Altenahr. Mit aller Kraft versuchen die Menschen, Altenahr von Trümmern zu befreien. Doch der Wiederaufbau dauert Jahrzehnte, befürchten sie.

  • Nach dem Hochwasser hat in den Krisenregionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen das Aufräumen längst begonnen
  • Viele Menschen stehen noch immer unter Schock
  • Es gibt nicht wenige Menschen, die ans Aufgeben denken

Peter Winden hat Tränen in den Augen. Auf einen Gehstock gestützt stapft der 85-Jährige durch die verschlammten Ruinen von Altenahr. „Ich habe den Krieg hier erlebt. Damals war es weniger schlimm.“ Altenahr war noch vor einer Woche ein hübsches Weindorf mit 2000 Einwohnern und vielen Fachwerk-Gaststuben, die Touristen kamen zahlreich. Nun ist alles anders. „Den Wiederaufbau werde ich zu meinen Lebzeiten nicht mehr erleben“, sagt er.

Das Wasser hat sich zurückgezogen aus den Örtchen an der Ahr in Rheinland-Pfalz, nun versuchen die Menschen, nach vorne zu schauen. Es sieht düster aus. Allein im Kreis Ahrweiler wurden bislang 117 Leichen gefunden. Hunderte Menschen werden noch vermisst.

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Flutkatastrophe in Altenahr: Die Menschen sahen andere sterben

Martin, ein leiderfahrener Hausarzt mit kräftigen Unterarmen, steht vor seiner Praxis und zeigt mit zittriger Hand auf ein Haus. Martin bangte um sein Leben. In der Nacht, als die braune Brühe kam, rettete er sich mit dem Zahnarzt aus seinem Ärztehaus und einem älteren Ehepaar in die zweite Etage. Die dramatischen Stunden wird er nie vergessen.

Martin erzählt, wie sie vom Balkon aus zwei Menschen sahen, die sich an Rebstöcken im Weinberg festklammerten und um Hilfe schrien. Doch die beiden Mediziner konnten nichts ausrichten, sie kämpften selbst ums Überleben. „Das Wasser stieg immer weiter, anderthalb Meter in 20 Minuten.“ Für die Hilflosen im Weinberg konnten sie nichts tun. „Der Mann hat überlebt, die Frau ist gestorben“, berichtet der Arzt. Es geht ihm merklich nahe.

Sie weinen um das Elternhaus: zwei Brüder in Altenahr in Rheinland-Pfalz.
Sie weinen um das Elternhaus: zwei Brüder in Altenahr in Rheinland-Pfalz. © dpa | Boris Roessler

Der Landarzt denkt ans Aufgeben: „Der Ort ist tot“

Es sind bewegende Schicksale. Im Nachbarort Altenburg sitzt eine Frau rauchend auf der Mauer vor den Resten ihres Hauses und erzählt von ihren beiden Enkeln, acht und zehn Jahre alt, mit denen sie 13 Stunden auf dem Dach ausgeharrt habe, bis sie gerettet wurden. „Das sind Heldenkinder. Sie haben nicht geklagt, nur funktioniert.“

„Es stehen alle unter Schock, auch ich“, sagt der Arzt. Viele haben das Ausmaß der Zerstörung noch gar nicht begriffen. „Da kommen Patienten zu mir und fragen mich nach Schilddrüsen-Medikamenten oder wollen, dass ich ihr Cholesterin messe. Die Leute wollen Normalität. Dabei wird in Altenahr nichts mehr normal.“ Selbst wenn einige Hoteliers ihre Häuser mit viel Aufwand irgendwann wieder herrichten: Wer solle denn Urlaub machen in diesem Katastrophengebiet? „Der Ort ist tot.“

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Viele, glaubt er, werden wegziehen. Wie es für ihn persönlich weitergeht? Der Mann weiß es nicht. Eigentlich sei er gerne Landarzt, er wolle nicht fort. Doch was solle er in einem zerstörten, entvölkerten Dorf? Nach fünf Tagen zwischen Ruinen denkt er ans Aufgeben. „Als Angestellter in einer Praxis in der Stadt, ohne Stress und Verantwortung – das wäre so schön.“