Berlin. Fehlgeburten sind immer noch ein Tabuthema, dabei sind sie keine Seltenheit. Prominente Betroffene teilen ihre leidvollen Erfahrungen.

Königin Sonja von Norwegen ist 85 Jahre alt. Sie hat zwei erwachsene Kinder und fünf Enkel. Als Bürgerliche war sie nicht besonders beliebt bei ihrem späteren Schwiegervater König Olav. Neun Jahre dauerte es, bis Kronprinz Harald dessen Zustimmung bekam Sonja Haraldsen heiraten zu dürfen. Nach der Hochzeit, in den 1970er-Jahren, ereilten sie zwei Schicksalsschläge, die sie bis heute beschäftigen: „Ich hatte zwei Fehlgeburten“, erzählte Königin Sonja kürzlich der norwegischen Tageszeitung Verdens Gang. Bereits 2016 hatte sie in einer Dokumentation zum 25-jährigen Thronjubiläum davon berichtet: „Es war grausam. Ich war ganz allein.“

Königin Sonja ist nicht die Einzige, die so offen mit ihrem Schmerz umgeht. Andere prominente Beispiele sind Michelle Obama, Meghan Markle, Beyoncé, Britney Spears. Auch sie machten ihre Fehlgeburten öffentlich. In Deutschland sprach zuletzt die „Let’s Dance“-Profitänzerin Renata Lusin über ihre Fehlgeburt in der zehnten Schwangerschaftswoche. Auch Model und Influencerin Marie Nasemann, sowie die Moderatorin und Exfrau des Rappers Sido, Charlotte Würdig, berichteten von ihren erlittenen Fehlgeburten. Sie alle wollen Betroffenen zeigen: Du bist nicht allein.

In den 1970er Jahren erlitt die norwegische Königin zwei Fehlgeburten. Heute hat Sonja zwei erwachsene Kinder und fünf Enkel und spricht offen über die traumatischen Erfahrungen (Archivbild).
In den 1970er Jahren erlitt die norwegische Königin zwei Fehlgeburten. Heute hat Sonja zwei erwachsene Kinder und fünf Enkel und spricht offen über die traumatischen Erfahrungen (Archivbild). © dpa | Rick Findler

Eine Fehlgeburt sei erst einmal nichts Ungewöhnliches, betont Gynäkologe und Psychotherapeut Wolf Lütje, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG): „Zur reproduktiven Phase gehört das Thema Fehlgeburten dazu. Man kann davon ausgehen, dass jede dritte Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt endet“, sagt Lütje.

Die ersten zwölf Wochen meist entscheidend

Die meisten Schwangerschaftsabgänge passieren in den ersten zwölf Wochen, sind sogenannte Frühaborte. „Das ist eine sensible und schwierige Entwicklungsphase, in der aus zwei Zellen ein hochkomplexes Gebilde wird“, erklärt Lütje. Danach sinkt das Risiko für eine Fehlgeburt deutlich. Ereignet sich die Fehlgeburt zwischen der zwölften und 24. Schwangerschaftswoche, sprechen Ärzte von einem Spätabort.

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Abort – für Lütje ein grusliger, unpassender Begriff: „Mit einem Abort assoziiert man ein Klo in einem alten Zug“, findet er. Fehlgeburt sei der etablierte und passendere Terminus. Von einer Totgeburt wiederum spricht man ab der 22. Schwangerschaftswoche, wenn das Kind grundsätzlich lebensfähig wäre.

Das sind die Gründe für Fehlgeburten

Der häufigste Grund für eine Fehlgeburt sind genetische Fehlprägungen der Ei- oder Samenzelle, so Lütje. Deswegen sei auch das Alter der werdenden Mutter ein Faktor: „Je länger die etwa 400.000 Eier, die eine Frau in sich trägt, chemischen Umwelteinflüssen und Strahlung ausgesetzt sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass genetische Schäden der Eizelle auftreten.“ Daneben könnten häufig hormonelle und endokrine, sprich biochemische, Faktoren ausschlaggebend sein. „Die Natur selektiert stark, sie ist der größte Abtreiber überhaupt“, so Lütje.

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Auch Stress könne Fehlgeburten verursachen. „Das ist vor allem bei Geflüchteten zu beobachten, die durch ihre Flucht enormen Stress ausgesetzt sind.“ Gewöhnlicher Stress im Job dagegen sei in der Regel kein Auslöser von Fehlgeburten.

Häufig kämpfen Betroffene mit unbegründeten Schuldgefühlen

Die psychologischen Folgen einer Fehlgeburt können laut Lütje gewaltig sein. „Ganz oft geben sich Frauen die Schuld für Fehlgeburten.“ Schnell würden sich Betroffene grundlegende Fragen stellen: Habe ich mich zu wenig geschont? Wollte ich dieses Kind überhaupt? Habe ich es nicht angenommen? „Das sind subjektive Theorien, die man als Therapeut ernstnehmen, gemeinsam mit der Patientin bearbeiten und versuchen muss, sie aufzulösen. Es ist wichtig, den Betroffenen zu verdeutlichen: Es liegt nicht an dir“, erzählt Lütje aus seiner langjährigen Erfahrung als Psychotherapeut.

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Die psychische Belastung hänge dabei nicht unmittelbar mit dem Zeitpunkt des Abganges zusammen. Er hätte in seiner Tätigkeit als Psychotherapeut Frauen kennengelernt, die Totgeburten gut aufarbeiten konnten und Fälle, in denen Betroffene einer Fehlgeburt lebenslang traumatisiert worden seien und große Schwierigkeiten gehabt hätten, damit umzugehen. „Man darf keine Messlatte anlegen, dass das eine schlimmer sei als das andere. Das ist es nicht!“, so Lütje. „Jede Betroffene empfindet anders, bringt eine andere Biografie, eine andere Grundhaltung mit.“

Fehlgeburt: Noch immer ein Tabuthema

Eine Frühgeburt sei auch ein Thema des Verlustes. „Ein Lebenskonzept bricht weg und muss neu definiert werden.“ Grundsätzlich ginge eine Schwangere davon aus, ein gesundes Kind zu bekommen. Dann mit einer Fehlgeburt konfrontiert zu werden, sei für viele Betroffene überraschend, was daran liege, dass das Thema noch immer tabuisiert sei. Häufig erzählten Mütter ihren Töchtern nichts von ihren erlittenen Fehlgeburten, um diese nicht zu belasten. Auch unter Freundinnen und Arbeitskolleginnen würde das Thema häufig ausgespart. „Es geistert immer noch etwas Mystisches, Archaisches um das Thema Fehlgeburten. Als hätte es was mit den betroffenen Frauen und ihrer Haltung zu tun, was natürlich völliger Unsinn ist“, so Lütje.

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Darüber hinaus sei das Thema für viele der Betroffenen noch immer schambesetzt – „eine riesige Kränkung der eigenen Potenz“ – die Schwangerschaft nicht halten zu können. Häufig hielten unnötige Skrupel, was andere über sie denken könnten, Frauen davon ab, offen über ihre Fehlgeburt zu sprechen. Lütje: „Ich wünsche mir, dass sich die Frauen davon befreien können – mit dem Wissen, dass Fehlgeburten weit verbreitet sind und in der Regel Fehlverhalten nicht die Ursache ist.“