Aliağa/Berlin. Kreuzfahrtreedereien lassen immer mehr ausgemusterte Luxusliner in der Türkei verschrotten. Seereisen dürften sich radikal verändern.

Von Niedersachsen ging es nach New York, Panama und Palermo. Die „Marella Dream“ war ein stolzer, weiß gestrichener Pott, drei Jahrzehnte lang erkundeten vergnügte Kreuzfahrttouristen auf ihr die Weltmeere. Sie hatten es gut an Bord: Mehrere Restaurants und Bars, Pools, Theater, Spielcasino, Einkaufszentrum – das in Papenburg gebaute Passagierschiff war eine schwimmende Kleinstadt mit Platz für 2400 Menschen. Auf ihrer letzten Reise war die „Marella Dream“ jedoch fast leer.

Sie führte ins Mittelmeer. Eine Minimalbesetzung steuerte den Luxusliner im vergangenen Sommer an die türkische Küste. Dort sorgen Heerscharen von mit Schneidbrennern ausgestatteten Arbeitern dafür, dass von dem Kahn nichts übrig bleibt. Es ist das traurige Ende eines majestätischen Schiffs, auf dem einst Kinofilme gedreht wurden. Der Touristikkonzern Tui hat es ausgemustert. Wegen Corona.

Endstation Ägäis: In der Stadt Aliağa nördlich von Izmir befindet sich eine der größten Abwrackwerften der Welt. Die Bucht gleicht einem gigantischen Schiffsfriedhof, etliche Ozeanriesen liegen dort dicht an dicht wie verbeulte Kleinwagen auf einem Schrottplatz. Angestellte nehmen die ausgedienten Stahlkolosse auseinander, nicht nur die „Marella Dream“ ist ein Fall für den Hochofen.

Kreuzfahrten verändern sich seit Corona

Gut so, findet der Tourismusforscher Alexis Papathanassis von der Hochschule Bremerhaven. Die in Aliağa abgewrackten Veteranen seien großteils um die 30 Jahre alt und hätten eh irgendwann ersetzt werden müssen: „Das geschieht nun schneller wegen Corona. Das ist eine positive Entwicklung. Denn neuere Schiffe sind kosteneffizienter und umweltfreundlicher.“

Das Geschäft mit den schwimmenden Schrotthotels boomt: Mit der Pandemie begann im Frühjahr 2020 die größte Krise der Kreuzfahrtbranche. Schiffe durften nicht mehr fahren – und wenn, dann mit nur wenigen Passagieren. Einige Reedereien meldeten infolge der Zwangspause Insolvenz an. Andere Reeder hielten durch, gaben aber Schiffe ab, um sich den Unterhalt zu sparen.

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Dicht an dicht liegen die Kreuzfahrtschiffe in der Abwrackwerft von Aliağa nördlich von Izmir.
Dicht an dicht liegen die Kreuzfahrtschiffe in der Abwrackwerft von Aliağa nördlich von Izmir. © picture alliance / AA | Mehmet Emin Menguarslan

„Infolge der Corona-Pandemie wurden einige ältere und weniger wirtschaftliche Schiffe aus den Flotten genommen“, berichtet der deutsche Geschäftsführer des internationalen Branchenverbands Clia, Helge Grammerstorf, gegenüber unserer Redaktion. Er schätzt die Verluste des Sektors auf einen zweistelligen Milliardenbetrag.

Schiffsfriedhof: Arbeiter zerlegen Kreuzfahrtschiffe in ihre Einzelteile

In Aliağa freuen sie sich über volle Auftragsbücher. Vor der Pandemie seien nur selten Kreuzfahrtschiffe in die Werft gekommen, sagt der Abwrackunternehmer Kamil Önal – früher hätten seine Leute vor allem Fracht- oder Containerschiffe entkernt. Die Demontage eines Schiffes dauert ungefähr sechs Monate. Rund 2500 Arbeiter sind mit dem Abbau beschäftigt. Sie schrauben alles ab, was sich irgendwie zu Geld machen lässt – Stühle, Tische oder Schränke aus den Kabinen etwa werden an Hotels verkauft.

Ein Ende der Ausmusterungswelle ist nicht in Sicht. Gerade erst hat die Rostocker Reederei Aida Cruises angekündigt, Ende September ein weiteres Schiff abzugeben – es ist bereits das vierte seit Sommer 2021. Die relativ kleine „AIDAaura“ sei im Betrieb zu teuer, heißt es. Ob das Schiff ebenfalls in Aliağa verschrottet wird, ist unklar: Aida gibt sich in Sachen Ausflottung zugeknöpft, eine Anfrage unserer Redaktion blieb unbeantwortet.

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Haben Seereisen überhaupt eine Zukunft? Tourismusforscher Papathanassis prophezeit den Abschied von der klassischen Kreuzfahrt. Er erwartet, dass Reedereien künftig verstärkt auf sehr große Schiffe setzen. Die ermöglichten es den Unternehmen, die Kosten pro Passagier zu senken und mit zahlreichen Angeboten an Bord viel Umsatz zu generieren. „Die Rentabilität ist von fundamentaler Bedeutung“, sagt Papathanassis.

Wahrscheinlich werde die Entwicklung „hin zum amerikanischen Kreuzfahrtmodell gehen: mit weniger Landgängen, die Urlauber sollen so viel Zeit wie möglich auf dem Schiff verbringen“. Altgediente Kähne wie die „Marella Dream“ passen nicht mehr in die Zeit.