Menschen ebenfalls mit Schlagstöcken zurückdrängten. Zugleich prügelten marokkanische Grenzer auf die Menge ein. Die Migranten, die sich zum Teil mit Gewalt zur Wehr setzten, wurden von den Sicherheitskräften beider Seiten in die Zange genommen. Panik brach aus, was möglicherweise dazu beitrug, dass gestürzte Flüchtlinge von Nachdrängenden erdrückt wurden.

EU-Grenze: Geflüchtete kommen aus Armuts- und Bürgerkriegsländern

Grauenhafte Szenen an einer Grenzanlage, die von der Europäischen Union mit Millionengeldern hochgerüstet wurde. Trotzdem schreckt diese martialische Sperranlage Einwanderer aus Afrika nicht ab. Wohl auch, weil viele jene, die aus Bürgerkriegs- oder Armutsländern kommen, nichts zu verlieren haben.

Auch dieses Mal gelang es etlichen Menschen, auf spanisches und somit europäisches Territorium zu gelangen. Annähernd 130 Afrikaner, die meisten aus dem Chaos- und Hungerland Sudan, wurden nach Angaben von Hilfsorganisationen in einem Aufnahmelager in Melilla versorgt.

Viele von ihnen hatten Schnittverletzungen an Händen und Füßen oder Platzwunden am Kopf erlitten. Einige von ihnen machten das Siegeszeichen, als sie auf spanischem Boden waren. Andere riefen "Freiheit, Freiheit" und küssten die Erde oder beteten zum Himmel. Die meisten Afrikaner, die von Marokko aus mit einer Bootsfahrt übers Mittelmeer oder mit einem Zaunsprung Europa erreichen, haben eine jahrelange gefährliche Odyssee hinter sich.

Spaniens Regierungschef bedankt sich bei Einsatzkräften

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty forderte eine Untersuchung des Todesdramas an der Grenze. "Auch wenn von den Migranten möglicherweise Gewalt angewandt wurde, ist bei der Überwachung der Grenze nicht alles erlaubt", erklärte Spaniens Amnesty-Chef Esteban Beltrán. Es habe durch die Polizeieinheiten beider Seiten schwere Verletzungen der Menschenrechte gegeben.

Spaniens sozialdemokratischer Regierungschef Pedro Sánchez verurteilte derweil den "gewaltsamen Angriff" auf den Grenzzaun. Er verteidigte das Vorgehen der spanischen Sicherheitskräfte, welche das nationale Territorium verteidigt hätten.

Zudem bedankte er sich bei Marokko für die Zusammenarbeit bei der Grenzkontrolle. "Wenn es einen Verantwortlichen für das Geschehene gibt, dann sind es die Mafias, die sich dem Menschenschmuggel widmen."

Das BAMF: Ein Amt mit viel Verantwortung

weitere Videos

    Marokko nutzt Migration an EU-Grenze als Druckmittel

    Die UN-Flüchtlingsorganisationen UNHCR und IOM reagierten mit "Traurigkeit und Besorgnis" auf die Todesfälle an der Grenze in Melilla. In einer gemeinsamen Erklärung forderten sie Spanien und Marokko auf, "der Sicherheit von Flüchtlingen und Migranten Vorrang einzuräumen und den Einsatz exzessiver Gewalt zu vermeiden".

    In Spaniens Nordafrika-Besitzungen Melilla und Ceuta versuchen jedes Jahr Tausende von Flüchtlingen über die Grenze zu gelangen. Vor einem Jahr waren in Ceuta in 24 Stunden über 10.000 Menschen angekommen. Dies wurde möglich, nachdem Marokko vorübergehend seine Grenzpolizei abgezogen hatte. Marokko benutzt die Migration immer wieder als Druckmittel, um von Spanien oder der EU Zugeständnisse zu erzwingen.

    Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.