Berlin. Drogengeschäfte, Razzien, Zwangsräumung und ein toter Regisseur. Das mallorquinische Son Banya ist Mythos und Streitfall zugleich.

Son Banya. Eine heruntergekommene Barrackensiedlung direkt am Flughafen von Palma. Auf Mallorca ist dieser Name mythenumrankt. Bekannt ist Son Banya als das Drogendorf oder auch der Drogen-Supermarkt der Insel. An einem normalen Tag wechseln hier Betäubungsmittel im sechstelligen Bereich den Besitzer. In der Weihnachtszeit gerne mal für eine Millionen pro Woche. So schätzt es die Polizei. Da drängt sich unweigerlich die Frage auf, wieso ein Rechtsstaat dieses System toleriert. Ein Erklärungsversuch.

Drogendorf Son Banya: Hier ist auf Mallorca die Kriminalität zu Hause

Wer jemals an diesem Drogenumschlagplatz vorbeigefahren ist oder sich selbst ins Dorf getraut hat, wird den Anblick so schnell nicht vergessen. Es sieht dort aus wie in einem Bürgerkriegsgebiet. Vor den Dorfeingang liegen ausgeschlachtete Autowracks, einige mit Brandspuren. Schuttberge, riesige Müllhaufen, Graffitis auf bröckelndem Mauerwerk. Die Straßen sind kaputt. Immer wieder setzen Wasserrohrbrüche die Wege unter Wasser. Wer hier lebt, ist eigentlich ganz unten angekommen.

In der Flughafen-Siedlung wohnen derzeit geschätzt noch 300 Menschen, ein paar Dutzend Familien, die meisten Angehörige der Sinti und Roma. Ihretwegen wurde die Siedlung Anfang 1969 Jahre gebaut. Unter der Diktatur Franco wurde dieses Muster-Projekt bestehend aus 124 Unterkünften ins Leben gerufen. Finanziert durch kirchliche und private Spenden.

Einwohner von Son Banya: Opfer und Täter zugleich

Den meist vollkommen verarmten und unter menschenunwürdigen Umständen hausenden Gitanos, wie sie in Spanien genannt werden, sollte Son Banya als eine neue Übergangs-Heimat angeboten werden. Der Gedanke dahinter: von hier aus sollten sich die Bewohner Arbeit suchen und dann eine eigene Wohnung in der Stadt finden. So sollen die Gitanos sukzessive in die mallorquinischen Gesellschaft integriert werden.

Doch sie lassen sich nicht integrieren, was an beiden Seiten liegt. Unwille und Vorurteile verhindern die Assimilation. „Das sind Zigeuner, die sind voller Flöhe', schreibt die ehemalige Bewohnerin Victòria Follana 2009 in ihrem Buch „Son Banya - real und ohne Mythen“, über Diskrimierung der Kinder in den Schulen. Doch auch die Gitanos machen es den Behörden schwer. Einige zahlen die Miete von 100 Peseten pro Monat (ca. 50 Cent) nicht, stattdessen kommen immer mehr Verwandte vom Festland, die sich in der Siedlung niederlassen.

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Unter den Augen der Polizei: Der Drogenumschlagplatz der Balearen

1976 schreibt die spanische Zeitung El País über Son Banya: „Es ist traurig, aber wahr. Das Einzige, das für die Roma zählt, ist ihre Freiheit, ihre Abgrenzung und vor allem ihre Familie“. Zu diesem Zeitpunkt sei Son Banya vollkommen überfüllt gewesen.

Auf der einzigen Einfallstraße herrscht an einem Freitag im Spätsommer 2022 reger Verkehr. Autos fahren in die Siedlung, um sie nach wenigen Minuten wieder zu verlassen. Mallorquiner, die sich mit Drogen fürs Wochenende eindecken. Haschisch, Kokain, Heroin, Amphetamine. Hier bekommt man alles, was für einen Rausch jenseits des Alkohols benötigt wird.

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Gitanos: Sinti und Roma bilden in Spanien eine Parallelgesellschaft

All das unter den Augen der Polizei, die so den zentralen Drogenhandel im Blick behält, die Straße zu besonderen Anlässen absperrt und durchgreift. Bei einer Razzia im Juli wurden alleine 31 Drogenverkaufsstellen in dem Dorf gezählt. 18 Menschen wurden Festgenommen, 113.000 Euro und kiloweise Drogen wurden beschlagnahmt.

„In Spanien bilden die Gitanos eine weitverzweigte Parallelgesellschaft, die von der Mehrheitsgesellschaft traditionell misstrauisch beäugt wird. Und umgekehrt.“, sagt Ciro Krauthausen, Chefredakteur, der Mallorca Zeitung, der seit Jahren die Entwicklung um das Dorf beobachtet. „Für die Gitanos gelten eigene Regeln, außerhalb der staatlichen Gesetze. Und für sie gibt es kaum Alternativen“.

Der Fall des getöteten Regisseurs aus den Niederlanden

Mangels Alternativen fing das an mit den Drogen in den 70er Jahren. Von Vorteil erweist sich dabei die Flughafen- und Hafen-Nähe, sowie das Aufkommen des Party-Tourismus am knapp acht Kilometer entfernten Ballermann. Die Geschäfte machen nicht nur die Dörfler reich (die dies allerdings nicht zeigen), sondern ganze Generationen einheimischer Disco-Besitzer, die genauso von dem Geschäft profitieren.

Die Urlauber wollen nicht nur saufen, sondern auch koksen. Auch von Polizei und Behörden, die wegsehen oder Informationen über bevorstehende Razzien durchstechen, ist immer wieder auf Mallorca die Rede. In die Internationalen Schlagzeilen rückte Son Banya, als dort 2018 der niederländische Regisseur Wouter van Luijn unter noch nicht vollständig geklärten Umständen, tot geprügelt wurde.

Fällt Son Banya den Baggern zum Opfer? – Bewohner üben Widerstand

Seitdem wurde wieder lauter auf Mallorca gefordert, dass Dorf endlich dem Erdboden gleich zu machen und die Bewohner in andere Stadtteile umzusiedeln. Doch als die Bagger anrückten, weigerten sich die Familien zu gehen. Seit Jahren wehren sie sich erfolgreich.

Für 2023 steht die nächste Räumung an. Zumindest haben sich darauf das Rathaus Palma und der Sinti- und Roma-Verband der Balearen verständigt. Dass das wirklich passiert, glauben die wenigsten auf Mallorca.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.