Berlin. Die Diagnose Brustkrebs war ein Schock: Doch die „Lebensheldinnen“ zeigen, wie sie mit neuem Mut zurück ins Leben gefunden haben.

Elisabeth Schweizer so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Sie hat allen Grund. Sie hat ihre Brustkrebserkrankung überstanden. Aber es es ist mehr als nur das. „Die Krankheit hat mein Leben komplett verändert“, sagt sie. Weil sie erst jetzt weiß, jeden Moment wahrzunehmen. „Wenn die Sonne mir die Nase kitzelt, bin ich heute glücklich.“ Sie ist eine „Lebensheldin“, wie sie sagt.

Elisabeth Schweizer ist 53 Jahre alt, wieder voll berufstätig in ihrem Job als Krankenschwester. Sie sprüht voller Energie am Telefon. Weil sie es geschafft hat: Sie hat den Brustkrebs überlebt. Dank der Medizin, aber auch dank der Hilfe anderer betroffenen Frauen aus dem Verein „Lebensheldin e.V“.

„Es war unfassbar wichtig, dass in den schlimmen Momenten diese Frauen da waren, die einem immer wieder Kraft gaben“, sagt Schweizer, die vor acht Jahren erkrankte. Und noch mehr Kraft habe ihr gegeben, dass aus all den Geschichten dieser starken Frauen ein Buch entstanden ist. „Lebensheldin“ heißt es, wie auch sonst. „LebensHeldin! e.V.“ ist die erste gemeinnützige Organisation, die sich für eine neue Frauengesundheitskultur einsetzt. ​Lesen Sie auch: Krebs: Wie die personalisierte Therapie funktioniert

70.000 Frauen erkranken pro Jahr in Deutschland an Brustkrebs

In dem Buch „Lebensheldin“ (Berg&Feierabend Verlag) geht es um Verlust, Trauer, um Dankbarkeit – aber vor allem um den Neuanfang: 21 Frauen zwischen 23 und 60 Jahren erzählen von ihrem ganz persönlichen Heilungsweg und wie sie mit Mut, Kraft und Selbstfürsorge genau diesen Neustart geschafft haben.

Jede Stunde erhalten acht Frauen in Deutschland die Diagnose Brustkrebs. Das sind über 70.000 pro Jahr und die Betroffenen werden immer jünger – es ist die häufigste Todesursache von Frauen unter 50 Jahren, so die Statistik. Die Diagnose sorgt bei Erkrankten, deren Angehörigen und Freund:innen häufig für Hilflosigkeit und Angst. Doch dank moderner Medizin sind die Heilungschancen hoch.

„Das war schon ein Trost, das zu wissen“, sagt Elisabeth Schweizer (53). Sie ist vom Fach, kennt sich aus, was therapeutisch möglich ist. Sie arbeitete als Krankenschwester in einer Klinik in Schleswig-Holstein. „Bei mir war es ein reiner Zufallsbefund. 2013, bei einer Routineuntersuchung war etwas Verdächtiges auf dem Röntgenbild zu sehen. Dann musste ich ins MRT“, erzählt. sie.

Elisabeth Schweizer hat es geschafft – sie ist wieder mitten im Leben.
Elisabeth Schweizer hat es geschafft – sie ist wieder mitten im Leben. © Martina van Kann | Martina van Kann

Die Angst vor der Chemotherapie ist oft sehr groß

Aber geglaubt hatte sie es einfach nicht. „Als ich dann die endgültige Diagnose hörte, es war am Telefon, ich saß auf dem Bett, hab ich gedacht, das glaub ich jetzt nicht‘. Ich habe es gar nicht an mich rangelassen und es einfach so weggepackt.“ Er als die Chemotherapie angefangen hat, „da hab ich es kapiert, dass es ernst war“.

