Tokio. Ein Forscher will Mischwesen aus Mensch und Tier züchten, um Organe für Menschen zu entnehmen. Weltweit wird diskutiert: Darf er das?

Für viele klingt es wie eine Vision aus einer dunklen Zukunft, die plötzlich näher ist, als gedacht: Japanischen Forschern ist es jetzt erlaubt, menschliche Organe in Tiere zu züchten. Anders formuliert: Sie dürfen Mischwesen schaffen. Das sorgt international für Aufsehen, es geht um ethische und biologische Fragen.

Ethisch werde mit den Plänen der Forschenden in Japan keine rote Linie überschritten, sagte die Medizinethikerin Christiane Woopen von der Uniklinik Köln im Deutschlandfunk. Bei Mischwesen rege sich zwar ein ungutes Gefühl, aber man müsse sich nach den Argumenten fragen, sagte Woopen. Es komme darauf an, dass man keine Artüberschreitung mache und die spezifischen Charakteristika sich verunklarten.

Wenn ein Schwein plötzlich Goethe-Gedichte zitiere, wäre eine eindeutige ethische Grenze überschritten. Aber in Japan wolle man so weit nicht gehen. Woopen sagte, sie halte das vorsichtige Vorgehen der Japaner für vertretbar. Auch fundamentalen Prinzipien des Ethikrates widerspreche das Unterfangen nicht.

Man müsse beobachten, was aus den Zellen werde, damit keine Fähigkeiten im Tier entstünden, die sonst nur bei Menschen vorkämen.

Japan erlaubt Geburt von Mischwesen – darum geht es:

  • Forscher wollen Wesen erschaffen, die wie Tiere aussehen, allerdings menschliche Organe enthalten
  • Die Wesen werden auch Hybride oder Chimären genannt
  • In Japan soll eine entsprechende rechtliche Grundlage dafür geschaffen werden
  • Das soll vor allem bei der Organtransplantation helfen – es gibt weit weniger Spenderorgane, als benötigt werden
  • In Deutschland ist die Rechtslage recht eindeutig
  • Es gibt deutliche Kritik an dem Vorhaben, aber auch Zustimmung
  • Das Forscherteam um Hiromitsu Nakauchi von der Universität Tokio will nun zunächst in Embryos von Mäusen sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) von Menschen einpflanzen
  • Kritiker befürchten, dass menschliche Stammzellen sich im Tierembryo auch in Gehirnzellen entwickeln könnten.

Mischwesen: Kritiker sehen Verschiebung von wissenschaftlichen Grenzen

Mit der Entscheidung wird sowohl eine ethische als auch wissenschaftliche Grenze verschoben. Und deshalb gibt es auch deutliche Bedenken – sowohl juristische wie auch wissenschaftliche. Denn die Experimente könnten über ihr Ziel hinausschießen.

Medizinethiker Gerald Neitzke hält eine umfassende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema für notwendig. „Es stellen sich Fragen nach der Identität des Menschen, die vorher geklärt werden müssen“, sagte der kommissarische Leiter des Instituts für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Neitzke befürchtet, solche Experimente könnten weiter ausufern. Dann sei nicht mehr klar zu definieren, wann ein Wesen ein Mensch oder ein Tier sei. Wenn beispielsweise eines Tages Nervengewebe auf ein Tier verpflanzt würde, um ein menschliches Gehirn zu züchten, verwischten die Grenzen, warnte er. „Dann stellt sich die Frage, woran hängen Menschenrechte und Menschenwürde?“

Japanische Wissenschaftler arbeiten mit Stanford zusammen

Wie das Wissenschaftsmagazin „Nature“ berichtet, erhält der Forscher Hiromitsu Nakauchi eine Förderung des japanischen Staates. Nakauchi forscht an den Universitäten Tokio in Japan und Stanford in den USA. Schon länger arbeitet Nakauchi nach Angaben der Universität Stanford zu tierischen Embryonen, die auch menschliche Stammzellen in sich tragen.

Laut „Nature“ habe der Japaner Mäuse-Embryonen bis zu 14,5 Tage züchten lassen. Bis zur Geburt sei es es jedoch nicht gekommen – auch weil dieser Vorgang in Japan bisher verboten war. Das japanische Wissenschaftsministerium könnte nun aber eine Freigabe zur Geburt erteilen. Ein Expertenrat habe dem Bericht zufolge schon positiv entschieden.

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Mischwesen aus Mensch und Tier soll Organe liefern

Die Hoffnung der Wissenschaftler und Förderer ist es, Mischwesen zu schaffen, die zwar von außen betrachtet tierische Körper besitzen, jedoch menschliche Organe in sich tragen. Diese könnten dann entnommen und Menschen transplantiert werden, die auf ein Spenderorgan warten. Ausgetragen würden die Mischwesen von tierischen Müttern. Aktuell beschränkt sich zumindest die Forschung von Hiromitsu Nakauchi auf Kleintiere wie Ratten und Mäuse.

Tierische Embryonen sollen menschliche Organe entwickeln (Symbolbild).
Tierische Embryonen sollen menschliche Organe entwickeln (Symbolbild). © Getty Images/iStockphoto | Morsa Images

Nakauchi strebe nach Angaben von „Nature“ vorerst selbst keine Geburt an. Er wolle Schritt für Schritt vorgehen. Jedoch habe er schon angekündigt, sich die staatliche Erlaubnis einzuholen, Embryonen von Schwein-Mensch-Hybriden bis zu 70 Tage wachsen zu lassen.

