Berlin. Schroff, knallhart oder traumatisiert – TV-Ermittlerinnen sind oft Frauen mit Problemen. Doch jetzt kommt Liv Moormann nach Bremen.

Da kommt keine, die irgendwie keinen Bock auf ihren Job hat. Oder die versetzt wurde, weil sie Mist gebaut hat. Oder die gerade erst eine Psychotherapie hinter sich hat. Nein, da kommt eine Kommissarin, die für ihren Beruf glüht wie eine Sängerin vor dem Konzert.

Voller Vorfreude tritt Tatort-Kommissarin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) ihren ersten Tag in der Bremer Mordkommission an (Pfingstmontag, ARD, 20.15 Uhr). Es gibt eine Leiche, heißt es – und die Neue freut sich darüber wie ein Kind, das „Geburtstagstorte“ hört. Genau – diese Frau ist anders.

Frauen in TV-Krimis: Ehrgeiz ersetzt das Unkonventionelle

Klar, die meisten TV-Kommissarinnen jubeln, wenn es etwas zu ermitteln gibt. Aber diese Frau ist anders. Statt Mitgefühl oder betretener Miene ist sie einfach nur kindlich glücklich, dass es los geht, als sie die Leiche eines jungen Mannes betrachtet, der sich von einem verlassenen Industrieturm in die Tiefe gestürzt und aufgespießt hat. Suizid auf den ersten Blick, aber: „Das ist kein Selbstmord. Das ist ein Tötungsdelikt“, sagt sie.

Und dass es sie freut, das versteckt sie erst gar nicht. Vorbei also die Zeiten der betroffenen Gemüter. Was auch immer für ein Elend hinter der Tat steckt, scheint gar nicht zu interessieren. Ehrgeiz ist das neue unkonventionell, für das Frauen oft standen.

Typisch weibliche Charaktere waren bisher meist nett und kollegial

„Unkonventionell“ – das mussten Frauen sein, wenn sie mit Knarre durch die Straßen zogen oder auf der Wache ihren Co-Ermittlern die Fakten unter die Nase rieben. Wobei das Unkonventionelle sich wohl einfach auf die Konvention bezog, dass Männer ja nun mal die Fälle lösen. Unkonventionell, das hieß dann lange: die Nette, mit der man reden kann. So wurde zum Beispiel Verena Altenberger eingeführt, die beim Polizeiruf 110 Matthias Brandt abgelöst hatte. Beschreibung des Senders: „Unbürokratisch, spontan und immer die Letzte auf Partys. Kollegialität ist ihr wichtiger als eine Solokarriere“.

Dann kamen die Frauen, die auf die eine Weise oder andere Weise eine schlimme Vergangenheit hatten ode res zumindest in der Schwebe hielten. Viele seelisch zerstörte Frauen, oft Abziehbilder des skandinavischen Originals Sofia Helin („Die Brücke“), die derart einzigartig und genial ihre autistische Prägung auslebte und dabei in ihrer schier unnachahmlich pragmatischen Art, die kein Mitgefühl zuließ, – pardon – über Leichen ging.

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Neue Kommissarinnen: Frech, knallhart – und bloß nicht charmant

„Saga Norén, Kripo Malmö.“ So begrüßte die dänische Kommissarin mit dem kühlen Blick jeden, egal ob am Tatort oder im Nachtclub. Statt Charme-Offensive knallte sie den Leuten Frechheiten an den Kopf. Mitgefühl – wofür Frauen ja lange medial eingesetzt wurden: Fehlanzeige. Sympathisch? Bloß das nicht. Natürlich ist sie eine der besten ihres Fachs bei der Polizei, eine Perfektionistin, die messerscharf kalkuliert und heldenhaft gegen den Rest der Welt dann doch jeden Serienkiller überlistet.

Kommissarin Saga hat viele Nachahmerinnen im deutschen Fernsehen. Zumindest, was ihre düstere Ausstrahlung und die Art der Herangehensweise angeht. Hauptsache nicht lächeln, sondern knallhartes Täter-Profil-Erstellen. Wie Anna Loos als „Helen Dorn“ oder Anna Maria Mühe in „Solo für Weiss“, wie Petra Schmidt-Schaller in „Die Toten von Marnow“.

