Berlin. Darf ich noch als Cowboy, Geisha oder Rastafari gehen? Debatten um „Blackfacing“ und kulturelle Aneignung machen die Kostümwahl heikel.

Es ist ein erstaunliches Phänomen: Die uralte Tradition des Karnevals bleibt in Deutschland fest regional verankert, schafft es nicht über die Flüsse oder Grenzen von Bundesländern und Landkreisen hinweg. Alle Versuche, beispielsweise das Narrentreiben in Berlin zu etablieren, waren so erfolgreich, als hätte man Oleander in der Sahara pflanzen wollen. Ganz anders dagegen Halloween am 31. Oktober, das in seiner heutigen Form seit etwa dem Jahr 2000 aus den USA einen Siegeszug durch ganz Europa angetreten hat.

Halloween gilt in unserer Partygesellschaft als cool“, sagt Manfred Becker-Huberti, Theologe und Brauchtumsforscher aus Köln. „Karneval dagegen haftet der Muff der endlosen Vereinssitzungen an.“ Und ja, es ist nicht ganz einfach geworden, ein geeignetes Karnevalskostüm zu finden.

Karneval wird zum verminten Gelände

Denn während man Halloween als Menschenfresser oder Massenmörder verkleidet großen Anklang findet, wird Karneval zum verminten Gelände. Stichwort: kulturelle Aneignung. „Kostüme wie Rastafari, Orientdame, Afrikaner, der sogenannte Indianer oder der Scheich sind heute verpönt.“ Sie seien inzwischen kaum noch zu sehen. „Das ist eine Reaktion auf den gesellschaftlichen Druck, den die Debatten der letzten Jahre aufbauten.“

Die Kritik an solchen Kostümen: Durch Annahme der äußerlichen Insignien einer Ethnie für die eigene Partygaudi werden diese oft jahrtausendealten Symbole ihrer Bedeutung beraubt. Sie sind dann reine Fassade, mit der rassistische Stereotypen bedient werden. Manchmal sind die Kostüme so überzogen, klischeehaft oder billig imitiert, dass sie die Ethnie ins Lächerliche ziehen.

Kostüme, die an die Kleidung indigener Menschen in Amerika angelehnt sind, sind heikel.
Kostüme, die an die Kleidung indigener Menschen in Amerika angelehnt sind, sind heikel. © dpa | Oliver Berg

Ministerpräsident gänzlich unbedarft

Schon 2017 entwickelte das Forum gegen Rassismus die Kampagne „Ich bin kein Kostüm“. Die Plakate zeigten beispielsweise eine Araberin oder eine indigene Amerikanerin neben ihrem kostümierten, europäischen Pendant, daneben standen Sätze wie: „Du denkst, dass es harmlos ist, aber du bist nicht das Ziel.“

Becker-Huberti begrüßt die zunehmende Sensibilisierung und ist umso verwunderter, dass manche sie nicht erreicht. So empfing Hessens Ministerpräsident Boris Rhein CDU) auf Schloss Biebrich in Wiesbaden Karnevalsgesellschaften und begrüßte dabei auch einen schwarz geschminkten Mann, posierte mit ihm gänzlich unbedarft auf Fotos.

Karnevalsverein entschuldigt sich

Der Karnevalsverein Mörlau entschuldigte sich „ausdrücklich bei allen Menschen, die wir verletzt haben könnten“. Der Vorstand nehme die Angelegenheit sehr ernst. Der „Mohr von Mörlau“, wie der Verein die Gestalt gemäß einer alten Tradition nennt, sei nun Geschichte. Etwas lapidarer fiel das Statement der Staatskanzlei aus: „Die Vereine entscheiden selbst, mit welchen Vereinsmitgliedern sie an dem Empfang teilnehmen“, so ein Sprecher.

Gewänder und Kutten von Priestern oder Bischöfen wie hier in Düsseldorf sehen die Kirchen ungern.
Gewänder und Kutten von Priestern oder Bischöfen wie hier in Düsseldorf sehen die Kirchen ungern. © dpa | Ina Fassbender

Sie verharmloste „Blackfacing“: US-Moderatorin gefeuert

„Blackfacing“ heißt der Vorwurf an schwarz geschminkte Weiße. Der Begriff bezieht sich auf Revuen zur Zeit von Sklaverei und Kolonialismus in den USA und Europa, in denen schwarz geschminkte Darsteller sich über Schwarze lustig machten.

In den USA ist „Blackfacing“ heute ein absolutes Tabu. So wurde die bekannte NBC-Moderatorin Megyn Kelly gefeuert, weil sie gesagt hatte, sie wüsste nicht, was an „Blackfacing“ rassistisch sein sollte.

Dabei geht die Kritik nicht von weißen „Gutmenschen“ aus, sondern von denen, die es betrifft und die im Alltag fortlaufend Diskriminierung erfahren. „Kulturen und Hautfarben sind weder Lachnummern noch Kostüme“, schrieb etwa die aus der „Topmodel“-Show bekannte Choreografin Nikeata Thompson einmal auf Instagram.

Priesterkutten unerwünscht

Welches Kostüm denn nun noch geht? Bestehe kein Machtungleichgewicht zwischen den Kulturen und gebe es keine Ausbeutungsgeschichte, „kann niemand etwas sagen“, glaubt der Sozialwissenschaftler Lars Distelhorst, Autor des Buchs „Kulturelle Aneignung“. Das wären dann Verkleidungen etwa als Bayer oder Schotte. Doch nicht nur ethnische Kostüme sind verpönt. Clowns verursachen bei manchen Angststörungen, besonders seit einer bundesweiten Attackenserie. Der Cowboy nahm den indigenen Völkern mit Waffengewalt das Land weg.

Als Theologe möchte Becker-Huberti keine Priesterkutten sehen, die die „Würde des Amtes banalisieren“. Eine Ex-Prostituierte findet es abstoßend, „wenn kichernde Bürgermädchen sich an Karneval Nuttenkostüme anziehen“. Kein Wunder, dass manch einer wartet, bis er sich an Halloween mit Kunstblut herausputzen kann.