Chemotherapie gilt vielen wegen der oft extremen Nebenwirkungen als eine Art Höllentherapie: Haarausfall, Erbrechen, Müdigkeit. Der ganze Körper wird von Schmerzen befallen. Doch Elisabeth Schweizer war zunächst völlig überrascht „Ich hatte mir die Chemotherapie noch schlimmer vorgestellt“, sagt sie. Anfangs habe sie kaum etwas von den Nebenwirkungen gespürt „Aber bei der dritten wurde es dann doch hart. Die Schleimhäute waren betroffen. Ich hatte Nasenbluten. Ich konnte nicht mehr essen und nicht mehr trinken.“ Das sei zwar nach zwei, drei Tagen wieder abgeklungen. Aber dann sei alles verkrustet gewesen.

Und dann die Haare: „Das war natürlich eine Katastrophe, als die ausfielen.“ Aber dass das schlimm wird, wusste sie. Also hat sie versucht, es mutig anzugehen und hat erstmal ihre Freundin zu sich geholt. Ihre Freundin ist Friseurin. Bei lauter Musik und Rotwein wurde dann der Kopf kahl geschoren. Mehr dazu: Brustkrebs: Wie ich trotz Chemo meine Haare behielt

Schlimmer als ein kahler Kopf: Der Verlust von Wimpern und Augenbrauen

Das Erstaunliche: Auf Fotos fand sie sich dann doch gar nicht so katastrophal. „Ich sah gar nicht schlecht aus.“ Eine Perücke hatte sie zwar, getragen hat sie sie nur einmal, als sie ein Passfoto braucht. „Sonst eben Mütze oder auch gar nichts.“

Schlimmer war für sie, dass auch die Augenbrauen und Wimpern ausgefallen waren. Optisch seltsam, aber auch da habe sie erst gemerkt, wie wichtig Wimpern sind. „Andauernd hatte ich was im Auge. Und dann eine Bindehautentzündung.“

Doch dann kamen die Bestrahlungen. Da Elisabeth Schweizer brusterhaltend operiert wurde, gehören Bestrahlungen zur Therapie. „Da liegt man dann mit nacktem Oberkörper in einem Raum, die Hände hinter dem Kopf in einer Schale. Dann geht die Stahltür zu, und man ist alleine.“ Sie hätte gern eine Uhr dabei gehabt. Aber weil das nicht ging, hat sie ein großes Bonbon gelutscht. „Wenn das weggelutscht war, war die Zeit rum.“

Bestrahlung war schwerer als Chemotherapie

Nur fünf Minuten dauert eine Sitzung bei der Bestrahlung, aber danach sei sie so erledigt gewesen, dass sie schon im Taxi eingeschlafen war. „Und dann war natürlich die Haut extrem verbrannt, was richtig schmerzhaft war.“ Man habe keine lindernde Salbe auftragen dürfen. „Aber ein bisschen half mir medizinischer Honig.“

Manchmal waren es die kleinen Dinge, die ihr halfen. Zum Beispiel der Zuspruch ihrer Ärztin. Diesen einen Satz hat sie immer wieder für sich selbst wiederholt: „Es geht vorbei. In einem Jahr ist es vorbei.“

Anderthalb Jahre war sie raus aus ihrem normalen Leben. Krank geschrieben mit einer Krankheit, die trotz großer Heilungschancen Todesängste auslöst. In den anderthalb Jahren habe sie aber gar nicht so viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken, sagt Elisabeth Schweizer. „Man hatte ja total viel zu tun. Jeden zweiten Tag hatte man eine Anwendung.“ Als dann alles vorbei war, dann kam es, dieses klassische Loch – und die Frage: Was jetzt?,

Glücklicherweise kam dann schon die Anschlussheilbehandlung in einer Reha-Klinik an der Ostsee. „Ich hatte ja gedacht, dass ich nie einen Psychologen brauche. Aber das änderte sich nach der Therapie.“ Dann waren diese Ängste da, was ist, wenn es wiederkommt. „Wenn eine Metastase auftritt, nein, dann würde ich das nicht mehr wollen, diese Therapien. Ich bin ja medizinische Personal. Ich weiß, was dann passiert.“