Die Eigenwillige: Kommissarin Heller (Lisa Wagner)
Die Eigenwillige: Kommissarin Heller (Lisa Wagner) © dpa | Hannes Hubach

Ermittlerinnen in TV-Krimis: Zerstört, bockig – aber liebenswert

Für das richtig Bockige aber steht nur eine: „Kommissarin Heller“. Lisa Wagner, Grimmepreisträgerin, hatte kein bisschen Lust, irgendwelche Eigenschaften zu zeigen, die angeblich weiblich oder eben nicht weiblich waren. Heller war einfach so, wie sie war – auch sie durch den Suizid ihrer Schwester traumatisiert. Aber sie trug das nicht wie eine Monstranz vor sich her.

Sie war überzeugend, weil sie diese Fallhöhe hatte: War nicht auf hart gedrillt, sondern im Grunde eine weiche Seele, die einfach keine Lust auf sowas wie Smalltalk, Verlogenheit von Kollegen und blöde Hierarchien hatte. Ihr nahm man die Rolle ab, weil sie zwischen den Zeilen, sozusagen, ohne es anzusprechen, ihre verletzliche und überaus kluge Seite zeigte.

Lange kamen Frauen in Krimis als Ermittlerinnen gar nicht vor, ihre Rolle war die der schönen Leiche. Doch mittlerweile ermitteln TV-Kommissarinnen mit größter Selbstverständlichkeit. Seit den 90er Jahren sehen wir Lena Odenthal (Ulrike Folkerts), Bella Block (Hannelorer Hoger), Rosa Roth (Iris Berben), Lea Sommer (Hannelore Elsner), Inga Lürsen (Sabine Postel) – Frauen, die ihren Job entweder wie ein Mann machten – die burschikose Folkerts – oder bewusst auf Weiblichkeit setzten (die laszive Elsner).

Tatort: 83 Folgen waren reine Männersache

Kommissarinnen heute ticken anders. Brennen nicht mehr unbedingt Tag und Nacht für den Job, sondern haben auch ihre Probleme. Wie Kommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) im Tatort Dortmund, die man schon mal unausgeschlafen an der Hoteltür sieht, weil sie die Nacht mit einem Callboy verbracht hat. Oder die in der Hotellobby beim Cocktail sitzt, weil sie noch auf einen Callboy wartet.

83 Tatort-Folgen allerdings waren „Männersache“. Erst 1978 kam Oberkommissarin Marianne Buchmüller (Nicole Heesters). Sie sollte „mit den Waffen der Frau“ auf Verbrecherjagd gehen, so der Sender. Heesters, so hieß es, sollte die Palette der ARD-Kommissare „fraulich‘bereichern“. Die weiblichen Klischees wurden damals unreflektiert befeuert.

Drehbücher haben Rollenklischees längst umgedeutet

Solche Rollenklischees wurden längst umgedeutet. Vor allem Serien aus dem Ausland schufen einen neuen Blick auf TV-Ermittlerinnen. Wie zum Beispiel „The Fall“ aus Großbritannien mit Gillian Anderson, eine einsame Kommissarin, die super arrogant ihre untergebenen Kommissare für sich springen lässt. Und auch das noch: Sie will Sex – und genau wie die dänische Kollegin aus „Die Brücke“ nutzt – oder benutzt – sie dafür mal eben die Polizisten, am besten natürlich ihre Untergebenen. Ein dramaturgischer Griff, der wohl der Emanzipation huldigen soll. Diese Frauen hat das Leben hart gemacht, jetzt nehmen sich, was sie wollen.

Eine, die ebenfalls durch eine harte Lebensschule ging, ist Bibi Fellner (Adele Neuhauser) vom Tatort Wien. Sie ist alkoholabhängig. Gibt dann wieder mal vor, trocken zu sein. Aber greift heimlich doch zur Flasche. Auch sie also eine der zerstörten Frauen – doch anders als viele ist sie nicht diejenige, die ohne Rücksicht auf Verluste um sich schlägt und verbrannte Erde hinter lässt. Mutmacherin ist sie bei aller persönlichen Hölle – so eine Ermittlerin hat inmitten all der inszenierten starken Frauen eine Sonderstellung.

Nun also Liv Moormann, gespielt von Theaterstar Jasna Fritzi Bauer. Nein, sie wirkt weder gestresst, noch sex-versessen, noch zerstört. Enthusiasmus und Professionalität, Witz und Lebensklugheit, diese Eigenschaften werden ihr zugesprochen. Und Ironie. Besonders das Letzte ist selten. Und so danken wir schlussendlich unbedingt noch Nora Tschirner, die am Tatort Weimar als Kira Dorn mit der Kunst der Ironie – vor allem aber der Selbstironie – Geschichte schrieb.

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