München. Melissa Etheridge ist mit ihrem neuen Album zurück. Ein Gespräch über ihren Sieg gegen den Brustkrebs und die Liebe zu ihrer Partnerin.

Am Abend steht Melissa Etheridge (57) in München auf der Bühne, doch bereits am frühen Morgen wirkt sie vollgepumpt mit Energie. „Schon allein heute aufzuwachen, war ein Glückserlebnis für mich“, meint die Singer-Songwriterin, die jetzt ihr neues Album veröffentlicht.

Im Gespräch wird klar, dass für die Oscar- und ­Grammy-Preisträgerin Musik nur Ausdruck einer tiefen Lebenseinstellung ist, die von positivem Denken geprägt ist. Ihr neues Album heißt „The Medi­cine Show“.

Seit wann ist Gesundheit ein Thema für die Rockmusik?

Wenn du deine 50er erreichst, dann setzt du dich automatisch viel häufiger damit auseinander: Geht es mir körperlich und geistig gut? Gesundheit ist schließlich nur ein Wort für deinen Istzustand.

Als ich 2004 meine Krebsdiagnose erhielt, begann ich mein ganzes Leben zu hinterfragen: Was sind meine Träume? Was sind meine Ziele? Was ist überhaupt mit mir los? Und ich begann, zum Beispiel Achtsamkeit zu praktizieren. Logischerweise reflektiere ich diese Art von Erkenntnissen in meiner Musik.

Vom Krebs sind Sie zum Glück geheilt. Aber steht bei Ihnen alles immer zum Besten? In einem Ihrer Songs heißt es „Ich bin ein Fremder in meinem Geist“, in einem anderen „Hier kommt der Schmerz“.

Ich behaupte nicht, dass mein Leben perfekt ist. Jeden Tag versuche ich, mein positives Denken zu praktizieren. Und es klappt halt nicht immer. Aber diese Kontraste gehören zum Leben dazu, machen es interessant. Ich lasse mich nur nicht unterkriegen, sondern kämpfe mich durch. Ich habe den festen Glauben, dass ich mehr Licht als Dunkelheit schaffen kann.

Seit knapp fünf Jahren sind Sie mit der Schauspielerin Linda Wallem verheiratet. Hat das einen Einfluss auf Ihre Lebenseinstellung?

Ob ich verheiratet bin oder nicht, ändert nichts daran. Aber die Natur einer Beziehung verändert sich dadurch. Ich sehne mich nicht mehr krampfhaft nach jemandem, der meine innere Leere füllt und mir sagt, dass ich schön bin.

So etwas habe ich vielleicht in der Vergangenheit gesucht, aber jetzt befinde ich mich eben in einer gesunden, festen Beziehung. Diese Partnerschaft ist das reinste Vergnügen. Sie ist aufregend und wild – ich kann mir einfach nichts Schöneres vorstellen.

Von Ihrer Ehe abgesehen sind Sie auch Mutter dreier Kinder. Wie haben Sie sie geprägt?

Ich habe den Großteil meines erwachsenen Lebens gedacht, dass ich wegen meiner Eltern so bin, wie ich bin. Aber sobald ich selbst Kinder zur Welt gebracht hatte, begriff ich: Nein, stimmt nicht. Ich bin schon so geboren worden. Und das hilft dir, mit vielem klarzukommen. Als Elternteil kannst du nicht viel mehr tun, als deine Kinder anzuziehen, sie zu ernähren und lieb zu haben. Der Rest liegt ganz an ihnen.

Stehen sie denn auf Ihre Musik?

Meine Mädchen mögen eher Pop wie Taylor Swift oder Imagine Dragons. Mein Sohn hört alles von Rap bis Country.

Gleichzeitig wirken Sie selbst noch ganz schön jugendlich.

Ich halte mich mit fast 58 nicht für alt, sondern glaube, dass ich noch einen langen Weg vor mir habe. Ich muss mir ja nur viele meiner älteren Kollegen anschauen, die immer noch aktiv sind. Noch bin ich mit meiner Musik ein Teil des Lebens vieler Leute. Deshalb werde ich nicht langsamer machen, bevor ich 80 bin. Oder vielleicht sogar 90.

Der Wandel der Zeit zeigt sich auch an dem gewachsenen Bewusstsein für Homosexuellen-Rechte. Hätten Sie sich in Ihrer Jugend träumen lassen, dass sich die Situation einmal so verbessert?

Wenn Sie mich zu meiner Highschool-Zeit gefragt hätten, ob eines Tages die Schwulenehe akzeptiert wird, hätte ich das nie geglaubt. Ich wusste überhaupt nicht, dass es andere Menschen wie mich gibt. Es ist wirklich wunderbar, dass sich das so vorwärtsbewegt hat.

Aber in Ländern wie den USA scheint sich das Rad zurückzudrehen.

Klar gibt es den Chor der Furchtsamen, die gegen diese Veränderungen anschreien. Aber: Wir sind auf dem richtigen Weg.

(Rüdiger Sturm)