Die Ängste können einen in den Wahnsinn treiben

Diese Ängste werde man nicht los, sagt sie. Aber man könne lernen, sie anzunehmen. Zu steuern, dass sie einen nicht in den Wahnsinn treiben. „Obwohl man natürlich immer noch sehr aufmerksam in sich hinein hört.“ Als ihr die Nackenwirbel neulich so weh taten, dachte sie sofort an Metastasen – „glücklicherweise war es nur Arthrose“. Lesen Sie auch: Diagnose Krebs: So können sich Betroffene digital vernetzen

Das Wort „Glück“ fällt oft. Weil sie auch glücklich ist, sagt sie. Weil sie auf einmal die Kraft der kleinen Schritte erkennt. „In der Rehaklinik hatte ich ein Zimmer im sechsten Stock. Ich habe mir geschworen, nicht den Aufzug zu nehmen. Erst musste ich auf jeder halben Treppe Halt machen und mich setzen. Am Ende bin ich in einem Zug durch nach oben gekommen.“ Solche Erfahrungen waren jetzt maßgeblich für ihr Leben.

Die Krankheit habe sie total verändert, sagt sie mit einer Überzeugung, dass man das Gefühl hat, dass sich diese Frau nach ihrer Krankheit viel besser leiden kann als vorher. „Ja, ich bin dankbarer, demütiger. Es ist eine ganz andere Aufmerksamkeit für mich in mir. Und wenn die Sonne mir die Nase kitzelt, bin ich heute glücklich.“ Ihre Freundinnen wäre allesamt baff, welche Energie und Freude von ihr ausging. „Ich kenne jetzt echt so etwas wie Freudentränen.

Ihr Arbeitgeber half ihr finanziell

Sie habe das alles geschafft, weil sie Hilfe hatte – von ihren Eltern, aber auch von ihrem Arbeitgeber, „der mich extrem unterstützt hat“. Es wäre sonst auch finanziell eng geworden. Elisabeth Schweizer ist allein lebend – bei einer so langen Krankheitsdauer zahlt die Krankenkasse nur noch einen Teil. „Bei mir waren es etwa 75 Prozent. Den Rest hat mein Arbeitgeber aufgestockt. Wenn er das nicht getan hätte, hätte ich auch noch aus der Wohnung ausziehen müssen.“ Mehr dazu: Krebs, Schwangerschaft: Diese Behandlungen zahlt die Kasse

Dass sie alleine gelebt hat, findet sie im Nachhinein gut. „Anfangs dachte ich, ach, wäre doch schön, wenn man sich jetzt mal an jemandem anlehnen könnte. Aber dann war ich auch froh, keinen zu belasten. Außerdem haben die Medikamente so seltsame Nebenwirkungen. Mein Schlaf- Wachrhythmus war komplett auf den Kopf gestellt. Ich bin manchmal nachts aufgestanden, war total unruhig und hab dann Kuchen gebacken.“

Außerdem habe sie sich ja nie allein gefühlt. Die Nähe zu den Frauen in der Klinik haben zu Freundschaften geführt – „aber dann auch der Kontakt zu den Lebensheldinnen! Ich habe so viele so tolle Frauen kennen gelernt. Wir haben uns gegenseitig gestützt.“

Die Krankheit hat sie auf eine gewisse Weise entfesselt. „Ich ernähre mich zwar gesund und so. Aber wenn ich Lust auf eine Tafel Schokolade oder Wein habe, dann gönn ich sie mir auch. Ich habe doch den ganzen Mist nicht durchgemacht, um mich danach selbst zu geißeln, sondern um zu leben. Ich will auch mal unvernünftig sein. Das ist doch das Leben.“