Ein Forscherteam der University of California in Davis pflanzte einer Sau schon 2016 Embryonen ein, die neben tierischem auch menschliches Erbgut enthielten. Das Ziel: In den ungeborenen Ferkeln sollten menschliche Bauchspeicheldrüsen heranwachsen.

Münchener Forscher sieht Vorteile in japanischem Verfahren

„Der Vorteil dieses Verfahrens wäre, dass es sich um menschliches Gewebe handeln würde“, sagt Professor Eckhard Wolf vom Gencenter der Ludwig-Maximilians-Universität München, „der menschliche Körper würde die transplantierten Organe also vermutlich besser annehmen.“

Er selbst forscht zur sogenannten Xenotransplantation – der Übertragung tierischen Materials auf Menschen. Die Idee: Schweineorgane werden genetisch so verändert, dass der menschliche Körper sie nicht als fremd erkennt und sie so als mögliche Spenderorgane dienen können. Vergangenes Jahr ist den Münchner Forschern ein großer Schritt gelungen: Zwei Paviane lebten ein halbes Jahr mit einem veränderten Schweineherz. Dann wurde das Organ den Tieren zu groß.

• Kommentar: Nach dem Chimären-Experiment muss eine Ethikdebatte folgen

Wie entstehen solche Mischwesen im Detail?

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat den Prozesse in einem Online-Beitrag zur Bioethik im Detail beschrieben. So werden gentechnisch veränderte Tierembryonen gezüchtet, die selbst ein bestimmtes Organ – zum Beispiel eine Niere – nicht entwickeln. Von diesen Embryonen werden dann Klone erzeugt. Diesen Embryonen werden dann menschliche Stammzellen implantiert, die zur Bildung einer menschlichen Niere führen.

An diesem Verfahren gebe es nach Angaben von „Nature“ jedoch berechtigte Kritik. Es sei zum Beispiel denkbar, dass die Stammzellenspende von einem Mensch nicht nur zur Bildung eines einzelnen Organs führe, sondern auch Einfluss auf das Gehirn des Tieres haben könnte. Der japanische Forscher Hiromitsu Nakauchi sei sich jedoch sicher, dass sein Team die Entwicklung einschränken könne.

Sind Mischwesen aus Mensch und Tier in Deutschland erlaubt?

Ob solch eine Forschung in Zukunft in Deutschland möglich ist, ist noch unklar. Jedoch gibt es zur Forschung an Embryonen mit menschlichen Stammzellen deutliche Grenzen – so zum Beispiel durch das Embryonenschutzgesetz. Demnach ist es verboten, menschliche Eizellen mit tierischen Samen zu befruchten, oder aber tierische Eizellen mit menschlichen Samen zu befruchten. Auch dürfen in Deutschland menschliche Embryonen nicht auf ein Tier übertragen werden. Wer dies trotzdem tut, riskiert eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren.

Grundsätzlich aber wäre Nakauchis Verfahren auch in Deutschland erlaubt, sagt der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock. Denn aus seiner Sicht komme in diesem Fall das in Deutschland sehr streng geregelte Embryonenschutzgesetz nicht zum Tragen. „Es handelt sich weder um einen menschlichen Embryo noch um embryonale Stammzellen, die hier verwendet werden.“ Tatsächlich arbeitet Nakauchi mit sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen des Menschen, die etwa aus Hautzellen gewonnen werden können. „Es wäre dann eher eine tierethische Frage“, sagt Dabrock.

Das Ziel jedenfalls, sagt Dabrock, sei ein sehr hochrangiges, „denn auch bei uns muss es Lösungen geben für fehlende Spenderorgane“. Doch noch ist das Verfahren des japanischen Forschers Grundlagenforschung, „eine Anwendung am Patienten liegt, wenn überhaupt, in sehr weiter Zukunft“, sagt Eckhard Wolf. Trotzdem bewegten solche Nachrichten die Menschen, sagt Dabrock. „Denn die Grenze zwischen Mensch und Tier wird aufgehoben.“ Das rege die Fantasie an.

Der Deutsche Ethikrat äußerte sich bereits 2011 in einer Stellungnahme zu dem Thema. Der Tenor: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit im Grundgesetz könnte der Forschung entgegenstehen. Zudem wirft der Ethikrat auch die Frage auf, ob mit der Schaffung eines Zwitterwesens die Menschenwürde in Bezug auf die „menschliche Gattungswürde“ noch gegeben ist. Der Deutsche Ehtikrat wies jedoch daraufhin, dass in der Diskussion definiert werden müsse, wann ein Embryo im Rahmen der Forschung als menschlich und wann er als tierisch gilt.

2018 haben Forscher aus China die Geburt von genveränderten Babys verkündet. Das Klonen von Tieren ist längst Standard in vielen Ländern. In Südkorea lassen reiche Menschen ihre Hunde klonen.

Was ist eine Chimäre?

In der griechischen Mythologie ist die Chimäre ein feuerspeiendes Mischwesen. In der Biologie werden Organismen mit Erbgut-Bausteinen verschiedener Lebewesen so genannt. (mit dpa-Material)

• Bericht: „Nature“ zu Mischwesen aus Mensch und Tier in Japan

• Hintergrund: Deutscher Ethikrat zu Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung

• Hintergrund: Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung zum Klonen