Das absehbare Ende vieler Corona-Maßnahmen ist richtig. Aber damit wird nicht alles wie vor der Pandemie sein, meint Theresa Martus.

Schlechte Nachrichten zu überbringen, war, historisch betrachtet, ein riskantes Geschäft: Aus dem antiken Griechenland zum Beispiel ist überliefert, dass Boten, die ihren Herrschern nicht das Gewünschte berichten konnten, Gefahr liefen, einen Kopf kürzer gemacht zu werden.

Derart rabiate Reaktionen sind inzwischen aus der Mode gekommen, aber zahlreiche Virologen, Epidemiologinnen und Ärztevertreter können nach den letzten zwei Jahren ein Lied davon singen, dass man sich immer noch reichlich unbeliebt machen kann, wenn man unangenehme und gefährliche Situationen so beschreibt, wie sie nun einmal sind. Für Politikerinnen und Politiker, die aus dieser Beschreibung dann Konsequenzen ziehen müssen, gilt das doppelt.

Insofern kann man davon ausgehen, dass die Bundesregierung und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder am Mittwoch ganz froh waren, am Ende des zweiten langen Pandemiewinters gute Nachrichten überbringen zu können: Das Land hat den schlimmsten Teil der Omikron-Welle sehr wahrscheinlich hinter sich.

Corona: Verhältnis von Schutz und Selbstbestimmung muss neu justiert werden

Die gravierendsten Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus haben bald ihre Notwendigkeit und Berechtigung verloren und werden Schritt für Schritt abgeschafft. Und auch wenn die Welle nicht vorbei ist und ein Signal der totalen Entspannung zu früh käme, ist es richtig, das Verhältnis von Schutz und Selbstbestimmung in diesem Moment neu zu justieren.

Deutschland liegt damit auch im Trend: In Frankreich, Österreich, den Niederlanden, überall um uns herum machen sich die Regierungen mehr oder weniger locker im Umgang mit der Pandemie. Ein Ende der Maßnahmen und „Freedom Days“, wohin man schaut.

Steht er also endlich vor der Tür, der Tag, an dem alles so ist wie vor dem Virus?

Politik-Korrespondentin Theresa Martus.
Politik-Korrespondentin Theresa Martus. © Reto Klar | Reto Klar

Die ehrliche Antwort ist Nein. Zum einen werden manche Pandemie-Phänomene wie die Masken oder Schnelltests noch eine Weile zum Alltag gehören. Wenn nicht aus Pflicht, dann für viele Menschen aus eigenem Antrieb heraus, vor einer Feier mit vielen Menschen etwa oder einem Besuch bei Verwandten in einer Pflegeeinrichtung. Auch wenn das Virus nicht mehr das Gesundheitssystem an sich bedroht, kann es im Einzelfall noch immer viel Schaden anrichten.

In Landtagen wurden Luftfilter aufgestellt, in Klassenzimmern nicht

Zum anderen haben die vergangenen zwei Jahre an vielen Stellen tiefe Spuren hinterlassen. Nur weil es bald wieder Partys und große Konzerte geben wird, werden Jugendliche und junge Erwachsene nicht so schnell vergessen, wie wenig ihre Bedürfnisse in der Politik eine Rolle gespielt haben. Eltern, die sich seit Anfang 2020 nur sporadisch darauf verlassen konnten, dass ihre Kinder eine Kita besuchen können, werden am Tag nach dem Ende der Regeln nicht weniger erschöpft sein als am Tag davor. Schülerinnen und Schüler werden sich daran erinnern, dass Luftfilter in Landesparlamenten aufgestellt wurden, nicht aber in Klassenzimmern.

Der Frust und der Vertrauensverlust sind an vielen Stellen tief, auch wenn die allermeisten ihn nicht „spazierengehend“ auf die Straße tragen. Die wirklich einschneidenden Maßnahmen in den kommenden Wochen zurückzunehmen, ist richtig. Aber es ist nicht genug.

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Was fehlt, ist eine ehrliche Bestandsaufnahme, wo die Prioritäten gesetzt wurden, welche Fehler gemacht wurden und warum sich so viele davon im zweiten Winter der Pandemie wiederholt haben. Einfach zur Tagesordnung überzugehen, wäre ein weiterer Fehltritt. Bis es wirklich so ist wie vorher – oder zumindest so ähnlich— wird es noch dauern. Daran ändert auch auch ein vermeintlicher Freedom Day nichts.